Eine kulinarische Kreation

In unserem Literaturzirkel schlagen wir uns
mitunter gegenseitig Stichwörter vor,
aus denen wir dann eine Erzählung machen.
Hier kommt meine Geschichte:

Stichwörter:
Kühlschrank, Rote Bank, Reisen, Schokolade, Swimmingpool, Saure Gurken, Orchideen, Mülleimer, Frittenfett

Eine kulinarische Kreation

Neulich als ich beim Friseur war, blätterte ich in einer der vielen bunten Zeitschriften, die dort immer so großzügig ausliegen.
Eigenartig – obwohl ich stets im Herrensalon bedient werde, gibt es da überwiegend Frauenzeitschriften. Und das Beste an diesen Blättern ist: sie beinhalten seitenweise Tipps zur gesunden, zeitgemäßen Ernährung. Wunderschön aufgemacht mit bunten Bildern, hübschen Frauen und Fotos von den Gerichten, die nach den angegebenen Rezepten gegart sein sollten. Die Farbenpracht der Bilder lässt aber eher darauf schließen, dass sie alle noch roh angerichtet oder zumindest nur blanchiert wurden. Ob sie so auch genießbar sind, wage ich in den meisten Fällen zu bezweifeln.
Doch halt – auf einem großformatigen Foto, inmitten von weißen Orchideen entdeckte ich jetzt das Konterfei eines unserer bekanntesten Sterneköche. Im Hintergrund sah noch ich einen gewaltigen Swimmingpool, in welchem sich eine elegante Schöne scheinbar anmutig zu bewegen schien.
Ich muss gestehen: jetzt kam bei mir doch ein wenig Neid auf.

Wer mich näher kennt, weiß: Ich bin ja in meinem früheren Leben auch einmal Koch gewesen. Kein vier, drei, zwei- und auch kein Einsternkoch. Dazu habe ich es nie gebracht. Abgeschlossene Lehre, ein wenig Seeerfahrung, Auslandsaufenthalte, ein Meisterstudium mit abschließendem Meisterbrief waren meine bis dato höchsten Errungenschaften. Ich war auch nie so ehrgeizig mir Sterne an meine Mütze heften zu wollen.
„Aber jetzt habe ich doch viel Zeit“ dachte ich mir so beim Betrachten des wunderschönen bunten Fotos voller Luxus...
Die australische Sängerin Melba kreierte seinerzeit ohne auch nur die geringsten Kochkenntnisse eine Nachspeise, die noch heute – nach über hundert Jahren in gehobenen Restaurants immer wieder ein Hit ist. Der Wahrheit geschuldet, sei die Erklärung erlaubt, dass sie eigentlich nur huldvoll gestattete, die Kreation fortan nach ihr zu benennen.
Fürst Stroganoff, der gut und ausgiebig zu speisen wusste, aber eben auch nicht kochen konnte, führte seinen staunenden Regimentsoffizieren bei einem ausschweifenden Gelage anhand eines Rinderfilets vor, mit welcher Wildheit er die Tataren bei der Eroberung des fernen Sibirien buchstäblich zerstückelte.
Wenigstens befand man das Fleischteil würdig, anschließend zubereitet zu werden und so ist besagtes Rinderfilet noch heute als „Beuf Stroganoff“ auf den Speisekarten der Welt zu finden.
Da sollte es m i r nicht gelingen eine neue, völlig unbekannte Speise zu erschaffen...?

Die Zeit des Reisens ist ja nun auch endgültig vorbei. Überweist doch die Rentenkasse allenfalls monatlich auch nur einen Betrag, mit dem man bei äußerster Sparsamkeit mal gerade so über die Runden kommt. Also an Zeit soll es wohl nicht mangeln.
Warum sollte ich also nicht versuchen etwas kulinarisches zu schaffen, wo sogar unsere bekannten Spitzenköche ins Grübeln kommen oder vor Überraschung in den übergroßen Pool fallen.
In Gedanken rechnete ich schon durch, was möglicherweise der Schutz der Markenrechte kosten würde. Denn schützen wollte ich mein Produkt schon. Diesen Gedanken hätte ich lieber nicht aufnehmen sollen. Denn sofort war meine Euphorie ziemlich gedämpft. Hin und her überlegte ich und muss dabei wohl kurz unter dem Friseurcape eingenickt sein...

FERTIG! Der Preis, den mir Tschastin jetzt nannte, ließ mich beinahe vom hoch gepumpten Frisierstuhl stürzen.
Trotzdem erwies ich mich in Erwartung der Summe, die ich ja für meine neue Kreation fordern wollte, als äußerst großzügig in Bezug auf das Trinkgeld.
Tschastin geleitete mich dieses mal sogar bis zum Ausgang und bürstete noch einmal über mein Jackett. Die Schaklin aus dem Damensalon lächelte zu mir herüber.
Es war bereits ein kleiner Hauch von Promi um mich. Da war ich sicher.

Mein Herzblatt hatte mir beim Weggehen noch einmal nachdrücklich eingeschärft, auf dem Rückweg keinesfalls die große deutsche Tageszeitung zu vergessen, die ja bekanntlich immer alles als erste recherchiert und oft sogar schon mit dem Mordopfer gesprochen hatte, bevor es überhaupt richtig tot war...
Ist mir recht dachte ich: Gehst du bei Ilse am Büdchen vorbei, setzt dich eine Weile dort bei ihr auf die rote Bank und wenn Ilse Zeit hat, können wir einen Moment tratschen.
Ilse wusste nämlich immer mindestens genau so viel wie weiland unsere Metzgersfrau – wenn nicht noch mehr...
Während sie zum Kühlschrank ging um mir meine kalte Cola zu holen fragte sie beiläufig, ob ich nicht vielleicht wüsste, wer altes Frittenfett entsorgen würde.
„Oha“.... dachte ich und witterte im selben Moment eine neue Geschäftsidee. Hatte ich doch vor kurzem gehört, dass man heutzutage Autos mit dem alten Fett antreibt. Es sei nur ein ganz kleiner Umbau des Motors nötig und das Frittenfett ist gewissermaßen kostenlos. Bei den Spritpreisen heutzutage kann das eine ganz schöne Ersparnis sein. Wenn ich dann alle Buden abklapperte...? Womöglich ist dann doch noch mal eine Karibik-Kreuzfahrt mit meiner Ehefrau – der allerbesten bisher – möglich. Oder gar eine Weltreise...?
Ich erbot mich, die Entsorgung zu übernehmen. „Wo hast Du das Zeuch denn?“ fragte ich Ilse.
„Steht anne Mauer hinten im Hof in so ollen Milchkannen. Kannse gleich mitnehm, wennse willst“
„Nee, lass man – ich bin zu Fuß getz. Morgen früh hole ich die Kannen ab!
Ich zahlte Cola und Blatt. Mit dem Wechselgeld stellte Ilse das Glas mit den selbst eingelegten Sauren Gurken auf die Theke. „Willse eine?“
Ich wollte... Und jetzt kam der Gedankenblitz, den später bitter bereuen sollte:Meine Kreation sollte ein völlig neuartiges Dessert sein, welches als Hauptkomponente eine Saure Gurke beinhalten könnte. Das hat es bisher noch nie gegeben. Auch von unseren zeitgenössischen Spitzenköchen ist bisher noch keiner auf so eine geniale Idee gekommen.
„Kannse mir die einpacken?“ fragte ich und Ilse guckte mich an, wie eine Gans, wenn es donnert.
„Frach nich lange, ich hab da was ganz bestimmtes mit vor!“
Ilse packte mir eine besonders große in eine Stück Butterbrotpapier und grinste mich bedeutungsvoll an.
„Was grinste denn so?“
„Ach nix weiter – musste nur grad an die Story von der Reeperbahn denken, die Du mir mal aus Deiner Seemannszeit erzählt hast.“
Die vergisst wirklich nichts.
„Bis morgen dann!“ sagte ich und machte mich auf den Heimweg.

Das Donnerwetter hätte ich mir auch sparen können:
„Wo ist meine Zeitung?“ fragte mich mein Herzblättchen schon beim Eintreten.
„Ach ich... ja... wo... äh... bezahlt habe ich sie aber“
„Wo warst Du denn wieder?“
„Bei Ilse anne Bude.!
„Das habe ich mir gedacht. Haste ihr wieder Schweinereien aus deiner Jugendzeit erzählt und dabei natürlich alles andere vergessen?“
„Nein – aber ich bin auf eine Super Idee gekommen.“
„Was denn für eine Idee?“
„Kann ich noch nicht drüber sprechen, ist noch nicht ausgereift!“
„Mach Dich los und hole die Zeitung wenn du sie schon bezahlt hast!“
„Ist gut dann fahre ich schnell mit dem Wagen“ sagte ich demutsvoll. Denn Demut hat erfahrungsgemäß die beruhigendste Wirkung auf meine Herzallerliebste. Insbesondere wenn es um die besagte blutige Tagespresse geht. Da kennt die keinen Spaß.

An Ilses Büdchen war gerade Hochbetrieb. Die Männer kamen von Maloche und hatten einen Riesendurst.
Kurz winkte ich Ilse, sie reichte mir die Zeitung durchs Fenster und lehnte sich mit den strammen Unterarmen auf die Theke. Dabei hatte sie sehr viel Ähnlichkeit mit der ollen Schlüterschen aus meiner Kindheit, wenn die Sonntags auf ihrem geblümtem Sofakissen im offen Fenster lehnte und die Leute aushorchte, die aus der Kirche kamen. Oder in derselben Pose die Straße rauf und runter schaute und darauf wartete, dass wir Kinder etwas anstellten, was sie nicht billigen konnte. Dann ging vielleicht ein Gezeter los...
Ilse grinste mich aber nur wieder so anzüglich an und flüsterte: „Hömma - hasse schon probiert?“
„Was denn?“
„Na weiß schon mit de Gurke...“
„Ach Quatsch- was Du schon wieder denkst.“
Die Gurke befand sich noch unangetastet in meiner Hosentasche.
„Ich nehm gleich die Kannen mit getz!“
„Is gut! Brauchse Hilfe?“ fragte Ilse und kümmerte sich jetzt wieder um einige Gäste, die schon anfingen lauter zu krakeelen. „Is gut - ihr bekommt euer Pilsken getz!“
„Nee lass mal, ich schaff dat schon!“
Vier Kannen zu je 20 Liter waren das. 100 Kilo – das kann ich im Kofferraum transportieren. Die paar Meter...
Mit letzter Kraft wuchtete ich die schweren Kannen in den Kombi. Das fehlte mir noch... Hätte ich jetzt dumme Fragen beantworten sollen? Nee, dann lieber mal etwas anstrengen...

Platz in der Garage war schnell geschaffen.
Die alten Kannen mit dem Frittenfett in die Ecke gestellt und mit den ausrangierten Winterreifen getarnt. Das konnte so gehen, bis ich meine Holde von meiner Idee, das Auto umzurüsten überzeugt hatte.
Zunächst hatte ich aber noch andere Dinge zu erledigen:
Ich lieferte die Tagespresse ab und zog mich in meine Kemenate zurück. Meine Holde – die Holdeste von allen Holden bisher, nannte mein Zimmer immer großzügig „Immobilie.“
Da ich wusste, dass sie beim Studium der neuesten Postille keinen Wert auf Störung legte, rief ich nur, dass ich jetzt in meiner Immobilie sei.

Nun hatte ich knappe 2 Stunden bis die erste Kontrolle durch die Obrigkeit zu erwarten war.
Ich schritt zur Tat bzw. zunächst erst mal an meinen Schreibtisch, nahm Papier und Stift zur Hand und begann mir aus- und auf dem Papier aufzumalen, wie ich mir das neue Dessert vorstellte:
Die Gurke sollte in einem Backteig ausgebacken werden.
Ob Bierteig, Weinteig, oder gar Brandteig... da war ich zu diesem Zeitpunkt noch offen. Ferner dachte ich an eine Verzierung – etwa eine Harfe aus feinstem Karamell.
Unter das Kunstwerk gehörte ein Soßenspiegel aus Vanilleschaum mit Tupfern von gebundenem Cranberriesaft und mit Cranberries umlegt sollte es alle – aber auch alle Geschmacksnerven gleichzeitig treffen. Aber da fehlte noch etwas: Süße in Verbindung mit einer raffinierten Schärfe. Ja, ich wollte die Gurke mit Schokolade umhüllen, die ich zuvor mit einem Hauch Chilly würzen würde.
Süßer Vanilleschaum, im Kontra mit extrem sauren Cranberries. Der würzige warme Backteig, der eine Überraschung von bitterscharfer Schokolade und salzig-saurer Gurke barg. Ich hatte den Geschmack in Gedanken bereits auf der Zunge. Das würde – das musste eine einmalige Komposition werden.
Nun hieß es aber die Küche in Beschlag zu nehmen und zwar ohne viele Fragerei oder Lamento. Da ich den erlesenen Geschmack meiner Ehegattin kannte – und man kann es nie genug betonen: der besten, die ich bisher hatte, machte ich ihr ein zuckersüßes Angebot. Zuckersüß in Worten natürlich: „Was hältst du denn davon, wenn ich dir für heute Abend mal ein absolut super spitzenmäßiges Dessert
kredenze?“

Upps... da war die Aufmersamkeit geweckt. Jedoch nicht nur die. Ich vermutete das Misstrauen war stärker. „Was hat der jetzt schon wieder ausgefressen? Da stimmt doch was nicht! Ist doch sonst nicht so unaufgefordert zum Kochen bereit...“, mag sie gedacht haben, das konnte ich ganz deutlich an ihren geweiteten Augen sehen. Ich kann immer an ihren Augen ablesen, was sie gerade denkt. Glaube ich jedenfalls. Meine über alles geschätzte und teure Gattin bestreitet das jedoch. Nun ja... vielleicht doch nicht alles. Aber jedenfalls... wenn ein Gewitter droht.
„Schau mal“, sagte ich im Brustton der Überzeugung und voller Pathos. „Du kannst dich heute mal länger ausruhen und vielleicht noch die verpassten Folgen von Deiner Serie nachholen. Ich brauche nicht länger als zwei Stunden. Und dann wirst du einfach nur noch staunen.“

Ich machte mich also an die Vorbereitungen: Zunächst Karamell bereiten für die einmalige Harfe. Die musste ein wahres Kunstwerk werden.
Dass ich mir beim Aufbringen des filigranen Kunstwerks auf die Marmorplatte gewaltig die Finger verbrannte, nahm ich nur noch ganz am Rande wahr.
Jetzt die Schokoladenfüllung mit Chilly bereiten und im Wasserbad warm halten.
Opala... da fiel mir ein: Wenn die Gurke umhüllt sein soll, muss sie aber sehr kalt sein, um die Schokomasse erstarren zu lassen.
Also das Ding aus der Hosentasche geklaubt und ab in den Tiefkühler...
Jetzt den Backteig. Ich entschied mich doch für den guten alten Bierteig. Der war schnell zubereitet.
Was noch? Aha die Friteuse...
Die stand in der Bodenkammer. War es mir doch vor langer Zeit untersagt worden, Fritten oder dergleichen in dem Fettbackgerät zuzubereiten. Wegen der Kalorien versteht sich. In der Lieblingsfrittenbude werden die auch in der Friteuse zubereitet. Das ist aber etwas ganz anderes. Schließlich ist die Lieblingsfrittenbude seit frühester Kindheit heilig und der Nimbus darf auf keinen Fall zerstört werden.

Also die Friteuse... hmmm. Ich hatte aber nicht genug Öl. Und Frittierfett schon gar nicht.
Aber... da waren doch 80 Liter Frittenfett in der Garage eingelagert.
Na ja... sicher nicht sehr appetitlich aber wer merkt das schon? Ich meine, Fritten sind auch nur Kartoffeln und die Kannen sind schließlich verschlossen.
Also ging ich mitsamt dem Fettbackgerät auf leisen Sohlen in die Garage und füllte etwas Fett in die Friteuse.
Nach kurzer Zeit roch die Küche dann bereits nach Pommes frites wie eine Kirmesbude.
Vorsichtig schloss ich die Tür zum Wohnzimmer. Sofort darauf stand die Allerholdeste in der Küche und schnüffelte wie ein Ameisenbär, wenn er einen bewohnten Termitenhügel entdeckt hat.
„Was machst Du denn nur?“
„Sagte ich dir doch schon. Ich will ein außergewöhnliches Dessert für dich zaubern mein Schatz. Setz Dich nur wieder hin und harre der Dinge. Du wirst überrascht sein.“
Misstrauisch äugte meine Lieblingsehefrau im Kreis: „In der Friteuse?“
„Ja natürlich das ist ja der ganze Gag an der Sache!“
„Aber du weißt doch...“
„Ja ich weiß. Aber denk doch nur mal an die Doppelportion Fritten im Schnellimbiss bei Thomas - dazu noch eine große Portion Mayo und doppelte Currywurst. Dagegen ist das hier doch nur ein Kinderportiönchen.“
Au, das konnte Folgen haben...
Ich schaffte es, sie wieder auf die Couch zu dirigieren mit dem Versprechen auf einen der größten Hochgenüsse, wenn ich denn endlich weiter machen könne...

Mit unendlicher Mühe gelang es mir die Gurke in einen Mantel köstlicher bitter-scharfer Schokolade zu hüllen und noch einmal im Tiefkühler aushärten zu lassen.
Die Friteuse war heiß und ich konnte nun ans Werk gehen: Das Kunstwerk durch den Backteig ziehen... Der Teig war perfekt. In die Friteuse geworfen plusterte sich die Gurke auf mindestens doppelte Größe auf. Jetzt nicht zu lange warten, damit die Schokoladenmasse nicht herausläuft.
Aber ich musste ja noch den Soßenspiegel bereiten. Vanillesoße vom bekanntesten deutschen Puddinghersteller hatte ich bereits gekocht und noch mit Sahne, Ei und Vanillezucker (nicht Vanillinzucker) aufmontiert. Lange genug im Mixer geschlagen, abgekühlt und noch mal geschlagen stand vor mir der scheinbar feinste Vanilleschaum der mir je untergekommen war.
Die ganze Sache hatte aber noch einen Haken: Wer hat schon je einen Sternekoch gesehen, der bei seiner Arbeit auch noch die Töpfe spült? Die haben bei ihren Shows so endlos viele Töpfe und Pfannen... Und wo wäre die ganze Kreativität, das unser Genie ausmacht, wenn wir unser Talent mit Töpfe spülen vergeuden müssten?
So türmten sich bereits jetzt viele schmutzige Gefäße in und um die Spüle. Kurzerhand ein Handtuch darüber, dann fällt das nicht so auf.
„Das wahre Genie gedeiht nur im Chaos!“ So oder ähnlich hat Einstein einmal gesagt. Der müsste es eigentlich wissen.

Jetzt aber hurtig die ballonartig angewachsene, Gartenfrucht welche ja zuvor einer Fermentation im Salz unterzogen und mit feinster Schokomasse umhüllt in Bierteig ausgebacken war, auf den blütenweißen Teller gelegt. Tupfer vom gebundenen Cranberriesaft, mit einem Holzstäbchen verzogen. Das zarte Gebilde der Karamellharfe obenauf. Da fehlte noch was: Einige Minzblättchen und eine Traube roter Johannisbeeren brachten den letzten Kick.
Wie das kleine Stillleben eines großen Meisters stand mein Werk vor mir. Damit kann ich sicher großen Eindruck unter Berufskollegen machen. Ich sehe schon die Schlagzeilen in den Gazetten der Fachwelt... „Genie aus dem Verborgenen erschienen...!“ Oder so ähnlich...

Den Tisch gedeckt. Einen süßen Wein eingeschenkt. Kerze angezündet. Jetzt erschien die Angebetete.
Der erste Blick fiel auf die Küchenzeile mit der Spüle. Der zweite Blick traf mich wieder mal besonders strafend. Aber als ihr Blick auf das Werk des Meisters fiel entspannte sie sich etwas.
„Hmmm, sieht gut aus. Was iiiist daaas?“
„Koste einfach und entscheide dann ob du es magst. Es ist nichts, was Du nicht essen würdest“, beeilte ich mich zu sagen. Kannte ich doch einige ihrer absoluten "no go’s" beim Essen.

Vorsichtig wendete sie das ballonartige Etwas hin und her, kostete vom Soßenspiegel... Krachend fiel meine, mit unsäglicher Mühe hergestellte Harfe aus feinstem Karamell ihren Zähnen zum Opfer.
Jetzt schnitt sie beherzt das Hauptstück an. Sah das aufgegabelte Stück ratlos an:
„Was ist das?“
„Probiere doch einfach. Es wird köstlich sein!“
Vorsichtig führte sie das Stückchen zum Mund, beguckte es noch einmal, schnupperte vorsichtig daran. Ganz offenbar konnte sie nicht auf Anhieb feststellen, was es war. Das war gut so. Hätte sie die Kombination erkannt, hätte sie nie und nimmer gekostet.
Im Nachhinein sage ich mir aber: „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie nicht getan hätte...“
Beim Hinein beißen legte sich zunächst ein Strahlen auf ihr Gesicht. Das Strahlen verwandelte sich rasch in Ratlosigkeit. Unmittelbar darauf sprang sie auf, und pfefferte den gesamten Teller mit wüstem Fluchen und lautem Plopp in den Mülleimer.
Das war’s also:
Alle meine Mühen umsonst. Nicht einmal dem erlesenen Geschmack meiner Superfrau hatte die völlig neuartige Kreation genügt. Oder war es womöglich gerade deshalb, weil dieses exquisite Gusto mit den relativ gewöhnlichen Elementen nicht vertraut war.

Ratlosigkeit machte sich bei mir breit.
Ich suchte in Facebook die Seite von Horst Lichter. Der war zwar auch ohne jeden Stern an seiner Mütze aber gewitzt genug, die Situation kabarettistisch aufzuarbeiten. Vielleicht hatte der auch einen Rat bereit?
Dort konnte ich aber keine Kontaktadresse finden. An seiner Pinnwand wollte ich das nicht öffentlich preisgeben. So verschob ich den Gedanken erst noch einmal.

„Jetzt sieh endlich zu, dass du den Mist hier aus der Spüle kriegst oder meinst du ich putze jetzt auch noch hinter dir her? Ich mache mir ein Bütterken...!“ Sie schmollte mal wieder.
Traurig und frustriert schaute ich auf die Überreste im Mülleimer... Es scheint zu stimmen: Das wahre Genie wird nie von den Zeitgenossen wahrgenommen. Aber ich glaubte auch dass ich irgend etwas falsch gemacht hatte...
Da muss ich noch eine Weile darüber nachdenken.
Jedoch aufschreiben wollte ich meine Kreation. Vielleicht wird die Nachwelt doch noch mal aufmerksam. Aber dann ist es zu spät... Wie viele wahre Meister sind arm gestorben. Im Nachhinein machten Andere das große Geld. Wenigstens mein Name soll später über der göttlichen Kreation leuchten.

Am nächsten Tag hatte mich die Realität schon wieder. Muss ich eben doch alleine mit meiner bescheidenen Rente auskommen...
Horst Lichter habe ich nicht kontaktiert.
Aber ich habe ja noch als letzten Ausweg aus unserer finanziellen Misere das alte Frittenfett in der Garage.

Ich freue mich schon jetzt auf die verdutzten Gesichter, wenn ich bei Ilse erzähle womit ich mein Auto antreibe...

Autor:

Edgar Stötzer aus Bochum

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