Ruhrtriennale: „Hier fragt keiner: Wo kommst Du denn her?“
Johan Simons exklusiv über Empfindungen bei seinem Rekord-Erfolg Ruhrtriennale:
Ein bisschen stolz ist er schon, der Chef - beim Bilanz ziehen: Und das darf Johan Simons auch sein. Auch im zweiten, mittleren Jahr seiner Triennale-Intendanz hat er sein heimisches wie internationales Publikum mehr als begeistern können: etwa 53.000 Tickets, (5200 mehr) wurden verkauft: Für 40 Produktionen in über 200 Veranstaltungen, davon 20 Uraufführungen, Neuinszenierungen, Deutschland-Premieren und Installationen. 900 wirklich herausragende Künstlern aus 25 Ländern spielten sich die Seele aus dem Leib. Und sorgten für unvergessliche Momente, große Emotionen und nie gesehene Szenen. Künstlerischer wie Platzausnutzungs-Riesenerfolg.
Wie in Marl, wo der riesige Monster-Kohlen-Rüttler in der Kohlenmischhalle auf Zeche Auguste Victoria bei „Die Fremden“ als Antwort auf Camus´ Nafri-Buch auch den Bundespräsidenten beeindruckte: Die RAG hatte den Verkauf des Rüttlers extra verzögert, damit Simons ihn noch in seiner Inszenierung einsetzen konnte. Und in Bochums grandioser Jahrhunderthalle wurde der Ruhrtriennale-Besucher-Rekord gebrochen: Mit rund 6000 verkauften Karten in Simons Inszenierung der selten gespielten Gluck-Oper „Alceste“! (wir berichteten) Menschen, die zu kostenlosen Events, Workshops, Diskussionen und „Guerilla-Konzerten“ kamen erhöhten auf 76.000 Besuche: „Seid umschlungen“ – das ist dem Ruhrtriennale Team hier offensichtlich gelungen, auch dank endlich professioneller Pressearbeit und Dramaturgie.
In 24 Spielstätten von Bochum, Bottrop, Dinslaken, Dortmund, Duisburg, Essen, Gladbeck, Hamm, Marl bis Mülheim stellte Simons´Ruhrtriennale Fragen nach den Idealen der Aufklärung neu: „Was bedeuten uns Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit heute? Und was sind wir bereit dafür zu tun?“.
Simons humanistische „gottlose“ Überzeugung: Gegen Barbarei helfen nur Kultur und Menschlichkeit. In diesen bewegten Zeiten mit kolonialen-Spätfolgen, zerfallenden Ländern, Kriegen, Klimakatastrophen und logisch folgenden Flüchtlingsströmen werden die alten Ideale der Aufklärung plötzlich wieder hoch politisch und existenziell, auf die sich unsere modernen Demokratien gründen. Simons: „Kunst und Theater können solche Fragen mit anderen Mitteln stellen und Menschen zusammenbringen, die sonst nie miteinander reden würden.“
Für den Zuspruch und die unendlich positiven Reaktionen nach Premieren, in Diskussionen, Mails und Briefen bedankt sich ein sichtlich gerührter „Simons, Johan“ beim Publikum, Freunden, den Künstlern, seinem engeren Team, Unterstützern und Sponsoren. Denn: „Dies alles wäre sonst so nicht möglich gewesen!“. Daher hier mal exklusiv Johan Simons über seine Arbeit im Revier und in Bochum - und was er dabei empfindet:
Mijnher Simons, Sie sind seit Gründung dieses großen Revier-Festivals der Künste 2002 als Regisseur regelmäßig mit Inszenierungen dabei, bevor Sie jetzt selbst die dreijährige Intendanz übernahmen. Was fasziniert Sie am Revier?
Johan Simons: Dies ist eine ganz besondere Kulturlandschaft: Eine jahrzehntealte Migrantenkultur. Wie man sie so einfach und unkompliziert in ganz Europa nur hier erlebt. Mir haben viele Menschen erzählt, dass auch früher hier nie gefragt wurde, wo kommst Du denn her? Wie unter Tage zählte nur, dass man sich aufeinander verlassen konnte. Egal woher einer kam. Und man spürt auch heute noch, dass das auch übertage noch immer so ist. Das ist ein starkes Gefühl. Das ist toll und inspirierend. Darum bin ich gern hier und liebe das Ruhrgebiet.
Als ich vor ein paar Tagen in Gent war, um „Die Fremden“ dort neu einzurichten, hab ich richtig Heimweh bekommen!
Sie werden auch nach 2017, dem dritten und letzten Jahr Ihrer Triennale-Intendanz hier bleiben: Sie übernehmen 2018 das Schauspielhaus Bochum ! Haben Sie denn schon Kontakt aufgenommen? Ich weiß, Sie besuchen jetzt Vorstellungen…
Johan Simons: Ich falle nicht mit der Tür ins Haus. Ich klopfe erst mal vorsichtig an. Das Schauspielhaus ist ein Traum. Ein richtiges Schiff. Als junger Regisseur bin ich natürlich auch nach Bochum gefahren, um Peter Zadek zu sehen oder Claus Peymann. Das waren Vorbilder, die das Theater weit über Deutschland hinaus auch international geprägt haben. Und in diesem europäischen Sinn will ich es als ein offenes „Haus der Kulturen“ bespielen.
Das ganze Haus hat ja auch architektonisch so eine Art internationale Ausstrahlung. Vielleicht ja auch, weil Bochum und das ganze Ruhrgebiet in der Mitte Europas liegen. Es werden Schauspieler aus unterschiedlichen Ländern auf der Bühne stehen, es wird auch Musik- und Tanztheater-Projekte geben. Ich wünsche mir ein Ensemble, mit dem sich das Bochumer und Ruhrgebiet-Publikum identifizieren kann, das aber auch internationale Ausstrahlung hat.
Wir alle haben es ja gerade bei der Ruhrtriennale erleben können, welche Kraft und positive Energie so eine Mischung entwickeln kann.“
Allerdings. Herr Simons, vielen Dank für diese interessanten Ausblicke aus kulturellen Krisenzeiten. Weiterhin viel Erfolg beim „Umschlingen“! (cd)
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
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