Masche für Masche zum Gemeinschafts-Kunstwerk
„Kunst im öffentlichen Raum“ mal anders: „Strickgorillas“ wollen Wahrnehmung schärfen
Mit dem Maschenanschlag hat Eva noch Mühe. Immer wieder schlingt sie den Faden um Daumen und Zeigefinger. Irgendwann klappt es: „70 Maschen“, zählt sie. „Reicht das für Stulpen?“ Veronika guckt zweifelnd: „Nee, das sind schon viel zu viele. Höchstens 30, das ist genug.“ Eva zählt noch mal - und 40 der mühevoll erarbeiteten Maschen rutschen wieder von der Nadel. Sie seufzt.
Was da jeden Donnerstag ab 19 Uhr hinter den Schaufenstern der Galerie „The Spam“ an der Alten Hattinger Straße 22 passiert, ist mehr als ein Strickabend unter Freundinnen - es ist eine Kunstaktion. „Strickgorillas“ nennt sich die etwa zwölfköpfige Gruppe, die sich hier Woche für Woche anschickt, Handarbeiten vom Muff vergangener Jahre zu befreien und ganz nebenbei ein Kunstprojekt zu starten, durch das der öffentlichen Raum neu erfahrbar werden soll. Gegründet wurde die Gruppe von Melania Lohmann vom Kulturhaus „Oskar“ sowie Deina Wendland vom „Stadtverwalter e.V.“
Ende November haben die „Strickgorillas“ zum ersten Mal außerhalb der Galerie für Aufmerksamkeit gesorgt und mit einer Strickaktion den öffentlichen Raum erobert: In der U 35 zwischen dem Hauptbahnhof und Herne ließen sieben Mitglieder die Nadeln klappern. „Die erstaunten Gesichter der anderen Fahrgäste waren sehr schön“, plädiert Veronika Zoller für eine Wiederholung. „Es waren vor allem ältere Damen, die uns angesprochen haben. Bei denen weckte die Aktion nostalgische Erinnerungen und sie haben uns erzählt, was sie früher alles gestrickt haben.“ Der Fahrer hat erst an der Enstelle in Herne entdeckt, dass seine Bahn gerade zum Schauplatz einer Kunstaktion geworden war - als die „Strickgorillas“ ihn nämlich baten, sitzen bleiben zu dürfen und wieder zurück zu fahren. „Erst dachte er, wir wollten ihn an der Weiterfahrt hindern. Doch als er gesehen hat, was wir machen, war er sehr charmant.“ Die 32-jährige Oecotrophologin ist täglich mit dem ÖPNV zu ihrer Arbeitsstelle bei der Verbraucherberatung Castrop-Rauxel unterwegs - und hat dabei seit langem immer ihr Strickzeug dabei. „Und inzwischen habe ich den Eindruck, dass es täglich mehr Leute werden, die in Bussen oder Bahnen stricken - gerade jüngere Leute.“
„Natürlich macht Stricken in Gesellschaft viel mehr Spaß als allein auf der Couch“, ist Gesa Barthold überzeugt. „Es ist ja auch so, dass viele der Unter-Dreißig-Jährigen heute das Stricken auch nicht mehr in der Schule gelernt haben und strickende Vorbilder zuhause fehlen.“ Zusammen neue Dinge ausprobieren, von anderen etwas lernen oder auch mal Fragen stellen zu können - auch das geht bei den „Strickgorillas“ in lockerer Runde. Während Gesa und Veronika schon viel Erfahrung haben, frischt Eva Pfisterer hier veschüttete Schulkenntnisse auf: „Man hat immer einen Ansprechpartner.“ Während sich die 29-jährige Psychologin an einem Weihnachtsgeschenk versucht, holt Gesa gerade Grundlagenkenntnisse nach und strickt - ebenso wie Veronika - ein „Musterläppchen“: Ein Probestück mit verschiedenen Strickmustern. „Das wird dann hinterher auch Teil unseres Gemeinschaftskunstwerks.“
„Wir haben nämlich beschlossen, dass wir abwechselnd eine Woche an eigenen Projekten arbeiten und eine Woche an unserem Gemeinschaftsprojekt“, erläutert Veronika Zoller. Zwischen 23 und 25 Jahre sind die Beteiligten alt - und allesamt Frauen. „Es waren aber zwischendurch auch schon mal Männer hier“, versichert Gesa Barthold schnell. „Und letzte Woche haben wir sogar einem Mann das Stricken beigebracht.“ Immer wieder werden Passanten auf die Strickrunde aufmerksam: „Ganz oft kommen wildfremde Leute hier rein und fragen.“ Neben dem festen Kern stoßen so immer wieder Neugierige zu den „Strickgorillas“ hinzu.
In Großstädten weltweit ist Stricken schon lange wieder cool und mit Strick-Guerilla-Aktionen werden Ampelmasten, Brückengeländer oder Bäume verziert. Jetzt kommt dieser Trend auch nach Bochum. „Es geht uns aber nicht darum, rein dekorativ zu arbeiten“, verdeutlicht Veronika Zoller. Damit grenzen sich die „Strickgorillas“ auch von den Bochumer Künstlern Ralf Josef Papenheim und Franka Fieseler ab, die für die wollige Ummantelung von Bäumen an der Oskar-Hoffmann-Straße verantwortlich zeichnen. Mit ihren Arbeiten wollen die „Strickgorillas“ vielmehr dazu beitragen, die Wahrnehmung für den öffentlichen Raum zu schärfen. „Es geht uns darum, Dinge zu verändern und dadurch sichtbarer zu machen“, erläutert Veronika Zoller. „An manchen Sachen gehen wir jahrelang völlig achtlos vorbei und nehmen sie überhaupt nicht bewusst wahr.“ Die erste Kunstaktion der „Strickgorillas“ ist bereits in Planung: „Wir wollen den ‚Grafen Engelbert‘ bestricken“, verrät Veronika. Anfang nächsten Jahres soll es soweit sein: „Das ganze soll einen Performance-Charakter haben.“ Und die Zuschauer sollen auch etwas über die Geschichte des Grafen Engelbert lernen. „Ich zum Beispiel weiß gar nicht, wer der Mann war, dem dieses Denkmal gewidmet ist“, macht Gesa Barthold deutlich. Die 29-jährige Kulturmanagerin lebt seit zwei Jahren in Bochum - die Stadtgeschichte ist ihr fremd. „Aber ich glaube, das geht auch vielen so, die hier aufgewachsen sind.“
Übrigens: Auch wer nicht selbst mitstricken will, kann die Strickgorillas unterstützen: Spenden von Wollresten und Stricknadeln sind stets herzlich willkommen. Abgeben kann man die Spenden direkt in der Spam-Galerie.pe
Autor:Petra Vesper aus Bochum |
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