Lokalkompass-Erzählungen
Der erste Mantel
„Und?“ , fragte sie und sah mich erwartungsvoll an.
„Was?“, gab ich zurück. Ich hasste diese Fragen, die ohne jeglichen Bezug einfach nur so in den Raum gestellt wurden.
„Steht er mir? Sag schon“, insistierte sie. Ihre Sohlen erzeugten in der Selbstgefälligkeit ihrer Drehbewegung ein leises Quietschen auf dem Boden.
„Wer?“ Ich sah genervt aus meinem Buch auf, in dem die Spannung gerade ihrem Höhepunkt entgegen steuerte.
„Na, der Mantel! Der ist doch toll, oder?“ Sie sprühte vor Begeisterung.
„Ach so, der…“ Ich blickte auf ein eintöniges Grau, dem außer Stoff so ziemlich alles fehlte. „Ich weiß nicht“, antwortete ich vage, um nicht gleich so festgelegt zu sein. Meine Ansichten von den Dingen und der Welt brauchten meist ein wenig, bis sie sich gefunden hatten.“
„Du bist doof“, erklärte sie und strich an sich herunter.
„Gut, dann hätten wir ja das schon mal geklärt“, entgegnete ich trocken, um endlich wieder in die Handlung meines Buches einzutauchen.
„Sag mal…", begann sie nach einer kurzen Phase der Besinnung und störte schon wieder die Ordnung der Sätze in den Seiten meines Buches, "wie war das eigentlich bei Dir?“
„Was?“, schüttelte ich genervt das Fragewort aus meinem Kopf.
„Erinnerst Du Dich eigentlich noch... an Deinen ersten Mantel?“ Sie hörte mit der Drehbewegung vor dem Spiegel auf und sah mir direkt in die Augen.
„Mantel? Ich?“ Ich musste sie ein bisschen sehr entgeistert angesehen haben, denn ihr Enthusiasmus stockte.
„Naja, hattest Du keinen? Mantel, meine ich? Also, als ich meinen ersten Mantel bekommen habe“, fuhr sie mit lauter Stimme fort, „da war ich gerade fünf geworden und ich war unfassbar glücklich, weil ich ihn mir so sehr gewünscht hatte. Er war blau.“
Blau. Das wusste nun bestimmt die ganze Ebene des Kaufhauses, in dem wir uns befanden, denn sie schwärmte mit so lauter Stimme, dass sie bis in die letzten Ritzen schwappte.
„Schön“, sagte ich freundlich. „Blau ist ja auch eine schöne Farbe.“
„Und? Hattest Du nun einen Mantel? Oder nicht?“ Sie blieb beharrlich. Die Leute guckten schon.
„Ich weiß nicht“, überlegte ich. „Ich weiß es wirklich nicht.“ Ich überlegte wirklich! Die Buchstaben vor meinen Augen verwischten sich im Blick zurück in meine Kindheit. „Als Kind… also das weiß ich wirklich nicht mehr, ob ich da einen Mantel hatte. Und wenn, dann war er wohl von meiner großen Schwester. Meine Eltern mussten damals ziemlich sparen.“
Den letzten Satz sprach ich sehr leise, weil es mir in diesem teuren Luxuskaufhaus dann doch ein bisschen peinlich war.
„Hmhm“, reagierte sie zurück und fing wieder mit der Drehbewegung vor dem Spiegel an. „Macht ja nix. War auch nur so eine Frage.“ Damit schien die Angelegenheit für sie erledigt.
„Aber jetzt“, begann ich nach einer kleinen Weile, weil ich ohnehin den Faden meiner Handlung verloren hatte, „jetzt habe ich einen.“
„Was?“, tönte es dumpf zwischen den engen Kleiderständern zu mir herüber. Sie hatte sich wohl doch noch nicht entschieden.
„Na, einen Mantel!“, rief ich in die Richtung, in der die Kleiderbügel klapperten. „Er hängt allerdings seit Jahren nur im Schrank herum. Seit wann, weiß ich gar nicht mehr… Ein Trenchcoat.“ Ich versuchte nachzudenken, doch die Bilder der Erinnerung hinkten deutlich hinterher.
„Meine Mutter fand, dass er mir gut stand und ich so etwas tragen konnte und da haben wir ihn dann gekauft. Hellbeige mit diesem Gürtel, den man hinten auf dem Rücken binden sollte, wenn man den Mantel offen trug. „Das trägt man so“, hat meine Mutter damals gesagt, weil sie immer sagte, wie man etwas trug, da ich das offenbar nicht wusste. Seitdem hängt er bei mir im Schrank. Ich weiß schon gar nicht mehr, wozu ich damals überhaupt einen Mantel brauchte“, sinnierte ich. Die Erinnerungen hinkten wirklich, in meinem Kopf blieb alles dunkel.
„Eigentlich trage ich nämlich gar keine Mäntel“, sprach ich inzwischen mehr zu mir selbst, während ich mich in Anoraks und Jeansjacken kreuz und quer durch die Etage laufen sah. Mäntel passten einfach nicht zu mir. Nicht zu Walking-Stöcken, Gartenarbeit, Fahrradtouren und Fensterputzen...
„Macht ja nix“, gab sie mit hochrotem Kopf zurück. Sie schien endlich fündig geworden zu sein. „Den probiere ich noch an, und dann…“
Sie schlüpfte in ein dünnes rotes Etwas, das auch als Fledermauskostüm hätte durchgehen können. >Rote Teufelsnase<, begann ich, mich mit mir selbst zu amüsieren.
„Eigentlich war es der Wunsch von meinem Mann“, fing sie wieder an. Die Wörter drehten sich im Hauch des leichten Stöffchens.
„Was?“, fragte ich zurück. Mein Blick versank in leuchtend roter Klatschmohnfarbe.
„Dass ich mir mal wieder einen neuen Mantel kaufe“, stellte sie meine Unwissenheit zufrieden.
„Dein Mann?“, staunte ich und dachte nach. „Sag mal…, wie war das eigentlich bei Dir?“ Die Neugier gesellte sich an meine Seite.
„Was?“, hielt sie irritiert inne.
„Na“, sagte ich, „Dein erster Mann. TELL!“
Ich lachte sie frech an, klappte mein Buch zu, hakte die flatternde rote Teufelsnase unter und schleppte sie fröhlich zur Kasse. „Lass uns einen Kaffee trinken gehen!“
* * * * * *
© Sabine Schemmann, Freie Erzählungen März 2019, entstanden im Rahmen der Teilnahme an einer Kreativen Schreibwerkstatt
Autor:Sabine Schemmann aus Bochum |
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