Was tun, wenn die Kirchenglocken nicht aufhören zu bimmeln? - Die Glocken von Mimklinkhausen
Es begibt sich nun einmal, dass ein jeder Ort, sei er auch noch so klein, eine Kirche hat. Oder zwei. Oder drei. Oder noch mehr. Um die Gläubigen anzuhalten, sich neben ihrer Arbeit auch dem Himmel zu widmen und andächtig hinaufzuschauen, ertönen die großen und kleinen Glocken der Kirche. Oder von allen Kirchen des Ortes, oftmals zur gleichen Zeit. Und das in der Regel einmal zu jeder vollen Stunde, einmal zu jeder halben Stunde und einmal jede Viertelstunde mit einem tiefen Gong und dann einem anschließenden helleren Gong für die Stundenzahlen. Doch morgens, mittags und abends wird zusätzlich mit lang anhaltendem Glockengeläut der Morgen, Mittag und Abend eingeläutet, etwa zehn Minuten lang. Natürlich ertönen dabei alle Glocken im Geläut, und das sind nicht wenige. Zu den Gottesdiensten, den Messen, aber auch zu Hochzeiten, Beerdigungen und Taufen, die dann als Extraveranstaltungen in der Kirche abgehalten werden, erklingen eine halbe Stunde vorher auch sämtliche Glocken, lang und ausgiebig, bis sich die Gemeindemitglieder auf den Kirchenbänken niedergelassen haben. Bei einer Hochzeit ist es wichtig, den Ausgang von Braut und Bräutigam zu beläuten, quasi für ihren neuen Lebensweg.
Die Leute haben sich daran gewöhnt, ja, man kann sagen, sie können fast ihre Uhren danach stellen, morgens um sieben, aber sonntags morgens um acht, da man ja doch gerne etwas länger schläft, dafür dann aber ab zehn Uhr das Geläute für den Sonntagsgottesdienst. Der Ton dieser Klangkörper und ihre Schwingungen vibrieren körperlich spürbar, wenn man sich in der Nähe aufhält. Als früher die Glocken per Hand geschlagen wurden, wurden diese Menschen in der Regel taub. Aber jetzt funktioniert ja alles elektrisch, wahrscheinlich genauestens programmiert. So gesehen ist dieser christliche Brauch in der Neuzeit angekommen. Wenn es funktioniert.
In Mimklinkhausen funktionierte es nämlich heute nicht. Ich will nicht sagen, dass die Glocken heute nicht läuteten. Zu einer ganz ungewöhnlichen Zeit, nämlich um halb zehn Uhr morgens, begannen sie.
War hier eine Hochzeit, eine Beerdigung oder eine Taufe? Die Glocken schwangen und klangen vergnügt vor sich hin, nach einer viertel Stunde noch immer. Das könnte doch eigentlich zum Entree reichen. Sie schwangen und klangen weiter. Ich sah den Pfarrer eilends zur Kirche laufen. Die Glocken erklangen weiter, mitunter mit einer kleinen unrhythmischen Glocke, die den Takt wohl nicht halten konnte und immer dazwischen bimmelte. Der Küster kam angelaufen.
Es klang und schwang nunmehr schon fast eine halbe Stunde. Erst, als die Glocken etwa eine Stunde bimmelten, schauten die Leute aus den Fenstern. Irgendetwas schien ungewöhnlich zu sein. Der Hund der Nachbarn begann jaulend zu bellen und ließ sich nicht beruhigen. Ein Schwarm Tauben flog auf und wenn es an der Kirche Fledermäuse gab, so waren diese wohl auch längst geflüchtet, mal abgesehen von eventuellen Ratten und Mäusen. Die Glocken schwangen. Ein Techniker wurde gerufen, doch der kam aus dem anderen Dorf, Obermimklinkhausen, und brauchte so seine Zeit.
Oma Uhlemeier jammerte, sie habe wohl wieder ihren Tinnitus und hielt sich die Ohren zu. Durch diese extremen Schwingungen, so meinte die Nachbarin, könnte ja eventuell auch die Milch sauer werden. So schwang sich alles auf und lief zur Kirche, obwohl dort die Schallentwicklung, wie ein Beamter meinte, kaum noch auszuhalten war. Endlich kam der Techniker. Er schaltete kurzerhand den Strom ab und nahm die Sicherungen heraus. Und auf einmal breitete sich eine wunderbare Ruhe aus, eine sanfte Stille erfasste Mensch und Tier. Die Ohren dröhnten noch etwas nach. Wie nach der Arbeit im Stahlwerk, sagte Opa Mönkelmeier. Alles schaute zum Himmel, atmete erleichtert auf und war froh.
- Ist das jetzt ein Zeichen? - fragte das ältliche Fräulein Lämmchen inbrünstig.
Das war ein Zeichen, dachte ich so bei mir. Ein Zeichen, dass uns der Himmel bei Ruhe und Stille manchmal wohl doch wesentlich näher ist.
Autor:Ingrid Dressel aus Bochum |
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