Zum 40. Todestag des Bochumers Wilhelm Hünnebeck: ein Leben geprägt von doppelter Stigmatisierung als "Halbjude" und Homosexueller

Susanne Schmidt vom Stadtarchiv, die Buchautoren Hubert Schneider und Jürgen Wenke und Martin Buschmann vom Umwelt- und Grünflächenamt zeigen Bilddokumente zur Geschichte der Familie Hünnebeck.
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  • Susanne Schmidt vom Stadtarchiv, die Buchautoren Hubert Schneider und Jürgen Wenke und Martin Buschmann vom Umwelt- und Grünflächenamt zeigen Bilddokumente zur Geschichte der Familie Hünnebeck.
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Wilhelm Hünnebeck wurde 1897 in Bochum geboren. Bis 1933 verlief sein Leben so, wie es seine Herkunft aus einer der Honoratiorenfamilien der Stadt erwarten ließ. Von den Nationalsozialisten als „Mischling“ klassifiziert, veränderte sich sein Leben auf dramatische Weise. Als Homosexueller geriet er zudem mit dem von den neuen Machthabern verschärften Paragraphen 175 in Konflikt. Wilhelm Hünnebeck starb 1976 in Hamburg – im September jährte sich sein Todestag zum 40. Mal. Aus diesem Anlass erinnern Hubert Schneider, Susanne Schmidt und Jürgen Wenke, die sich in dem 2009 veröffentlichten Buch „Leben im Abseits“ den Biographien Wilhelm Hünnebecks und seiner jüngeren Schwester Agnes aus verschiedenen Perspektiven nähern, an den Vertreter einer bedeutenden Bochumer Familie.

Wilhelms Vater Otto Hünnebeck hat nämlich ein Bauwerk geschaffen, das noch heute zu den bedeutendsten Landmarken der Stadt zählt, wie Susanne Schmidt, Archivarin im Stadtarchiv Bochum, weiß: „Der Bismarckturm im Stadtpark wurde 1908 von ihm vorgeschlagen. Er unterstützte den Bau auch mit einer Spende.“ Otto Hünnebeck, der 1911 starb, erlebte noch die Einweihung des Turms im Jahre 1910. „Die Tafel, die am Bismarck-Turm an den Initiator Otto Hünnebeck erinnerte“, erzählt Susanne Schmidt, „wurde 1933 entfernt.“
Der 1859 geborene Otto Hünnebeck war Rechtsanwalt und Notar. Als Mitglied der Nationalliberalen Partei war er nicht nur glühender Bismarck-Verehrer, sondern auch Anhänger der nationalen Einheit, die sich mit der Gründung des Kaiserreichs im Jahre 1871 verwirklicht hatte. Der Historiker Hubert Schneider resümiert: „Mit der Realisierung des Bismarckturms ging für ihn ein Traum in Erfüllung.“ Dass die Nationalsozialisten die Tafel am Turm entfernen ließen, ist darin begründet, dass der evangelische Nationalist Otto Hünnebeck seit 1886 mit Agnes Sutro verheiratet war, die aus einer angesehenen jüdischen Familie stammte.

Ein prominentes Mitglied der Bochumer Gesellschaft

„Obwohl Agnes Sutro einer orthodoxen jüdischen Familie angehörte“, erklärt Schneider, „trat sie bei ihrer Hochzeit mit Otto Hünnebeck zum evangelischen Glauben über.“ Wilhelm Hünnebeck, der neben der jüngeren Schwester Agnes noch zwei ältere Brüder hatte, schien eine glänzende Karriere vorherbestimmt. Er stand ganz in der konservativ-liberalen Tradition, die sowohl die Familie seiner Mutter als auch sein Vater Otto vertrat. So war er Mitglied einer pflichtschlagenden und farbentragenden Studentenverbindung, des „Corps Borussia“. Auf einem Foto aus dem Jahre 1945 sind seine Schmisse deutlich zu erkennen. Er wurde 1918 Mitglied der Deutschen Volkspartei (DVP) und war ein prominentes Mitglied des Bochumer Bürger-Schützenvereins. „Wilhelm Hünnebeck wirkte als Rechtsanwalt und Notar“, blickt Schneider auf Hünnebecks Leben in den zwanziger Jahren. Der Bruch in seinem Leben vollzog sich abrupt mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1933.
Wegen seiner jüdischen Großeltern mütterlicherseits galt Wilhelm Hünnebeck als Mischling. Da er nicht jüdisch, sondern christlich erzogen worden war und nicht mit einer Jüdin verheiratet war, schien seine Lage zunächst vielleicht nicht ganz so bedrückend wie die anderer „Halbjuden“. In der Realität wurde sein beruflicher und gesellschaftlicher Aktionsradius jedoch erheblich eingeschränkt. Schneider nennt ein besonders gravierendes Beispiel: „Nichtjüdische Klienten suchten den Anwalt Wilhelm Hünnebeck nicht mehr auf.“ Die Folge war zunehmende materielle Not.
„Wilhelm Hünnebeck war in der Weimarer Republik als Konservativer bekannt und trat als Schützenkönig offiziell mit seiner Königin auf“, ruft Jürgen Wenke, einst Mitinitiator der „Rosa Strippe“ und Co-Autor des Buches „Leben im Abseits“, in Erinnerung und fügt an, „er war im Nationalsozialismus nicht durch eine Ehe geschützt und wurde 1940 wegen homosexueller Handlungen nach Paragraph 175 verurteilt.“ - Was die fünfmonatige Haftstrafe bedeutete, beschreibt Wenke eindrücklich: „Hünnebeck war durch die jüdische Herkunft der Mutter und die Stigmatisierung als Sittlichkeitsverbrecher doppelt diskriminiert. Der Ruf war hin, wie man damals sagte.“

Nationalsozialisten verfolgten Homosexuelle mit aller Härte

Die Nationalsozialisten hatten den seit dem Kaiserreich geltenden Paragraphen 175 erheblich verschärft: Wurden zuvor nur beischlafähnliche Handlungen verfolgt, wurde er nun auf alle sexuellen Handlungen zwischen Männern angewendet, auch wenn keine gegenseitige Berührung nachweisbar war. Auch die Höchststrafe wurde von vier auf fünf Jahre Gefängnis heraufgesetzt.
Wilhelm Hünnebeck verließ Bochum 1941/42 und zog nach Berlin. Der Entzug seines Doktortitels hatte ihn sehr getroffen. Auch geriet er wegen seiner Homosexualität abermals mit dem Gesetz in Konflikt. „Seine Schwester Agnes“, so Wenke, „sorgte dafür, dass das Verfahren niedergeschlagen wurde.“

Diskriminierung Homosexueller setzte sich nach 1945 fort

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches schien es für Wilhelm Hünnebeck wieder bergauf zu gehen. Jürgen Wenke beschreibt, wie der Jurist versuchte, wieder Fuß zu fassen: „Der Doktortitel wurde ihm wieder zuerkannt. Im Sommer 1945 ging er eine Ehe ein, wohl in der Hoffnung, dieser Schritt werde ihn vor weiterer Verfolgung als Homosexueller schützen.“ Der Paragraph 175 bestand nämlich in seiner 1935 verschärften Fassung weiter, bis er 1969 erstmals abgemildert und 1994 schließlich abgeschafft wurde. Das Fortbestehen der Strafverfolgung männlicher Homosexueller wurde schließlich auch Wilhelm Hünnebeck erneut zum Verhängnis.
Im Sommer 1949 hatte er auf einer Zugreise nach Bochum einen jungen Mann kennengelernt, mit dem er in Berlin zusammenlebte. Der Mann erpresste Hünnebeck schließlich. Dieser ließ sich dazu hinreißen, Gelder zu unterschlagen. Er wurde erneut verurteilt; vor dem Hintergrund der Zeit war das Urteil, das eine Bewährungsstrafe vorsah, eher mild. Die gesellschaftlichen Folgen waren allerdings gravierend, wie Jürgen Wenke ausführt: „Hünnebeck verlor erneut seine Zulassung als Rechtsanwalt. Er unternahm einen Selbstmordversuch, wohl auch weil er zum zweiten Mal wirtschaftlich ruiniert war.“

Erinnerung an den Vater

Ab den fünfziger Jahren hatte Hünnebeck seinen Lebensmittelpunkt in Hamburg. Es gelang ihm, sich als Wirtschaftsjurist zu etablieren, er erreichte jedoch nicht mehr die Stellung, die er sich in der Weimarer Republik bereits erarbeitet hatte. „Sein Leben nach 1933“, zieht Wenke Bilanz, „war geprägt vom gesellschaftlichen Abstieg – Stück für Stück.“
Noch einmal nahmen Wilhelm Hünnebeck und seine Schwester Agnes, die es 1945 zunächst nach Berlin und dann nach Freiburg zog, wo sie 1983 verstarb, Kontakt mit ihrer Heimatstadt Bochum auf. Ihnen lag die Erinnerung an ihren Vater Otto Hünnebeck, dem Bochum den Bismarckturm verdankt, am Herzen. Die Nationalsozialisten hatten die Erinnerung an den bedeutenden Bochumer Bürger einst tilgen wollen. Das wollten Wilhelm und Agnes korrigiert wissen und baten darum, erneut eine Erinnerungstafel am Turm anzubringen. Der Rat der Stadt Bochum entsprach diesem Wunsch 1961. Die Tafel befindet sich bis heute im Inneren des Turms.

Das Buch
Hubert Schneider/Susanne Schmidt/Jürgen Wenke: Leben im Abseits. Agnes und Wilhelm Hünnebeck aus Bochum. Klartext-Verlag. ISBN 978-3-8375-0205-3

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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