Penthesilea-Premiere an der Königsallee 2018 - mit Corona Update 2020
Sandra Hüller und Jens Harzer als tödlich Liebende
BOCHUM. Nach der zweiten ausverkauften Premiere in stylisch sanierten Bochumer Schauspielhaus seines neuen Intendanten Johan Simons vor teils weit angereistem Kenner-Publikum lässt sich sagen:
Geht es so weiter wie mit der Dramatisierung des Lion-Feuchtwanger-Romans "Die Jüdin von Toledo" für zehn und der Kleist-Bearbeitung "Penthesilea" für zwei Personen, steht Bochum nach seinen wirklich historischen und berühmten Theater-Epochen (unter früh Saladin Schmitt, später kurz Peter Zadek und dann Claus Peymann) vor einer neuen vielbeachteten Ära. Simons ausdruckstarkes Inszenieren - unter typischem Einsatz auch körperlicher Mittel - von herausragenden und von ihm zusammengebrachten neuen Schauspielern korrespondiert beeindruckend mit dramaturgischer Texterstellungs-Leistung beider Eröffnungs-Premieren.
Die Salzburger Festspiele hatten das Recht der ersten Nacht mit „Penthesilea“:
Doch die Bochumer Premiere war deswegen nicht weniger ein Fest lebendiger Theaterkunst! Die über 200 Jahre alte „Schlachtschüssel“ von Heinrich von Kleist ist wohl selten besser auf den Punkt hin inszeniert worden wie in dieser überragenden Aufführung. Auf den Grundkonflikt herunter gebrochen, auch optisch zeitlos ausgestaltet - und damit ganz nah im Heute.
Aus dem schwarzen Nichts der Bühne:
sind irritierende Schab- und Schleif-Geräusche (es könnte auch etwas sehr Festgeklebtes herausgerissen werden) zu hören. Erst allmählich erhellt sich der Raum durch ein schmales (sich auch mal unbemerkt verbreiterndes) lichtweiß-leuchtendes Bodenfenster vorn quer über die komplette Bühnenrampe. Der Hintergrund bleibt stets im Dunkeln. Heraus rennen, kämpfen und umtanzen sich zwei schöne kriegerische Körper in gleichen schwarzen langen Röcken. Nur die Köpfe, die nackten Arme und durch ein schmales, schwarzes Brustband bei Penthesilea und ein Unterhemd bei Achill bedeckten Oberkörper heben sich plastisch vor dem Dunkel der Zeit ab. Bis sich Sandra Hüller und Jens Harzer ganz außer Atem auch mit Worten duellieren. Die kluge Zwei-Personen-Textfassung von Vasco Boenisch erlaubt den Beiden ihre Geschichten einfach selbst zu erzählen.
Überhaupt perlt die kleist-sche Sprache, von Vielen noch aus dem Deutschunterricht gefürchtet, hier wie Wasser:
Klar und rein und sehr vertraut und verständlich. Wir befinden uns auf einem Schlachtfeld im Trojanischen Krieg. Ungünstiger kann eine Liebesgeschichte ja kaum beginnen.
Es geht um eine Kriegerin und einen Krieger, die - von der gegenseitigen Anziehung völlig überrumpelt - nicht glücklich zueinander finden können:
Herkunft und Konventionen werden diese Liebe töten. Es ist kompliziert! Über alle Worte hinaus berührt der ausdrucksstarke wie besessene Body-Talk. Denn Penthesilea, die jungfräuliche Amazonen-Königin, darf sich einen Samenspender nur in der Schlacht erobern (muss ihn de facto dazu kidnappen), um ihn beim „Rosenfest im heimischen Tempel“ zum Erzeuger ihrer möglichst weiblichen Nachkommen machen zu können. (Bei Erfolg wird der dann reich beschenkt nachhause geschickt).
Doch Penthesilea hat von der verstorbenen Mutter den Hinweis bekommen, sich fürs Rosenfest den größten Helden des Trojanischen Krieges zu fangen:
Den Halbgott Achill! Der wiederum Frauen bisher nur als Kriegsbeute oder politisch nützliche Verbindung kennt. Die Liebe zwischen Penthesilea und Achill schlägt ebenso gewaltig ein wie beide aufeinander. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als Achill ihr vorgaukelt, er sei besiegt, sei ihr Gefangener. Ihre Freude darüber ist beinah männlich derb und überglücklich. Trotz böser Träume hat sie wohl „den ihr vorbestimmten Krieger“ im Kampf überwältigt und will natürlich so schnell wie möglich zum Rosenfest in den Tempel. Kurz, als er ihr die ganze Wahrheit sagt, ist sie über diese von ihm ja lieb gemeinte Notlüge zutiefst enttäuscht und vernichtet. Achill, der nun erst richtig versteht, dass Penthesilea nach den Regeln der Amazonen nur mit ihm leben und lieben kann, wenn er ihr Gefangener ist, will sich in einem neuen Duell zum Schein von ihr besiegen lassen.
Doch seine erneute Herausforderung gibt Penthesilea den Rest:
Dass sie mit Elefanten und Hunden kommen will, redet er sich verliebt schön. Sandra Hüller und Jens Harzer spielen dies einfach doppelt, das zweite Mal mit vertauschtem Text, sich umarmend dem Publikum zugewandt - zu einer Person verschmolzen. Das Ende berichtet Penthesilea selbst. Sie hat im Liebes-Todesrausch das Liebste auf der Welt getötet. Wenn Sandra Hüller schreiend das berühmte Zitat: „Küsse, Bisse, das reimt sich. Und wer recht von Herzen liebt, kann schon das Eine für das Andere greifen.“ verzweifelt herauswürgt, ist ihr Suizid nur konsequent - tief-schwarze Dunkelheit.
Jubel-Applaus für die beiden großartigen Schauspieler nach Salzburg auch in Bochum!
Sandra Hüller und Jens Harzer sind für ihre überzeugenden Leistungen in Johan Simons Penthesilea- Inszenierung für den höchsten österreichischen Theaterpreis „Nestroy“ nominiert. Hand in Hand mit seinen Stars wurden Johan Simons und sein Produktionsteam in vielen Applaus-Runden von einem beglückten Publikum gefeiert. (cd)
Gelungene Corona-Version der „Penthesilea“ zum Spielzeit-Ende 2020:
„Und tun mit Grazie, was die Not erheischt...“
Kaum eine Penthesilea-Zeile passt besser in diese Zeit. Und die schon vor Corona gewählte Fassung für zwei Personen dieser eigentlich sehr personenreichen Kleist-schen „Schlachtschüssel“ ist nun besonders geeignet: Denn je weniger Schauspieler auf der Bühne, desto mehr Publikum darf ins Haus. So konnten immerhin 95 Zuschauer die neue Penthesilea-Corona-Version am letzten Tag der Spielzeit im Großen Haus des Bochumer Schauspiels erleben.
Sandra Hüller und Jens Harzer hatten den Text zur Hand (denn eine Souffleuse gibt es in Corona-Zeiten nicht) und saßen auf weit auseinander gestellten Stühlen – mehr als den Mindest-Abstand tapfer einhaltend! Und waren so ihrer bisher inszenierten Körper-Choreographie beraubt, die zuvor auch maßgeblich den Erfolg dieser preisgekrönten Penthesilea-Inszenierung garantierte.
Das neue Johan Simons Motto: „Theater anders machen” ist schon umgesetzt:
So ist auch das schmale, weiße Bodenfenster des ansonsten schwarzdunklen Bühnenraums einem weißen Hintergrund gewichen und auch die Kostüme sind andere: Sandra Hüller interpretiert ihre Penthesilea nun in einem schwarzen Kleid mit Gold-Applikationen an den Schultern und in braunen Stiefel. Jens Harzer trägt locker und ein bisschen „Iwanow-mäßig“ einen schwarzen Anzug mit schwarzen Schuhen.
Es wurde trotzdem, und vielleicht auch gerade deswegen, ein sehr bewegender und emotionaler Abend. Die besondere Qualität dieser wirklich Großen ihrer Zunft besteht auch darin, sich diesen neuen Herausforderungen aktiv zu stellen. Hüller und Harzer holen jetzt noch mehr aus diesem anspruchsvollen Kleist-Text heraus. Bleiben natürlich auch nicht angenagelt auf ihren Stühlen sitzen. Doch wenn sie zu einander streben, hält eine unsichtbare Corona-Wand sie zurück. So kommen Text und Stimmung in eine neue Dimension und noch besser in ihrer Schönheit zur Geltung:
Text-Nuancen vom Flüstern bis zur hellen Freude oder zu rauschhaftem Wahnsinn.
Was auch sehr komisch sein kann: Wenn Achilles einfach nichts versteht! Und - als er denkt, er hätte alles verstanden, in sein Verderben rennt. Dieser tödliche und im Wahnsinn endende „clash of cultures“ zweier Extrem-Liebender wird überdeutlich in dieser Corona-Version der „Penthesilea“ Sandra Hüller und ihres „Achilles“ Jens Harzer. Beide sind wirklich große Wort-Artisten, die ihren Kleist beherrschen und lieben! Die begeisterten Zuschauer hielt es auch nicht auf ihren Sitzen – sie klatschten sich die Seele aus dem Leib. Nach der langen Corona-Zwangspause hat dieser Applaus die Beiden auf der Bühne richtig umgehauen. Tränen auf der Bühne und im Publikum. Und mehr als ein Hoffnungsschimmer für das Corona-Theater (?) der Zukunft.
Flexibel bleiben und das Beste hoffen:
Mit diesen ersten Erfahrungen im Corona-Betrieb und natürlich mit aller gebotenen Vorsicht vorbehaltlich zukünftiger Entwicklungen, hat das Bochumer Schauspielhaus seine Produktionen für die erste Hälfte der kommenden Spielzeit erst mal bis Februar 2021 vorgestellt:
Johan Simons hat schon mit den Proben zu „King Lear“ begonnen: Premiere am 10. September 2020. „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza in der Regie von Martina Eitner-Acheampong hat am 2. Oktober 2020 Premiere. Regisseur Dusan David Parìzek präsentiert am 7. November seinen „Peer Gynt“. Als Familienstück hat am 28. November Michael Endes „Unendliche Geschichte“ in der Regie von Liesbeth Colthof Premiere. Der Liederabend „Mit anderen Augen“ in der Inszenierung von Selen Kara mit ihrem Musiker Torsten Kindermann lädt am 11. Dezember 2020 zur Premiere. Und im Januar feiert Johan Simons mit „Ödipus, Tyrann“ (Heiner Müller nach Hölderlin) Premiere im Großen Haus. Auch eine neue Hamlet-Version ist in Planung: „Sein oder Nicht-Sein“ war immer schon die Frage. (cd)
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.