Humor: Werbung

Früher wurde im Fernsehen ein Bild gezeigt und ein Chor sang im Hintergrund einen Ohrwurm, den man nie wieder los wurde.
Als Kinder übten wir damals Bläckundeckerbläckundecker-schnellsprechen!
Oder wir spielten Reklame-Rätsel: Wenn das erste Bild im Fernsehen auftauchte, riefen wir schnell den Namen der Firma. Der, der ihn zuerst schrie, hatte gewonnen. Und da es bei diesem ersten Bild meistens blieb, war es gar nicht so schwer.

Heute dagegen ist Werbung richtiges Entertainment.
Ein richtiger Film gar, mit Einleitung, Höhepunkt und Finale.

Nur, dass man am Ende gar nicht so genau weiß, ob man den gutaussehenden Mann oder den süßen Golden Retriever nehmen soll.
Und während man noch überlegt, ob Tierheim oder „neu.de“, schwenkt die Kamera auf ein kleines Döschen mit Hundefutter. Ach so!

Oder man bekommt glitzernde Bilder aus einem Opernhaus gezeigt, in dem gutgekleidete und sorgfältig frisierte Menschen mit einem Champagnerglas in der Hand unter funkelnden Kronleuchtern lustwandeln.
Ich sehe mich dann nach dem Theaterplan suchend im Wohnzimmer um und frage mich, wann ich eigentlich zuletzt im Schauspielhaus war.
Und während meine Gedanken abschweifen, spitzen sich im Werbefilm wohlgeformte und tiefrot lackierte Lippen einer Praline entgegen.
Da wär ich jetzt nicht drauf gekommen, dass es sich um Pralinen handelt!
Aber in welcher Handtasche war noch gleich mein roter Lippenstift?

Oder diese Werbung von der Bank, die fragt, wie Freiheit gemessen wird.
Diese Frage gefällt mir an sich gut.
Doch der alte Mann in dem kleinen roten Auto gibt mir zu denken.
Am Ende reicht es noch nicht mal für ein vernünftiges Auto, wenn ich mein mühsam Erspartes in dieser Bank anlege. Oder handelt es sich um ein Tretauto, das man als Prämie erhält, wenn man sein Hab und Gut zu dieser Bank bringt?
Aber was soll ich mit einem Tretauto?
Ich könnte es meinem Neffen zu Weihnachten schenken.
Dann überlege ich, was ich meinem Neffen zu Weihnachten schenken soll und mir fällt ein, dass ich die Staffelei besorgen wollte, die er sich wünscht.
Manchmal bringt mich Werbung auf richtig gute Ideen, die allerdings eher weniger mit dem Inhalt der Werbung zu tun haben…

Die Werbung aber, die mir heute auf einem Plakat entgegenblickt, stimmt mich nachdenklich. Dort steht:

„Moment bitte, Sie cremen sich gerade mit Schulbüchern ein!“

Ich stutze.
Ich creme mich doch gerade gar nicht ein, ich komme grad von der Arbeit. Und mitten auf der Straße, also bitte!
Achselzuckend will ich weitergehen, doch da kommt mir der Gedanke, dass die vielleicht etwas anderes meinen!
Bei der Werbung heutzutage kann man ja nie wissen!
Werbung ist ja so anspruchsvoll geworden!
Man muss richtig mitdenken! Also fange ich an zu denken:
Schulbücher.
Wieso Schulbücher?
Dass wüsste ich aber, dass ich mich mit alten verstaubten Schulbüchern eincreme!
Außerdem, wie soll das denn gehen, abgesehen davon, dass es nicht geht?

Mir kommen auf einmal Bilder in den Kopf, wie ich nach den Sommerferien im Schulzimmer saß und der Lehrer die Bücher austeilte. Sie waren alt, abgegriffen und voller Tintenkleckse. Vorne war immer ein Stempel mit dem Namen der Schule und einige Leerzeilen mit Pünktchen, auf die schon unzählige Schüler ihren Namen gemalt hatten. Diese Namen fand ich immer faszinierend. Sie standen dort mit Füller, in geschwungenen Bögen, mit Bällen als i-Punkt, mit eckigen N´s oder M´s oder mit einem G, dessen unterer Bogen fast bis zum unteren Seitenrand reichte.
Ich sinnierte oft darüber nach, was das für Schüler waren und versuchte, anhand der Schrift zu deuten, ob es Streber oder Faulpelze waren.

Haben die Schüler heutzutage diese Bücher nicht mehr?
Wer hat sich damit eingecremt?

Aber, halt, die meinen bestimmt etwas anders, fällt mir ein.
Die meinen bestimmt, dass die Schüler heute neue Schulbücher brauchen!
Es wäre ja auch verheerend, wenn es heute immer noch die alten Schulbücher gäbe, sinniere ich weiter.
Alles veralteter Kram, längst überholt heutzutage.
Man sieht, ich komme der Sache langsam näher...
Doch da tut sich ja die Frage auf, wer das bitteschön bezahlen soll.

Ha, ich hab´s!
Das meinen die bestimmt mit ihrer Werbung!
Die Staatskassen sind leer, viele Eltern der Schüler leben von Hartz 4
und die Schüler gehen morgens ohne Frühstück aus dem Haus, weil die Bütterchen unbezahlbar sind.

Neulich an der Käsetheke ereilte mich fast ein Herzschlag:
So ein klitzekleines Stückchen Edamer für 4,25 Euro.
In echtem Geld sind das über 8 DM!
Rechnen Sie auch noch um? Für über 8 DM ein Stückchen Käse, das noch nicht mal für ein Brötchen reicht, wenn man es denn beidseitig belegen will.
Gibt’s eigentlich noch Milch in der Schule, überlege ich...
Kein Strohhalmwettschlürfen mehr in der 10 Uhr Pause?
Alles nur, weil die Kassen leer sind?

Ich tupfe mir eine Träne aus den Augenwinkeln.
Die armen Schüler!
Mein Blick fällt wieder auf das Plakat.
„Moment, Sie cremen sich gerade mit Schulbüchern ein“

Ich lege meine Stirn in Falten und grübel.
Und wenn ich nun keine Geld mehr für Cremes ausgebe, sondern das Geld den Schulen schenke, dann können die dafür Schulbücher kaufen, überlege ich.
Und Milch!
Und Bütterchen!

Ich straffe meine Schultern.
Ja, das werde ich tun.
Hier geht sonst noch alles den Bach runter und die Schulkinder wissen nichts davon, weil sie keine Schulbücher haben!
Und das nur, weil wir Erwachsene uns immer eincremen.
Und sprechen wir nicht davon, was wir sonst noch alles tun, wenn wir uns gerade mal nicht eincremen!

Ein Schluchzer schüttelt mich.
Ich krame in meiner Handtasche nach einem Tempo.
Tempo? Wieso eigentlich Tempo?
Früher hatte man Taschentücher aus Stoff, die wurden gewaschen, gebügelt und dann wieder benutzt
Ich weiß das, denn ich war mal auf einer Haushaltsschule. Früher.
Dort lernten wir unter anderem Bügeln und fingen zwecks glattbügelnüben bei Stofftaschentüchern an.

Was lernen die Schulmädchen heutzutage eigentlich in einer Haushaltsschule?
Wie man Müll trennt wahrscheinlich.
Auswendig, denn sie haben ja keine Bücher, weil wir Großen uns immerzu eincremen.
Die armen Schülerinnen!

Ich putze mir schluchzend die Nase.
Ich werde mir keine Creme mehr kaufen, gut.
Und ich werde das gesparte Geld den Schulen spenden. Gut.
Das mit den Taschentüchern lassen wir mal, denn wenn ich jetzt anfange, Taschentücher zu waschen und zu bügeln: Das kostet auch! Strom und Wasser und Nerven. Denn Bügeln nervt.
Damit haben wir also nichts gespart.
Man darf ja nicht am falschen Ende sparen!
Von Taschentüchern und bügeln war auf diesem Plakat auch keine Rede.

Also Creme.
Ab heute keine Creme mehr!
Doch da durchzuckt mich ein schrecklicher Gedanke:
Was geschieht dann mit meiner Haut?
Wenn ich zum Beispiel meine Beine rasiere und sie danach nicht sanft eincreme, bekomme ich klitzekleine rote Pünktchen.
Nun gut, das geht vorüber.
Man kann ja die Zähne zusammenbeißen. Ist ja für einen guten Zweck.
Aber was geschieht langfristig?
Zähne zusammenbeißen geht ja noch, die cremt man ja auch nicht ein.
Aber die Haut drumherum?
Sie trocknet aus und es bilden sich Fältchen.
Gerade so in Mundgegend. Nur vom Zähnezusammenbeißen!

Gut, die Leute sehen dann sofort: „Ah, die spendet Schulbücher!“,
aber was hat man von Ruhm und Anerkennung, wenn die Haut ausgetrocknet ist?
Und was, wenn sich dann noch Ekzeme bilden?
Ekzeme sehen häßlich aus.
Und jucken am Ende noch.
Was macht man dann?

Man geht zum Arzt.
Und was macht der Arzt? Der verschreibt einem eine Creme, die helfen soll.
Und wenn sie nicht hilft?
Dann schreibt er einen krank, denn wenn es einen ständig juckt und kratzt und schubbert, kann man sich ja nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren!
Man fällt also in der Firma aus.
Der Arbeitgeber zahlt ja erst mal noch Gehalt, dann erhält man Krankengeld.
Und es juckt und kratzt und schubbert einen womöglich immer noch.
Die ganzen Tiegelchen und Töpfchen und Tuben mit teurer Creme, die einem der Arzt verschrieben hat, helfen am Ende immer noch nicht richtig.
Weiß man´s?

Dann wird man zur Kur geschickt.
Dermatologie. Oder gar Psychosomatik, weil man ständig in Tränen ausbricht, wegen der armen Schulkinder.
Der Laie staunt, der Facharzt wundert sich. Und die Krankenkasse zahlt.
Wenn die Kur erst mal bewilligt wurde, zahlen die auch.
Was das wieder kostet!
Aber mein an Cremes gespartes Geld spende ich.

Mit dieser Lösung im Kopf gehe ich endlich zufrieden weiter. Und während ich die Straße überquere, rechne ich, dass diese Arztbesuche, Rezepte, Krankschreibungen, Kuraufenthalte doch viel teurer sind als meine Creme aus meiner Lieblings- Drogerie mit den zwei Buchstaben und eigentlich wäre es doch viel effektiver, wenn die Krankenkasse …

Autor:

Nicole Patricia Schumann aus Bochum

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