Kirche ist keine Spaßbremse - Präses Annette Kurschus predigte in der St. Vinzentius-Kirche
Erstmals steht eine Frau an der Spitze der Evangelischen Kirche von Westfalen. Eine ihrer ersten „Dienstreisen“ führte die gerade in ihr Amt eingeführte Präses Annette Kurschus nach Bochum, wo sie sich gleich zu Beginn ihrer Amtszeit an der Predigtreihe „Mit Herzen, Mund und Händen“ in der St. Vinzentius-Kirche beteiligt hat.
Mit dem Hinweis auf die Vorlieben der neuen Präses Annette Kurschus für Gesang und Cello empfing Pfarrer Dr. Gerald Hagmann die Gemeinde zum Gottesdienst im Rahmen der Predigtreihe 2012 „Mit Herzen, Mund und Händen – ein neues Lied“.
Im Wechsel zwischen Gemeinde und einem Vokalensemble füllte sich gleich zu Beginn des Gottesdienstes mit dem Lied von Jochen Klepper, „Er weckt mich alle Morgen“, die Kirche mit kraftvollem Gesang. Martin Rinckarts, „Nun danket alle Gott“ und das Auferstehungslied von Georg Vetter, „Mit Freuden zart“, haben wohl selbst die Spaziergänger im Umfeld der über 1000-jährigen St. Vinzentius-Kirche gehört.
Unter der Leitung von Elisabeth Esch glänzte das stimmlich ausgewogene Vokalensemble mit Werken von Heinrich Schütz und Mendelssohn Bartholdy. Die St. Vinzentius-Kirche war bis in die Turmspitze gefüllt mit dem gesungenen Wort Gottes. In ihrer einfühlsamen Predigt griff die Predigerin die Schriftlesung aus dem ersten Korintherbrief auf. Die Präses berichtete von ihrem kleinen Bruder, der zur Osterzeit in der Straßenbahn lauthals, „Der Herr ist auferstanden“, anstimmte und damit die Oma schier zur Verzweiflung trieb. War das für die Großmutter peinlich oder nicht?
Von der Anekdote aus der Kindheit leitete Annette Kurschus auf das erste bekannte Lied der biblischen Erzählungen über. Mirjam singt und tanzt mit den Frauen ein Jubellied: „Lasst uns dem Herrn singen - singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ Sie singen das Lob des Gottes, der sein Volk aus der Enge der Gefahr befreit hat. Vorher war alles anders. Da haben sie verzweifelt geweint.
Jedes Kirchenlied ist ein Widerhall von Mirjams gesungener Freude. Doch auch Angst, Verzweiflung und Trauer begleiten Lieder, so die Predigerin. Sie erinnerte an die Hassgesänge in den Sportarenen und die beklemmenden Töne der NS-Zeit: „Singen macht stark und heilt, aber nicht immer sollte man sich dort niederlassen, wo gesungen wird.“ Bei aller Wertschätzung für den Reformator Zwingli: seine Auffassung, „jede Art Gesang muss verbannt werden“, teilt die Predigerin nicht. Die Bibel fordert zum Singen auf, so die Präses. „Das Sagen reicht nicht aus, im Singen und Sagen liegt Kraft. Die Passionsmusik berührt alle Menschen, Christen, Musikliebhaber und Kulturbeflissene.“ Sie verwies auf den Apostel Paulus, der „Singen mit Verstand“ einforderte, „Singen soll sich nicht selbst genügen“, so die Predigerin, die an den sozialkritischen Propheten Amos erinnerte. Dieser ging hart mit den Menschen ins Gericht, die im Tempel Gott singend lobten um danach im Alltag die Menschen auszubeuten.
„Kirche ist keine Spaßbremse“, stellt die Predigerin klar. Singen ist nach ihrer Auffassung eine kraftvolle Verkündigung des Evangeliums. „Hier geht es um mich, um den einen Herrn, von dem lasst uns singen und sagen“, so das Bekenntnis der überzeugenden Predigerin. Das abschließende „Verleih und Frieden“ setzte mit zarten Tönen und glänzenden Stimmen des Vokalensembles den emotionalen Höhepunkt eines ganz besonderen Gottesdienstes.
Beim Nachgespräch im vollen Gemeindehaus ging es wie bei den vorangegangenen Predigten „richtig zur Sache“. Präses Annette Kurschus bekannte offen, dass sie in ihrer neuen „Rolle“ mehr Raum für „theologische Konzentration“ findet. Sie beklagte unter dem Beifall der Besucherinnen und Besucher den hektischen Alltag der Seelsorger und die überbordende Verwaltungsarbeit in Gemeinden und Kirchenkreisen. Nach dieser kurzen Auskunft zur eigenen Befindlichkeit stand die Ökumene im Zentrum einer langen und guten Diskussion. Annette Kurschus setzte pragmatische Nüchternheit gegen eine mutige „Ökumene von unten“. „Auf den höheren Ebenen wird die Luft in Sachen Ökumene dünner“, so die Präses, die an das „dicke Bretter bohren“ erinnerte: „Das Amtsverständnis ist sehr unterschiedlich, da ist noch ein langer Weg zu gehen.“ Die vielen Beiträge und Fragen überraschten die Präses, die dankbar das ausgeprägte Engagement für Ökumene aufnahm: „Ich muss das erfahren, ich höre mit Interesse von ihren Erfahrungen.“ Sie fordert angstfreie Gespräche in Fragen der Ökumene und interreligiösen Austausch: „Ich kann doch in meiner Bibel lesen und mich dort vergewissern“ und mahnte, „wir haben es nötig, unsere eigenen Wurzeln zu suchen“.
Gegenseitige Achtung und die Gewissheit, dass Christen ihre Unterschiede aushalten, Fremdes ernst nehmen und für sich stehen lassen können, mit diesen Gedanken und einem herzlichen Applaus verabschiedete eine überzeugte Gemeinde ihre neue Präses mit guten Wünschen in den Sonntag.
Autor:Andrea Schröder aus Bochum |
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