Kleider in Bewegung - Die „Neuen“ von TheaterTotal proben schon für ihren ersten Auftritt

Für eine lockere Aufwärmphase blieb keine Zeit: Seit Mitte September sind die neuen Teilnehmer von TheaterTotal in Bochum - und stecken bereits mitten in den Vorbereitungen für ihre erste Performance. Spielerisch mutet die Atmosphäre im Domizil an der Hunscheidtstraße an - aber die Konzentration ist spürbar: Im November soll die Performance bühnenreif sein, doch noch kann man allenfalls Grundlagen erahnen. Diesmal soll sich alles um vergessene Kleidungsstücke drehen, die zum Leben erwachen - eine echte Herausforderung für die jungen Akteure.

Der Geruch erinnert an eine alte Schulturnhalle: warm, muffig und ein wenig nach Schweißfüßen. Mehr als 20 junge Leute bewegen sich kreuz und quer im Saal, mal alleine, mal in kleinen Gruppen. Nehmen Körperkontakt auf, lassen wieder los, legen an Tempo zu, verfallen dann wieder in Zeitlupe. Und auf ein Zeichen von Chrystel Guillebeaud hin stehen alle still. „Wer will uns was zeigen?“, fragt sie.

„Bewegungs-Recherche“ nennt die Tänzerin und Choreographin ihre Arbeit mit den 29 neuen Teilnehmern von TheaterTotal. Seit dem 18. September leben und arbeiten die jungen Menschen aus der ganzen Republik - alle um die 20 Jahre alt - in Bochum, um bei dem deutschlandweit einzigartigen Projekt Theater mit all seinen Facetten zu erlernen und zu erleben. „Es ist jedes Mal spannend, wenn die neue Gruppe zusammen kommt“, erzählt die Tänzerin, die lange im Ensemble von Pina Bausch tanzte und seit zehn Jahren bei TheaterTotal unterrichtet. „Natürlich erkennt man schon am Anfang auf den ersten Blick Bewegungs-Talente - aber für mich ist es immer wieder toll, die Leute am Ende dieses Jahres auf der Bühne stehen zu sehen, wenn sie in ihren Rollen und ihren Kostümen sind. Das sind dann völlig andere Menschen.“

Eine „Schonfrist“ gab es für die Theater-Eleven nicht - vom ersten Tag an sind sie in die praktische Arbeit eingestiegen. Die Zeit drängt: Schon am 10. und 11. November wollen sich die diesjährigen Teilnehmer mit einer Performance in der Albertus-Magnus-Kirche erstmals der Öffentlichkeit präsentieren. „Kleidung“ soll in diesem Jahr das Thema der Performance sein - sie entsteht in Kooperation mit einer Bochumer Reinigung. „Dort gibt es Kleider im Schaufenster, die seit Jahren niemand abgeholt hat“, verrät TheaterTotal-Leiterin Barbara Wollrath-Kramer. „Wir stellen uns vor, was passieren würde, wenn diese Kleidung plötzlich zum Leben erwacht.“ Deshalb ist Simon an diesem Morgen ein Handschuh, der angezogen und wieder abgestreift wird. „Wie Kleidung habe ich mich vorher noch nie gefühlt“, lacht Anna. „Das ist eine ziemlich neue Erfahrung.“

Für die 18 jungen Männer und 11 jungen Frauen, die sich hier zum ersten Mal getroffen haben, bedeutet die Arbeit an der gemeinsamen Performance auch: Nähe zuzulassen, Grenzen zu überwinden, Scheu abzulegen - Körperkontakt ist hier ausdrücklich gefordert. Dennis: „Spätestens, als wir hier am zweiten Tag alle ein Wurm sein sollten und man zwei Stunden lang so ziemlich jeden Fuß einmal im Gesicht oder in der Magengrube hatte, hat man jede Scheu verloren.“ Und Fabian ergänzt: „Man fühlt sich in der Gruppe sehr sicher und lacht auch viel miteinander. Da hat man schnell jede Distanz verloren.“ Dieses Gefühl, erzählt Paul Adrian, habe schon mit dem Aufnahmeworkshop im Juli eingesetzt. Zwei Tage lang habe man dort intensiv miteinander gearbeitet. „Wir sind alle vom gleichen Schlag“, ergänzt Alina, „haben alle Bock auf dasselbe und wollen zusammen was auf die Beine stellen.“

Über 130 Bewerber waren es in diesem Jahr, die sich für einen der Plätze bei TheaterTotal beworben haben - 29 von ihnen wurden aufgenommen. Dabei sind die Jungs deutlich in der Mehrheit. „Das ist phantastisch“, freut sich Barbara Wollrath-Kramer. „Darum würde uns jede Schauspielschule beneiden.“ Dort herrscht in der Regel akuter „Männermangel“. „Jetzt müssen wir nur noch ein passendes Stück finden“, schmunzelt sie.

Um 9 Uhr morgens hat der Tag der TheaterTotaler an der Hunscheidstraße begonnen - um 17.15 Uhr soll er enden. Dazwischen: jede Menge Programm. Nach Bewegungstraining am Morgen steht nachmittags Tourneeplanung und Telefontraining auf dem Programm - schließlich sollen die Teilnehmer auch die Tournee, die sie mit ihrer Produktion absolvieren, selbst organisieren.
Dazwischen bleibt Zeit für ein gemeinsames Mittagessen - ebenfalls selbstgekocht. Eine weitere Herausforderung, der sich die TheaterTotaler stellen müssen: Abwechselnd hat jeder mal Küchendienst und kümmert sich um das leibliche Wohl der gesamten Gruppe. Schnell war klar, auf wessen Kreationen man sich besonders freuen kann...

Die TheaterTotaler arbeiten nicht nur gemeinsam an ihrem Projekt - sie leben während ihrer Zeit in Bochum auch zusammen in Wohngemeinschaften: „Wir schaffen‘s noch ohne Putzplan“, grinst Florian, der zusammen mit Alina und Anna in einer WG wohnt. „Es klappt gut - auch, weil wir ja einen gleichen Tagesablauf haben.“ Bei der Jungs-WG von Denis, Fabian und Mathis dagegen hing der Haussegen deswegen schon mal schief: „Wir haben wohl etwas unterschiedliche Auffassungen von Sauberkeit...“

Noch haben die TheaterTotaler Zeit, abends Bochum und das Ruhrgebiet zu erkunden: „Schön ist es hier“, findet Max, der vom Bodensee kommt. Beim Aufnahmeworkshop war er zum ersten Mal in Bochum: „Die Menschen sind ziemlich nett hier.“ Doch je intensiver für das kommende Stück geprobt wird, je näher die Premiere, die wahrscheinlich im April stattfinden wird, rückt, desto weniger Freizeit wird den Teilnehmern bleiben. Dann macht „TheaterTotal“ seinem Namen alle Ehre - „Aber das werden sie noch früh genug merken“, lächelt Barbara Wollrath-Kramer.