Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte
Über Mike Oldfield und schmackhafte Würstchen in einem rotierenden Topf mit kochendem Wasser drin
Zum letzten Weihnachtsfest schenkte ich mir die „Return To Ommadawn“ von Mike Oldfield. Sie erschien 2017 als Fortsetzung von „Ommadawn“, die er 1975, nach „Tubular Bells“ und „Hergest Ridge“, veröffentlicht hatte. Ich kaufte sie selbstredend als LP.
Allein das Reizwort „Return“ löste sofort einen verborgenen Hebel in meinem Hirn aus und ich trudelte lässig, wie weiland die zwei Wissenschaftler in der Abenteuerserie „Time Tunnel“, durch die Zeit und landete, wie es auch bei ihnen stets üblich war, mittenmang in ein historisches Ereignis. Nein, nein, nicht in die Zeit der Raubritter oder der Regentschaft von Napoleon. Ich fand mich in jener nachmittäglichen Stunde wieder, als ich erstmalig mein Multiplay-Recording mithilfe von zwei Universum-Cassetten-Recordern bewerkstelligen wollte.
Als Mike mit seinen Aufnahmen zu seiner Debüt-Platte begann, war er 19 Jahre alt und beherrschte so tolle Instrumente wie Klavier, Orgel, Geige, Glockenspiel und vor allem elektrische und akustische Gitarren. Ich war 16, konnte recht passabel mit Töpfen, Pfannen, Salatbesteck, Vogelpfeife, Kazoo und meiner Wander-Gitarre hantieren, und ich besaß zudem eine spezielle Single, die vollgepackt war mit Regengeplätscher, Wildbachrauschen, pfeifenden Winden, aufregenden Hup-Konzerten, abenteu-erlichen Bremsgeräuschen, tickenden Wanduhren und Wecker-Geklingel, grollenden Blitz- und Donner-Entladungen und so vielem mehr. Somit war ich bestens gerüstet, erste Aufnahmen zu wagen.
Einen Titel für mein verdammt klangstarkes Oeuvre hatte ich mir bereits überlegt und natürlich in Englisch auf die Seite 1 meiner C45-Cassette geschrieben: Tasty Hot Dogs In A Rotating Pot Of Boiling Water. Verwegen setzte ich Part One: Introduction dahinter, weil ich von den Platten, die mich zu meiner Konzeptmusik-Idee beeinflusst hatten, wusste, dass erfolgreiche Instrumentaltitel immer mehrere Parts haben müssen. Ich hatte lange experimentiert und war dann überzeugt: Knallheiße Würstchen klingen musikalisch am besten, wenn ich das Geklingel des Weckers mit prasselndem Regen zusammenmischen würde. Gesagt, getan und Tasten gedrückt – und schon war mein zehnsekündiges Intro im Kasten.
Mike Oldfield allerdings war schuld daran, dass ich den Rest meines episch angelegten Werkes über schmackhafte Würstchen in einem rotierenden Topf mit kochendem Wasser drin weder fortgesetzt noch vollendet habe und somit auch niemals das Ohr eines Hörers kitzeln konnte. Während ich mich also für die nächste Aufnahme konzentriert mit meinem Part Two beschäftigte, zu dem ich vier akkurat gesetzte Akkorde mit fein säuberlich gepustetem Kazoo-Gebläse umwickeln wollte, sprang plötzlich dieser britische Bengel aus dem Gebüsch hervor und haute die fertige „Tubular Bells“ heraus.
Unfassbar! Denn genau diese Art von Instrumentalmusik zu fabrizieren, war exakt auch mein Ansinnen gewesen. Herrgott, was war ich sauer! Ich habe dann alles stehen und liegen gelassen, mottete meine Gitarre ein und vertrödelte fortan mein Leben damit, auf meine Recorder stundenlang Musik aufzunehmen und mir diese exzessiv durch den Gehörgang zu jubeln.
Die wirklich wunderbare Musik auf der „Tubular Bells“, die bei mir für erfolgreiche Onanierstunden sorgte und sogar so entspannend wirkte, dass ich keine Zeit mehr für die Zigarette danach fand, weil ich sofort einschlief, hätte ich in jenen fernen Tagen sicherlich nicht toppen können. Doch je häufiger ich aber die Platte hörte, desto mehr kam es mir so vor, als wäre die Musik ein Teil von mir. Zwar standen bei ihm Röhrenglocken im Mittelpunkt, nicht ein schmackhaftes Paar Würstchen, trotzdem war ich mir sicher, dass hier und da übereinstimmende Winzigkeiten mit meinen Geistesblitzen nicht zu überhören waren. Mike Oldfield also fuhr mir in die Parade und raubte mir mit seinem fein gewebten und wohlklingenden Klanggeflecht den Sinn für selbst zu machende Musik. Natürlich haderte ich deswegen auch mit der „Tubular Bells“. Als ein Jahr später seine zweite Alleingang-Aufnahme, „Hergest Ridge“, erschien, stellte ich fest, dass er die Musik durchaus in meinem Sinne und zu meinem speziellen Vergnügen weiterführte. So war’s auch bei der nachfolgenden „Ommadawn“. Er hatte meinen Segen, es war okay.
Da mir bis auf den heutigen Tag in keiner Weise bekannt ist, was der Mann seit 1976 an Musik veröffentlicht hat, dachte ich mir beim weihnachtlichen Kauf einfach nur, ach, die „Return To Ommadawn“, die knüpft an alte Zeiten an und passt sicherlich gut zur stillen Zeit zwischen den Jahren. Ich legte die Platte zunächst beiseite, denn Hören ist ebenso eine Tätigkeit wie Waschen, und Waschen, so rät der Volksmund, soll man in diesen stillen Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr auf keinen Fall wegen der Geister, Hexen und so weiter, denn sonst droht jemandem in der Familie Unglück, Pech, im schlimmsten Fall sogar der Tod!
Es ist wohl ein jahrhundertealter Aberglaube, der vielen Menschen in den Köpfen, so auch in meinem, umherspukt. Woher er kommt, und was es in dem Zusammenhang mit dem Verbot von häuslichen Aktivitäten auf sich hat, kann ich nicht erklären, hat sich wohl von meiner Oma auf meine Mutter übertragen, ist offensichtlich somit auch bei mir genetisch verankert. Also hörte ich die Platte zwischen dem 25. Dezember und 6. Januar nicht, denn ich wollte nicht, dass meiner Frau oder den Schwiegereltern, in deren Haus wir lebten, irgendwas zustößt.
Einen weiteren Grund, den Hörgenuss zu verschieben, lieferte uns die neue Stadt, in die es uns verschlagen hatte. Es war dort nämlich sehr laut. Vor allem vor, während und nach der Weihnachtszeit: S-Bahnen, U-Bahnen, Busse und der Autoverkehr…
Meine Güte, dieser Verkehr!
Und die zahllosen Baustellen mit ihren Baustellengeräten…
Meine Güte, diese Baustellen!
Und das Gehupe, das Gebremse, das Gebimmel, das Getrappel der vielen Menschen…
Meine Güte, diese Menschen!
Hamburg präsentierte sich in der stillen Zeit als lärmende Weltstadt. Und mittendrin agierten auch noch reihenweise Straßenmusiker, die die stillen Weisen, die in dieser stillen Zeit üblich sind, in aller Öffentlichkeit lautstark aus allen möglichen Instrumenten und auch aus dem Schifferklavier herauspressten und im Wechsel mit launigen Hans-Albers-Liedern intonierten, nur unterbrochen von ihrem ratternden Lockruf 10Cent10Cent-10Cent10Cent, mit dem sie um eine milde Gabe für ihren Vortrag baten. Ich war mir sicher, der Stadt drohte noch ein großes Unheil nach der Weihnachtszeit.
Seitdem nun das gesamte Leben darniederliegt und es in der Stadt nach den Umtauschaktionen und dem Abbau der Weihnachtsmärkte ganz still geworden ist, habe ich mir völlig ungezwungen, völlig offen und völlig vorurteilsfrei die „Return To Ommadawn“ angehört. Nach einer erfolgreichen aphrodisierenden Erquickung und einer Mütze voll Schlaf glaube ich, dass ich beim Lauschen abermals eine Reihe klangschöner Spurenelemente vernommen habe, die glatt von mir hätten sein können, weil ich sie so und nicht anders für meinen selbstgebastelten Sound zur Illustration meiner schmackhaften Würstchen in einem rotierenden Topf mit kochendem Wasser drin vorgesehen hatte. Anscheinend lag ich mit meinen Ideen gar nicht so falsch, und vielleicht wäre aus mir eventuell doch noch irgendwas Musikalisches geworden, wenn ich nicht so früh aufgegeben hätte.
Daher kam es mir im Januar des neuen Jahres auch heiß in den Sinn, demnächst loszuziehen und mir alle bis heute erschienenen Oldfield-Veröffentlichungen zu besorgen, allein nur um nachzuprüfen, ob es nicht noch mehr dieser Ton-Schnipsel gibt, die so oder so ähnlich auch aus meinem Klangkosmos hätten stammen können. Die Idee, die sich sofort anschloss, nämlich diese Ingredienzien zu sammeln, um auf deren Grundlage zunächst melodiöse Bissen eigener Denkart quasi als Zwischenmahlzeit zu kreieren, um schließlich – immerhin nach jahrzehntelanger Spiel- und Kompositions-Abstinenz - doch noch mein mehrgängiges Hot -Dogs-Gala-Dinner zuzubereiten, verwarf ich nicht sofort. Das Leben geht nach Weihnachten und Neujahr nun mal in gewohnter Art und Weise weiter, auch in Hamburg blieb das von mir prognostizierte vermeintliche Unheil aus. Also wäre das Musikmachen im stillen Kämmerlein und ausschließlich mit mir selbst doch eine sinnvolle Aufgabe für den Herbst meines Lebens. Eine Gitarre besitze ich noch und das notwendige technische Equipment wäre schnell gekauft.
„Ich glaube aber nicht, dass dir das gelingen würde“, wirft Benny grinsend ein, der während des Schreibens an diesem Text neben mir sitzt. „Ehrlicherweise solltest du gestehen, dass du nur deswegen mit deinem Hot-Dogs-Kram nie in die Puschen gekommen bist, weil du damals unter dem Einfluss der Oldfield-Musik deine Hände stets mehr am eigenen Würstchen als an der Gitarre hattest.“ Und er fügt schmunzelnd hinzu: „Anscheinend ist das heute immer noch so.“
Ach! Werden Sie jetzt vielleicht überrascht sagen, unter diesem autoerotischen Aspekt hätten Sie die Klangwerke des britischen Multiinstrumentalisten noch nie betrachtet. Das sei ja zweifellos hochinteressant, aber doch mit Sicherheit nicht das Ende dieser Weihnachtsgeschichte, oder?
Mit Verlaub, doch!
Autor:Ulli Engelbrecht aus Bochum |
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