Früher einmal in Bochum
Bochum- Zuckerbrot und Rübenkraut oder die Zeitmaschine.
Früher:
Wer kennt Sie nicht, die Geschichte der Zeit-Maschine. Silvester 1899 lädt der Erfinder George seine Freunde ein um seine neueste Errungenschaft zu zeigen, eine Zeit-Maschine.
Spät in der Nacht, als alle gegangen waren, testete er sie erstmalig. Er reist durch die Zeit.
Heute:
Ich gehe zum Fenster, der Schnee fällt in dicken Flocken, ein richtig grauer Tag im November, der mich eigentlich schon am Morgen müde macht.
Leichter Nebel versperrt mir die Aussicht aus dem Fenster, die Schneeflocken malen die angelaufenen Scheiben zu einer bizarren Winterlandschaft.
Früher, als wir Kinder waren, gab es bei frostigen Winternächten an den Fenstern herrliche Eisgebilde an den Fenstern.
Oh weh, in der Küche läuft gerade die Milch über den Rand des Topfes und ich werde aus meinen Schneebetrachtungen gerissen.
Auch das noch: also putzte ich missmutig den Herd und nehme die verbliebene Restmilch für meine Tasse Kakao. Schon wieder diese Erinnerungen, die mich stets vor und in der Adventszeit ereilen.
Gerade noch die Hände im Teig, verweilen meine Gedanken in die Vergangenheit , mit dem Resultat: ,,Das erste Blech mit dem Weihnachtsgebäck liegt brikett-ähnlich vor mir." Eine kleine Schaffenspause würde mir jetzt gut tun, der heiße Kakao wird mit einem Schuss Weinbrand gestreckt ( damit er nicht friert). Nun aber mach ich auf gemütlich und döse auf dem Sofa vor mich hin.
Später:
Ein Geräusch schreckt mich..., auf ein heller Strahl erleuchtet den inzwischen winterlichen Garten. Ich öffne die Tür und traue meinen Augen nicht, vor mir steht ein Gefährt mit kleiner Aufschrift:- Zeitmaschine-. Ich schaue auf die Armaturen und sehe die magische Zahl eingegeben - 1958.
Ich weiß nicht warum ,wie unter Zwang steige ich ein. In nur wenigen Minuten habe ich mein Ziel erreicht.
Ich befinde mich in der Wohnküche meiner Eltern, meine kindliche Vorfreude reißt mich von jetzt auf gleich aus meiner herbstlichen Schwermut. Ich sehe uns,- ich sehe uns, jubelt es in mir, da sind Mutter, Vater, Schwester Erika und ich sehe, mich mit gerade mal sechs Jahren. (Ich werde gerade zur gnadenlosen Melancholikerin.) Ich sehe meine leuchtenden Kinderaugen, atme Plätzchenduft, lausche dem knistern des Ofens. Der Wunsch nach Ruhe, Frieden und Stille macht sich breit.
Ich merke, wie besonders die Adventszeit immer für mich war. Ich glaube, es lag an der Vorbereitungszeit, die wir mit Basteln von Strohsternen und Baumspitzen ausfüllten.
Der Adventskranz wurde selbst gebunden dekoriert mit Dingen aus der Natur.
Ich drehe mich um...
Mutter trägt ihre Weihnachtsschürze von Oma Anna, um ihr Kleid nicht zu beschmutzen.
Sie trug sie immer in der Adventszeit ,weil Teig und Bratensoße es immer auf sie abgesehen hatten. Wir besaßen eine Kaffeekanne in die das ganze Jahr kleine Beträge für Weihnachten gelegt wurden, damit es beim Fest an nichts fehlte. Die Rabattbücher vom Konsum wurden stets für den Adventseinkauf gehortet. Ich schaue mich um, auch hier kocht gerade die Milch über, hoffentlich gibt es trotzdem meinen geliebten Kakao. Meine große Schwester und ich warten darauf, das der Backofen etwas auskühlt denn wir kommen vom Rodeln und möchten unsere Füße darin wärmen. Wir bekommen jeder zwei Plätzchen, außer der Reihe, und schielen dabei auf unseren Adventskalender. Manchmal kann ich Nachts nicht schlafen und freu mich auf das öffnen des Törchens und ein Stück Schokolade. Gerade erfahre ich ,dass Liselotte verschwunden ist, aber sicher bis zur Weihnacht wieder auftaucht. Liselotte ist meine Lieblingspuppe, Mutter hat sie beim Putzen verlegt, wie im letzten Jahr. Sie tauchte Heiligabend wieder auf und trug das gleiche Kleid wie ich.
War das eine große Freude. Wir hatten somit das gleiche Sonntagskleid und Sonntagskleidung war ein Muss 1958.
Das alles sehe ich vor mir...Wir singen und sind fröhlich. Papa hat noch einen Termin beim Christkind, ging wohl um die roten Skier, die er uns Kindern selbst bastelte und die so wunderbar rot waren, das sie dem Schnee eine andere Farbe gaben. Ich werfe einen Blick in unser bescheidenes Zuhause. Das klitzekleine Wohnzimmer wurde nur am Sonntag benutzt. Unser Leben fand in der Wohnküche statt, Herd, Kühlschrank, Sofa und Tischgruppe. Wo hatten wir bloß all" unsere Sachen? Na, so viel war es ja auch nicht. Ich sehe uns am Esstisch, wir beten gleich, bevor es an die Erbsensuppe geht. Ich mag ja lieber Zuckerbrot und Rübenkraut, aber die Zähne, heißt es dann immer. Heute gibt es noch ein Dessert, weil wir so fleißig waren, Omas Einmachglas mit Kirschen aus ihrem Garten wird feierlich geöffnet. Geschlagene Sahne gibt es auch dazu. Morgen ist der erste Advent und wir Kinder freuen uns nach dem Kindergottesdienst eine Kerze anzünden zu dürfen. Ich gehe schnell noch einmal zum Fenster, meine Schulfreundin Ulla wohnt in Sichtweite. Es brennt noch Licht: gleich muss sie wie ich ins Bett. Wir gehen in die erste Klasse, mit Griffel, Schiefertafel, Schwamm und so. Einmal Winken und ab durch die Mitte ruft Mutti. Ich würde wie immer nun zu Bett gehen und ich wusste ja, ich würde noch einige male Gründe finden, um wieder aufzustehen.
Da stand ich nun und sah mir selber zu.
Plötzlich drehten alle ihre Köpfe in meine Richtung und lächelten. Mutter kam auf mich zu und streichelte mein Haar. Vater drückte mich feste an sich. Schwester Erika grinste wie sie es heute noch macht. Die Tränen liefen mir übers Gesicht.
Das war Abschied...
Plötzlich:
Ohrenbetäubender Lärm, ich blinzelte, aufgewacht, nur ein Traum,-schade-.
Ich spüre den Adventzauber um mich herum, spüre die Nähe meiner Lieben die nicht mehr sind.
Ich gehe zum Fenster, der Schnee fällt in dicken Flocken. Leichter Nebel versperrt mir die Aussicht, aber...
ich sehe Spuren im Schnee, eine freie Fläche, die ich mir nicht erklären kann...
Autor:Gudrun - Anna Wirbitzky aus Bochum |
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