Visionen nach 8 Haltestellen
Guten Morgen, ich möchte Sie gerne an der bunten ÖPNV-Erfahrungswelt teilhaben lassen.
War Ihnen schon mal seekrank, obwohl Sie den Pott nie verlassen haben? Nein?
Dann müssen Sie vielleicht nicht mit dem Bus zur Arbeit. Morgens an der Haltestelle sammeln sich die Menschen zu kleinen Knäueln, um sich dann als zähe Schlange am Busfahrer vorbei bis möglichst hinter die Absperrung zu schieben, weil der sonst fettige Gesichtsabdrücke an der Scheibe hätte, wenn er bremsen müsste – was spätestens an jeder Straßenecke der Fall ist. Wenn ich Teil dieses warmen, schwankenden Meisenknödels bin, bete ich still, dass ich ausgespuckt werde, bevor mir so schlecht ist, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten kann und ich im günstigsten Fall rausgeschmissen werde, um den Mageninhalt in der zerrupften Hecke zu platzieren, durch die ich mich eigentlich noch vorbeidrücken muss, um schnellstmöglich zu entfleuchen. Auf den Klimaumschwung von äußerst sauerstoffarm und sockenwarm, wie drei Tage auf einem Rost gedörrt, hin zum Platzregen der Außenwelt drei Meter weiter, bin ich auch nie gefasst.
Während beim Selbstfahren auch in der klapprigsten Rostlaube noch Spaß bei der Vorstellung aufkommen kann, man würde seiner kriegsbeschädigten Stukka die zum Abheben benötige Beschleunigung zumuten, bis der durchgerostete Boden abfällt, oder der letzte Tropfen Benzin verbrannt ist und man spektakulär am Straßenrand bruchlandet, ist Busfahren eine wahre Tortur, die eher einem Übersetzen auf einem überfüllten Floß während stampfender See gleichkommt. Und das, mit ständigem Blick auf verwackelte Hausaufgabenhefte, Bildzeitungsausschnitte und Arcadesprüngen bunter Figuren auf Handys.
Wie überleben die Leute das nur tagtäglich ohne die geringste Reaktion?
Ehrlich gesagt machen mir selbstfahrende Zukunftsautos deswegen Angst. Mir würde da drinnen bestimmt so langweilig, dass ich es nicht lassen könnte, mich auch irgendwie zu beschäftigen und dann den Rest der Fahrt den Kopf aus dem Fenster hängen müsste. Immer mit dem Problem, dass das Frühstück am Türgriff vorbei rinnt, während ich selbst den halben Tag keine Nahrung mehr aufnehmen kann.
Nun gut, das wird die nächsten Jahre zu teuer sein, um als kleiner Bürger dazu gezwungen zu werden, hoffe ich.
Allerdings sind diese Bus-Hybridantriebe auch nicht ohne. Ich sah mich bereits mit philosophischen Zeitrechnungen konfrontiert: Sinkende Wahrscheinlichkeit, dass der Busmotor anspringt nach X weiteren Versuchen zu steigender Wahrscheinlichkeit, dass inzwischen zwar der Alternativbus weg ist, aber der nächste bestimmt bald kommen wird, in Relation zu immer dringenderen Bedürfnissen und schwindenden Kräften. Starke Frustration der Fahrerin auf potentiell gesteigerte Kurzschlussreaktionen und Fluchtversuche in den offenen Straßenverkehr mit einbezogen.
Kannte ich sonst nur von gerissenen Oberleitungen im Bahnverkehr, wo die jeweilige Abteilbesatzung allerdings jedesmal völlig abgelegen in der Pampa festsaß, bis die Flucht schließlich offiziell, oder auch putschartig gelang und die Rückkehr den restlichen Tag in Anspruch nahm.
Ein anderes Mal fing der Hybridantrieb kurz hinterm Schauspielhaus an zu brennen und der Busfahrer scheuchte uns, mit für solche Situationen beachtlicher Reaktionsschnelle, auf den Bürgersteig, während auf den meisten Mündern noch ein erstauntes „O“ gegenüber den imposanten Rauchschwaden und dem bevorstehenden Fußweg abzulesen war.
Alles negativ? Mitnichten!
In meiner kleinen Welt wäre es den Menschen größenwahnsinnig vorgekommen, auch noch die verfaulte Erdschicht unter dem Asphalt auszuhölen, um dort eine Parallelhölle zu erschaffen. Wir haben stattdessen einen öffentlichen Nahverkehr, wie Ihr ihn vielleicht vom Flughafen kennt. Von Straßenecke zu Straßenecke verlaufen gemächliche Fließbänder. Wenn ich die 5 km in die Stadt muss, spaziere ich los, sobald ich soweit bin. An windigen Straßenecken stehe ich garantiert nicht 20 Minuten freiwillig rum, wie bestellt und nicht abgeholt (was ja auch noch passieren kann). Wenn ich es jedoch eilig habe, stelle ich mich eben auf das Fließband und spaziere etwa doppelt so schnell. Als Ausgleich steige ich gerne mal ab, wenn ich im Schaufenster was Interessantes sehe, oder mir einfällt, dass sie um die Ecke doch diese phantastischen Brötchen verkaufen. Sehr gemütlich und kultiviert, die Leute winken sogar manchmal freundlich, während sie sich entgegengeschleifen lassen. Mit Schirm und einer feinen Nuance Freiheit fühlt man gleich viel besser.
Bislang war sogar niemand so blöd, seinen Finger in den winzigen Spalt zwischen Laufband und Bürgersteig zu stopfen.
Vielleicht gibt es das deshalb nicht auch hier?
Autor:Kerstin Loose aus Bochum |
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