Unser einstmals geliebter Lebertran - Satire

Unser einstmals geliebter Lebertran
Kinder der Wohlstandseltern in der Nachkriegszeit bekamen jeden Abend den guten Lebertran aus einer Tube gedrückt. Er schmeckte nicht und sodann wurde er mit  Zitronenaroma verfeinert, was auch nicht schmeckte.
Die Wohlstandskinder sollten wie das Rotbäckchenkind auf der Flasche ein rosiges rotbäckiges Apfelgesicht haben. Das war den Eltern eine Grundlage für ein gesundes erfolgreiches Leben ihrer Sprösslinge.
Mit gutem Gewissen flössten sie uns das eklige Zeug ein oder steckten uns beim Arzt unter die Höhensonne, vielleicht als Vorläufer der Bräunungsstudios,  und vertraten gleichsam die guten Regeln von Recht und Ordnung, damit aus dem Kinde etwas Gescheites werde.
Heute erreicht uns wieder eine Einheitlichkeit wie bei dem einstigen Lebertran – Brei, wir schlucken Schluck für Schluck eine täglichen Portion des Schleims, um gesund und fit zu sein, und um im System gut mitzuhalten und zu funktionieren.
Wir schlucken und schlucken.
Diese Einheitlichkeit in Schulen, Unis, dem Internet, den Medien und der Politik vereinfacht uns vieles und wir müssen uns nicht mehr anstrengen, können vergessen, besonders viel zu denken.
Wir werden wie früher gefüttert und geführt, schlucken und sagen:
- So schlimm ist es ja nicht. Es wird uns schon nicht schaden.-
und vertrauen mit blinder Zuverlässigkeit auf das, was wir eingeflösst bekommen, eine neue woke Sprache, ein Cancel Culture, neue vereinfachte Dogmen zu unserem Heil und Segen und wir merken nur kaum, dass es dabei um Macht geht.
Die Einheitlichkeit hilft der vereinheitlichten Regierung, besser und einfacher zu regieren, denn je mehr Menschen diesem Einheitsbrei folgen, desto weniger anstrengend ist es für sie und desto leichter können sie für uns eine neue Lebertran Sorte entwickeln und verabreichen und dabei verkünden, das, was gut und wahr und nahrhaft für uns ist, die richtige Harmonie verschaffe.
Böse Zungen behaupten allerdings, gerade das sei ja die Taktik, uns so lange zu verwirren, bis sich keiner mehr auskennt und wir nicht wissen, wo oben und unten ist.
Die Oppositionellen, so wird uns gesagt, sind nicht zu integrieren. Uns wird angeraten, jeden Abend den Acht Uhr Brei zu nehmen, in einer vereinfachten Einheitssprache, damit wir ihn verstehen.
Eine Sprache zu reduzieren, heißt aber auch, sprachlos zu werden, denn wenn einfache Gesetze durchgewunken werden, versteht sie dann niemand mehr.
Dank unseres einheitlichen Lebertrans.

Autor:

Ingrid Dressel aus Bochum

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