Live-Auftritt mit aktuellem Programm "Poesiealbum" beim Zeltfestival Ruhr am Kemnader See
Poetry-Slammerin Julia Engelmann im Exklusiv-Interview: „Schreiben ist für mich wie Atem“
Am Freitag (16.8.) startet das Zeltfestival Ruhr und lockt 17 Tage lang wieder jede Menge Stars in die weiße Zeltstadt am Kemnader See. Julia Engelmann ist eine von ihnen - Deutschlands bekannteste Poetry-Slammerin, Bestseller-Autorin und Musikerin macht am 27. August mit ihrem Programm „Poesiealbum“ Station. Im Vorfeld spricht sie im Exklusiv-Interview über Euphorie und Alltagsthemen, Kreativität und Konfetti – und über Goethes Midlife-Crisis.
Julia Engelmann, jetzt sind Sie in diesem Jahr schon zum zweiten Mal zu Gast beim Zeltfestival. Welche Erinnerung haben Sie an Ihre Premiere in der weißen Stadt am See vor einem Jahr?
Julia Engelmann: Wunderschöne Erinnerungen. Sommer, Zelte, Open-air – das finde ich zauberhaft und so war es auch. Ein tolles Publikum, ein supernettes Team – ich habe damals schon gedacht, ich würde gerne nochmal zum Zeltfestival kommen. Und vielleicht sehe ich dieses Mal auch noch ein bisschen mehr vom Festival und der Umgebung.
Haben Sie als gebürtige Bremerin einen Bezug zum Ruhrgebiet?
Zu Bochum selbst habe ich keinen direkten Bezug. Aber ich habe zwei Jahre in Köln gewohnt und war in der Gegend viel auf Poetry-Slams unterwegs. Eine Verbundenheit zu der Region gibt es also schon.
Macht es einen Unterschied, ob Sie mit ihrer Show wie jetzt im Ruhrgebiet auftreten oder andernorts in der Republik unterwegs sind?
Menschen, die zu meinen Shows kommen, haben nach meinem Empfinden an diesem Abend immer eine sehr gute Stimmung. Und eine Veranstaltung wie das Zeltfestival trägt dazu bei, dass man in Freizeitlaune ist und sich freut, dass einen etwas Schönes erwartet. Es ist eher der Anlass, der die Stimmung macht, weniger die Stadt oder die Region.
Mit welcher Erwartungshaltung gehen Sie selbst einen solchen Abend auf der Bühne an?
Ich gehe nicht mit einer bestimmten Erwartung in den Abend, mehr mit Vorfreude und Konzentration. Und ich wünsche mir, meiner Band und dem Team genau so wie dem Publikum, dass es für alle ein schöner Abend wird. Wir machen mit Liebe etwas auf der Bühne und viele kommen zu uns, um das zu sehen und dabei zu sein. Das ist doch etwas sehr Schönes.
"Kleiner lyrischer Wanderzirkus"
…und in Ihrem Fall auch etwas Familiäres.
Das stimmt, meine Mutter kümmert sich ums Management, mein Vater ums Merchandising. Wir sind sozusagen ein kleiner lyrischer Wanderzirkus. (lacht). Ich kann mir das Ganze ohne meine Eltern nicht vorstellen. Ich vertraue ihnen einfach, wir haben schon so viel zusammen erlebt. Das gehört für mich dazu.
Sie treten in diesem Sommer nur an ausgesuchten Terminen wie dem Zeltfestival auf – eine bewusste Entscheidung?
Ich habe mir in den letzten vier Jahren immer wieder vorgenommen, mal Pause zu machen. Und dann habe ich direkt schon wieder mittendrin gesteckt. In diesem Jahr habe ich mir jetzt tatsächlich etwas Raum genommen. Und für den Sommer Termine gewählt, mit denen ich mich einfach sehr wohl fühle.
Sie haben zu Beginn des Jahres über Social Media mitgeteilt, eine kleine Pause machen zu wollen. Haben Sie gespürt, dass Sie sich einfach mal ein bisschen aus allem rausziehen müssen?
Es ging weniger darum, dass ich muss, sondern dass ich möchte. Seit ich angefangen habe, das Schreiben zu meinem Beruf zu machen, habe ich quasi nonstop Gas gegeben und nicht nur in meiner Arbeitszeit, sondern auch in meiner Freizeit alles dafür getan. Ich wollte jetzt einfach mal ein bisschen Luft schnappen. Das war schon eine sehr bewusste Entscheidung.
Wie hat sich Ihr Leben in den vier Jahren verändert, in denen Sie so eingespannt waren? Was macht diese intensive Zeit mit einem?
Mein Menschenbild hat sich verändert. Dadurch, dass ich schreibe und teile, was ich empfinde, stelle ich zunehmend fest, dass es sehr vielen anderen Menschen auch so geht. Das merke ich auch immer wieder zum Beispiel an den Instagram-Nachrichten, die ich bekomme. Als ich mit dem Schreiben angefangen habe, dachte ich immer, ich bin die Einzige. Zudem waren die letzten vier Jahre mit einer unglaublichen Neugier und Euphorie verbunden. Ich habe keinen Schritt so empfunden, als müsste ich ihn machen.
"Das Schreiben gehört zu mir"
Aber trotz kleiner Pause ging es bei Ihnen offenbar nicht wirklich ruhig zu – im Herbst erscheint bereits ein neues Buch…
Nichts zu machen, kann ich einfach nicht. Das Schreiben gehört zu mir, Schreiben ist wie Atem. Das ist etwas, was ich immer machen werde - auch wenn es keiner mehr liest. (lacht) Das neue Buch hat den Titel „Keine Ahnung, ob das richtig ist“. Im Grunde ist das auch meine Kernkompetenz – ich weiß bei ganz vielen Sachen nicht, ob sie richtig sind. (lacht) Aber ich finde, das ist kein Grund, nicht doch darüber zu sprechen.
Worüber sprechen Sie denn?
Ein konkretes neues Thema ist Goethes Midlife-Crisis. Er hat sich im Alter von 37 Jahren zwei Jahre unter falschem Namen nach Italien abgesetzt, das fand ich irgendwie faszinierend. Daneben bleiben die Themen, die mich immer beschäftigen werden – Familie, Freunde, Liebe, Selbstliebe und Alltag.
Kritiker haben Sie als „Stimme Ihrer Generation“ bezeichnet. Sehen Sie sich selbst so?
Nein, ich sehe mich als meine eigene Stimme – teils von meiner Generation, teils von der Gesellschaft. Ich glaube, dass sich Menschen sehr ähnlich sind. Viel ähnlicher, als es manchmal wirkt. Wenn ein Künstler sich dann äußert, fühlen sich viele verstanden.
Künstler nutzen die Öffentlichkeit zunehmend, auf politische Themen aufmerksam zu machen oder für den Klimawandel einzutreten. Ist das auch eine Option für Ihre Texte?
Ich habe den großen Luxus, mich mit Dingen zu beschäftigen, die mich im Alltag bewegen. Natürlich interessiere ich mich auch für die Umwelt, das ist ein ganz wichtiges Thema. Ich finde es auch wichtig, wählen zu gehen. Aber jeder hat einen Bereich, in dem er am besten ist. Und für mich ist es das Thema, über persönliche Befindlichkeiten zu reimen.
"Kritik finde ich bereichernd"
Ihre Texte polarisieren durchaus auch. Trifft Sie Kritik?
Ich halte es da ein bisschen mit Theodore Roosevelt und seiner „Man in the Arena“-Speech. Er sagt sinngemäß, dass es nicht um den Kritiker geht. Sondern um den Mann in der Arena, der immer wieder aufsteht und versucht, etwas zu erreichen. Und selbst, wenn er scheitert, hat er es immerhin versucht. So sehe ich es: Ich versuche immer wieder etwas. Kritik finde ich dabei unglaublich bereichernd und wichtig, wenn sie konstruktiv und wertschätzend geäußert wird. Dann nehme ich sie mir auch zu Herzen. Und wenn sie mich beschäftigt, ist sie für mich auch ein Wegweiser, dass ich in der kreativen Entscheidung nicht genug auf mein Bauchgefühl gehört habe. Geht Kritik allerdings unter die Gürtellinie, dann ist sie für mich auch keine Kritik mehr.
Apropos kreative Entscheidung: Wie entstehen Ihre Texte eigentlich?
Ich sitze sehr viel am Schreibtisch, es ist also auch eine Frage von Disziplin und Fleiß. Aber ich habe auch ganz oft Momente, in denen mir ein Gespräch nachhängt oder in denen mich ein Lied bewegt. Das ist dann der Urknall für einen Text. Und am Schreibtisch wird er dann fertig. Wobei ich mich dabei auch an meiner Intuition orientiere. Oft höre ich zum Schreiben auch Musik. Auf jeden Fall gehe ich sehr unvoreingenommen an diese Aufgabe und bin auch immer bereit, jederzeit wieder alles umzuwerfen.
Ist es das, was Sie Interessierten auch in den Schreib-Workshops vermitteln, die Sie anbieten?
Wichtig ist vor allem, auf sich selbst zu hören und sich zu trauen. Lyrik ist etwas ganz Persönliches. Ich habe nichts gegen ein Versmaß, aber solche Dinge sind super zweitrangig. Am wichtigsten ist es, seine Stimme zu finden. Natürlich machen wir in den Workshops auch Schreibübungen und Übungen, die die Kreativität anregen. Aber es gibt kein richtig oder falsch. Das ist eine Freiheit, die sich vielleicht manchmal sehr viel anfühlt, die aber auch wunderschön ist. Und ich hätte durchaus Lust, noch mehr davon in Workshops zu vermitteln. Ich finde es wahnsinnig wertvoll, jungen Menschen Mut zu machen, ihre Stimme zu finden.
Schreiben ist nur ein Teil Ihrer Kreativität. Welche Berufsbezeichnung geben Sie sich selbst – Dichterin, Musikerin, Schauspielerin, Illustratorin?
Wenn mich auf einer Party jemand fragt, was ich mache, würde ich wohl sagen, ich schreibe Gedichte. Wenn man sich dann intensiver unterhält, würde ich die anderen Dinge auch noch nennen. (lacht) Wenn ich irgendwo meinen Beruf eintragen muss, würde es Dichterin sein. Oder Vollzeitpoetin. Oder Autorin. Aber zum Glück muss ich in der Regel ja keine genaue Bezeichnung abgeben für das, was ich tue. (lacht)
"Noch einmal eine Soap? Nein Danke!"
Hat sich an Ihren Interessen etwas in den letzten Jahren verändert? Und was macht die Schauspielerei?
Es hat sich höchstens verändert, dass ich alles noch mehr liebe. Wenn ich am Laptop sitze, vergesse ich manchmal total die Zeit, weil ich nach Worten oder Sätzen suche. Ich liebe alles, was mit Schreiben und Zeichnen zu tun hat. Ganz allgemein damit, mich auszudrücken. Das Schauspiel ist etwas, was ich gerne mache, aber nicht aktiv verfolge. Wenn ich in einer Szene mal durchs Bild laufen soll und darf, dann mache ich das gerne. (lacht) Aber wenn es noch einmal um eine Soap ginge, dann würde ich sagen: Nein danke.
Welche Rolle spielt die Musik? Ihr erstes Album ist erst vor zwei Jahren erschienen.
Die Musik ist erst später sichtbar geworden, war aber immer schon Teil meines Lebens. Ich hatte nie eine Stimme, bei der mir alle geraten hätten, dass ich daraus etwas machen muss. Aber ich singe trotzdem. (lacht) Ich habe auch schon immer Klavier gespielt.
Wer Ihre Show besucht, darf sich sowohl auf Gedichte als auch auf Songs freuen?
Klar, meine Band begleitet mich. Martin und Lukas sind wahnsinnig gut darin, meine Gedichte zu untermalen und unsere Lieder auf die Bühne zu bringen. Das wird schon sehr musikalisch werden. Und teilweise auch tanzbar.
Und Konfetti spielt auch eine Rolle?
(lacht) Konfetti spielt immer eine Rolle. Es wird sogar eine große Rolle spielen.
Mehr Infos und Tickets: www.zeltfestival-ruhr.de
Autor:Dietmar Nolte aus Dortmund-West |
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