„Passion I und II“ im Schauspielhaus
Zwischen Macht und Moral

Die Passionsgeschichte spielt in der Adaption von Michail Bulgakows "Meister und Margarita" eine große Rolle. | Foto: Armin Smailovic
  • Die Passionsgeschichte spielt in der Adaption von Michail Bulgakows "Meister und Margarita" eine große Rolle.
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Die Erleichterung darüber, nicht mehr auf Abstand spielen zu müssen, ist dem Ensemble von „Passion I und II“, das Michail Bulgakows Roman „Meister und Margarita“ mit Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ verknüpft, anzumerken – und der Enthusiasmus der Schauspieler überträgt sich auch auf das Publikum im Schauspielhaus. Regisseur Robert Borgmann gelingt ein komplexes Spiel um Fiktion und Wirklichkeit, das die Fragen um Moral und Macht in die Gegenwart verlängert.

Verschiedene Geschichten sind hier auf komplexe Weise ineinander verschachtelt: Am Anfang steht eine Aneignung der Passionsgeschichte, in der der grausame Staatsapparat der stalinistischen Sowjetunion, mit dem Michail Bulgakow bei der Arbeit an seinem Roman, den er kurz vor seinem Tod im Jahre 1940 vollendete, konfrontiert war, durchscheint. Im Hintergrund klappern jedoch bereits die Schlüssel der Krankenschwester oder besser Aufseherin. Denn der Autor jener eigenwilligen Version der Passionsgeschichte – jener Meister, von dem im Titel des Romans die Rede ist – verbirgt sich in der Psychiatrie vor einem Regime, das den Atheismus zur Staatsdoktrin erhoben hat.
Seine Geliebte Margarita ist zugleich Teil der Geschichte um den schwarzen Magier Woland, die Anklänge an Goethes „Faust“ erkennen lässt. In diesem Spannungsfeld werden Fragen von Gut und Böse, Treue und Verrat, Prinzipienfestigkeit und Feigheit verhandelt. Dabei ist „Passion I und II“ nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit der Sprache, die die Wirklichkeit ja erst mit konstituiert.

Beklemmend aktuell

Nun könnte man einwenden, dass das alles wenig mit der bundesrepublikanischen Realität des Jahres 2021 zu tun hat, für die die Praktiken des Realsozialismus oder gar des Stalinismus nur ein mehr oder weniger lebendiger Teil der Geschichtskultur sind. Doch so einfach macht die Inszenierung dem Zuschauer die Sache nicht: Welche Rolle der Verfassungsschutz und seine V-Leute in der Geschichte des Nationalsozialistischen Untergrunds nun tatsächlich gespielt haben, wird wohl nie bis ins Letzte aufgeklärt werden – eine Folge staatlichen Versagens und der mangelnden Bereitschaft, die rechtsextreme Ideologie hinter der Mordserie zu erkennen. Und auch an andere Formen des Bösen und seine Verbrämung durch krude Ideologien erinnert „Passion I und II“. Moralische Kapitulation vor menschenverachtendem Gedankengut ist eben nicht ausschließlich eine Sache von Diktaturen – auch (im Großen und Ganzen) funktionierende Rechtsstaaten sind davor nicht gefeit.
Nun klingt das alles nach einem bitterernsten Abend, aber das Vergnügen kommt in den drei Stunden nicht zu kurz. „Passion I und II“ ist ein ausgesprochen sinnliches Theatererlebnis, das seinen ernsten Gegenstand jedoch immer angemessen behandelt. Das ist vor allem den Hauptdarstellern Steven Scharf (als Pontius Pilatus und Meister), Pierre Bokma (Woland), Gina Haller (Margarita) und Alexander Wertmann (Jeschua Ha-Nozri, also Jesus) zu verdanken. So ist „Passion I und II“ die Aneignung eines Klassikers für die Gegenwart und wird einen als Zuschauer noch länger beschäftigen. Eine Inszenierung zum (mindestens) zweimal Anschauen.

Termine
- „Passion I und II“ ist am Sonntag, 24. Oktober, um 18 Uhr wieder im Schauspielhaus, Königsallee 15, zu sehen.
- Weitere Termine: Freitag, 12. November, 19.30 Uhr; Sonntag, 14. November, 19.30 Uhr.
- Karten können auf: schauspielhausbochum.de erworben werden.
- Die Theaterkasse ist unter Tel.: 3333 5555 zu erreichen.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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