Seit 25 Jahren: Kultur statt Kohle - Die „Piratenzeiten“ sind längst Geschichte

Ihr „Kind“ ist groß geworden: Gemeinsam mit Ehemann Gerd hob Ilse Kivelitz vor 25 Jahren den Kulturrat aus der Taufe. | Foto: Molatta
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  • Ihr „Kind“ ist groß geworden: Gemeinsam mit Ehemann Gerd hob Ilse Kivelitz vor 25 Jahren den Kulturrat aus der Taufe.
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Vom Seniorenfrühstück bis zum Kindertheater, vom Chor-Konzert bis zum Jazz-Abend, von der Lesung bis zu experimenteller Kunst: Kultur für alle gibt es im Bochumer Kulturrat - und das nun schon seit 25 Jahren. Entstanden aus der Idee der „Kultur von unten“, hat sich das sozio-kulturelle Zentrum auf dem ehemaligen Areal der Zeche Lothringen längst zu einem festen Ankerpunkt der Bochumer Kulturlandschaft entwickelt - und lockt Besucher aus dem gesamten Stadtgebiet und weit darüber hinaus. Vorsitzende Ilse Kivelitz blickt zurück - und voraus.

„Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass dieses ‚Kind‘ so groß werden würde - ich hätte es nie für möglich gehalten.“ Es ist eine Mischung aus Stolz und Unglauben, mit dem Ilse Kivelitz auf die Historie des Kulturrates in Gerthe schaut. Das sozio-kulturelle Zentrum im Bochumer Norden ist längst den Kinderschuhen entwachsen und feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen.

Und gefeiert wird, wie es sich für ein sozio-kulturelles Zentrum gehört: Nicht mit einer glanzvollen Gala und salbungsvollen Reden, sondern mit jeder Menge Programm: „Wir feiern eigentlich das ganze Jahr hindurch“, erläutert Ilse Kivelitz, Vorsitzende des Bochumer Kulturrat e.V. „In jedem Monat gibt es einen ‚Jubel-Act‘ - große Künstler zum kleinen Eintrittspreis.“ Jeweils fünf Euro kostet der „Jubel-Eintritt“ - zu erleben sind dabei auch viele Künstler, die dem Kulturrat in den letzten Jahren verbunden waren. „Bei unserem Januar-Jubel-Abend mit Danny Weiss und seiner Band war es rappelvoll“, lacht Ilse Kivelitz.

Nachdem ihr Mann Gerd, Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender des Kulturrats, im September 2010 nach schwerer Krankheit gestorben ist, hat sie die Führung übernommen. „Natürlich gab es einen Moment des Zweifels, ob ich diese große Aufgabe wirklich alleine weiter machen will“, bekennt sie. „Aber die große Unterstützung hier im Haus hat mich getragen.“

Schon in den letzten Jahren davor, vor allem während der Zeit der schweren Krankheit ihres Mannes, hatte sie zunehmend hinter den Kulissen die Organisation des Programmes und der Veranstaltungen in der Hand, während ihr Mann zunehmend nur noch repräsentative Aufgaben wahrnehmen konnte. „Bisher ist unser Büro vor allem mein PC zuhause. In Zukunft aber muss dieser gesamte organisatorische Kram in professionelle Hände gelegt werden“, blickt Ilse Kivelitz voraus. „Wünschenswert wäre die Einrichtung einer Art Geschäftsführerstelle - eine Person, die sich ausschließlich um die ganzen administrativen Dinge kümmern könnte.“

Denn sie sei nicht so naiv, zu glauben, dass in der Zukunft ein ehrenamtlicher Vorsitzender bereit sein könnte, ähnlich viel Arbeit und Zeit in den Kulturrat zu investieren, wie ihr Mann und sie es getan hätten. „Das kann man doch von niemandem verlagen.“

Der Kulturrat, so Ilse Kivelitz, sei immer ein gemeinsames „Kind“ von ihr und ihrem Mann gewesen. „Und wenn man das in andere Hände gibt, kann man doch nicht vor­aus setzen, dass sich andere ebenso intensiv darum kümmern wie man selbst.“

Bisher verfügt der Kulturrat lediglich über einen festangestellten Mitarbeiter: Fryderyk Janko kümmert sich seit 10 Jahren als „guter Geist“ um alle Belange des Hauses. „Urprünglich kam er über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu uns“, erinnert sich Ilse Kivelitz.

Es ist eine Mischung aus Stolz und Unglauben, mit dem Ilse Kivelitz auf die Historie des Kulturrates in Gerthe schaut. : Gemeinsam bauten Gerd Kivelitz und der Künstler Oskar Gölzenleuchter Mitte der 1980er Jahre eine ehemalige Backstube zu einem Atelier- und Veranstaltungsraum um. 1987 gründeten sie im Dahlhauser Hedtberghaus den „Bochumer Kulturrat“, der seit 1988 auch offiziell als Verein organisiert ist. Ziel war es, die Aktivitäten verschiedener Gruppen, die sich um die „Kultur von unten“ bemühten, zu bündeln und einen gemeinsamen Ort zu schaffen.

In den übrig gebliebenen Gebäuden der ehemaligen Zeche Lothringen glaubten sie, einen solchen gefunden zu haben: „Doch der Eschweiler Bergwerks Verein war zunächst gar nicht begeistert von der Idee“, erinnert sich Ilse Kivelitz rückblickend lachend. „Bei Stichwort ‚Kultur‘ dachten sie an irgendwelche langhaarigen Spinner.“ Doch der Gymnasiallehrer Gerd Kivelitz war geerdet und kurzhaarig genug, um die Bergwerksbosse umzustimmen.
„Zunächst haben wir einen Raum vorne im früheren Verwaltungsgebäude renoviert“, erinnert sich Ilse Kivelitz. „Dort fanden alle Aktivitäten statt - vom Seniorenfrühstück bis zum Kindertheater. Das waren unsere Piratenzeiten.“ Der Raum wurde schnell viel zu eng und so folgte der Sprung ins einstige Magazingebäude - damals in einem desolaten Zustand. „Unser Ziel war es immer auch, diese einzigartige Zechenarchitektur zu erhalten.“ Schließlich seien diese Gebäude Teil der Geschichte des Stadtteils und seiner Menschen.
Eröffnet wurde das Kulturmagazin 1992 mit einer großen Ausstellung des Bochumer Künstlerbundes: „Die obere Etage war damals nur über eine steile Gittertreppe erreichbar. Als die damalige Kulturdezerntin Ute Canaris die Eröffnungsrede halten sollte, musste mein Mann ihren Hund hochtragen - für das Tier war die Treppe überhaupt nicht zu bewältigen.“

Ute Canaris sorgte auch für die finanzielle Unterstützung durch die Stadt, die bis heute Bestand hat. „Es war ihre Idee, im Stadtgebiet in allen vier Himmelsrichtungen sozio-kulturelle Zentren einzurichten und durch entsprechende Haushaltstitel auch für ihre Finanz-Ausstattung zu sorgen. Sie hat uns die Sicherheit gegeben, dass wir ein Programm machen und unsere Miete zahlen konnten.“

Als Vermieter fungiert seit 1992 die Entwicklungsgesellschaft Ruhr (EGR) - „und in dieser Zeit hatten wir keine einzige Mieterhöhung“, ist Kivelitz dankbar für die Unterstützung auch von dieser Seite.

Und auch die Mieterschaft im Kulturmagazin selbst ist stabil. Sieben Gruppen haben sich unter dem gemeinsamen Dach etabliert: das Kinder- und Familientheater „Traumbaum/Freier Vogel“, das „HalloDu-Theater“, die Kleinkunst-Bühne „Zauberkasten“, die Yogaschule „Kinjal“, die „Werkstatt Wort & Bild“ von H.D. „Oskar“ Gölzenleuchter und das Atelier Frieder Hülshoff. Lediglich die Zusammensetzung des Gemeinschaftsateliers änderte sich in den letzten Jahren - derzeit arbeiten dort die Künstler Renato Liermann, Werner Fichtel und Irmgard Trösken. Der basisdemokratische Gedanke, mit dem der Kulturrat vor einem Vierteljahrhundert an den Start ging, funktioniert nach wie vor.

Das monatliche Kulturprogramm, dass der Kulturrat selbst veranstaltet, umfasst heute vor allem die Bereiche Musik, aber auch Lesungen und Bildende Kunst. „Das leisten wir uns.“ Bildende Kunst war von Anfang an ein wichtiges Standbein der Arbeit - 2007 wurde der „Kunstverein Bochumer Kulturrat“ gegründet, der regelmäßig Ausstellungen junger Künstler aus der Region - aber auch aus dem In- und Ausland - in den Galerieräumen organsiert. Motor dahinter war der Kunsthistoriker Dr. Christoph Kivelitz, Sohn von Gerd und Ilse Kivelitz. Sein plötzlicher Tod 2011 riss zunächst eine große Lücke. „Ich bin froh, dass Carsten Roth, Studienkollege Christophs, nun als Kurator eingestiegen ist und die Arbeit fortführt.“ Und die Zusammenarbeit mit den beiden anderen Bochumer Kunstvereinen, die im Kulturhauptstadtjahr begann, wird in diesem Jahr weiter fortgeführt - mit einem gemeinsamen Projekt an der „Rotunde“.

Nach 25 Jahren ist es nicht nur Zeit zum Blick zurück, sondern vor allem zum Blick nach vorn. „Mein Wunsch ist es vor allem, nicht nur das Programm inhaltlich zu verjüngen, sondern zunehmend jüngere Leute in die Arbeit einzubeziehen“, macht Ilse Kivelitz. Mit Enkel Lukas, der sich seit einiger Zeit um die Pressearbeit kümmert und ein Auge auf das musikalische Programm hat, ist ein erster Schritt getan. „Doch auch im Vorstand ist eine sukzessive Verjüngung notwendig.“ Bis 2014 ist Ilse Kivelitz als Vorsitzende gewählt - eine weitere Amtsperiode kann sie sich vorstellen: „Unter der Bedingung, dass ich in dieser Zeit jemanden einarbeiten kann, der dann übernimmt.“ Wehmut ist nicht bei dem Gedanken dabei, die Geschicke des Kulturrates in andere Hände zu geben. „Ich bin realitisch genug zu sehen, dass ein Generationswechsel stattfinden muss. Wir müssen uns Neuem öffnen - schließlich sind wir ja kein Seniorenzentrum.“

Programm
Im Jubiläumsjahr bietet der Kulturrat in jedem Monat ein ganz besonderes Programm-Highlight - den Jubel-Act:
Samstag, 23. März Talking Horns „The show must blow on“
Samstag, 23. März Velvet
Freitag, 26. April: Kapelsky „Osperanto Folkjazz“
Freitag, 31. Mai: Klaus Schühly und Stefan Birckmann, Lesung
Freitag, 28. Juni: Duo Spiritu
Samstag, 13. Juli: Lutz Eickelmanns Jatzkapelle
Freitag, 13. September: Wildes Holz „Hin und weg“
Samstag, 26. Oktober: ErdQuintett & Dian Pratiwi
Samstag, 30. November: Chorrosion „Arsen an Sahnehäubchen“
Samstag, 7. Dezember: Swing Weihnacht
Beginn ist jeweils um 20 Uhr.
Weitere Infos unter Tel.: 862012.

Autor:

Petra Vesper aus Bochum

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