Kindertheater zur Flüchtlingsthematik: Wir sitzen alle in einem Boot

Birgit Iserloh und Ralf Lambrecht bringen das hochaktuelle Flüchtlings-Thema kindgerecht auf die Bühne - und tatsächlich darf dabei auch gelacht werden. Foto: Theater Traumbaum | Foto: Foto: Theater Traumbaum
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Theater Traumbaum greift mit seiner Neuproduktion "Grenzen-Los" ein hochaktuelles Thema auf

Sie könnten unterschiedlicher kaum sein: Frau Schutzke, die Grenzerin, die "hier" in ihrem Grenz-wärterhäuschen hockt, die den Schlagbaum bewacht, und höchsten Wert auf Pünktlichkeit, Pflichterfüllung und regelmäßige Mittagspausen legt. Und Baythulla "dort", dessen Welt schon vor langer Zeit aus den Fugen geraten ist, der mit seinem kleinen Sohn seit Jahren auf der Flucht ist. Die beiden treffen aufeinander - an eben jenem Grenzzaun, der das "Hier" vom "Dort" trennt. Und mit ihnen zwei Welten, die aber vielleicht doch mehr verbindet, als man zunächst glauben möchte.

"Frau Schutzke" und "Baythulla" sind die beiden Figuren in "Grenzen-Los", dem neuen Stück des Kinder und Familientheaters "Traumbaum". Eine Flüchtlingsgeschichte als Theater-Thema für Kinder ab acht Jahren - kann das gutgehen? Es geht gut, sehr gut sogar, und das liegt vor allem an den beiden Theatermachern Birgit Iserloh und Ralf Lambrecht, die bereits seit gut 20 Jahren für thematisch anspruchsvolles Kindertheater stehen, das auch vermeintlich "schwierige" Themen mit genau jener Portion Humor auf die Bühne bringt, die wichtig ist, damit Berührungs-ängste fallen und Empathie gelingt. In ihrer neuesten Produktion widmen sie sich nun dem wohl wichtigsten Thema unserer Gegenwart. "Wir wollen lieber fordern als unser Publikum zu unterfordern", macht Birgit Iserloh deutlich.
Dass das Stück kein thematischer Schnellschuss ist, darauf legt sie Wert: "Wir bringen ja alle zwei Jahre ein neues Stück auf die Bühne - mit den ersten Überlegungen zu 'Grenzen-Los' haben wir bereits Ende 2014 begonnen, sind Anfang 2015 dann richtig eingestiegen. Doch bei der Arbeit an unserem Stück sind wir von den Ereignissen geradezu überrollt worden."
Menschen, die im Kühllaster ersticken, Kleinkinder die ertrunken am Strand liegen, Grenzen, die dicht gemacht werden - es sind Bilder wie diese, die jeder im Kopf hat, der die Nachrichten verfolgt, auf die sich die Theatermacher in ihrem Stück beziehen. "Vieles war auch schon 2014 absehbar, auch damals ertranken schon Flüchtlinge im Mittelmeer, es ist nur bei uns noch nicht als Thema so angekommen", ergänzt Ralf Lambrecht. Doch es geht den beiden Theatermachern in ihrem Stück nicht um einen "falschen Journalismus", daher arbeiten sie vor allem in Form von Assoziationen: "Wir wollen Bilder hervorrufen." Bilder, die weit über tagesaktuelle Ereignisse hinausgehen. So geht es in dem Stück auf einer zweiten Ebene nicht nur um die tatsächlichen Grenzen zwischen Ländern (Birgit Iserloh: "Am Anfang haben wir wirklich gezweifelt, ob Kinder von heute sowas überhaupt noch kennen, Schlagbäume, Grenzhäuschen, Zäune. Heute wird täglich darüber diskutiert..."), sondern darüber hinaus um die Grenzen in den Köpfen, nicht nur um die Angst vor den Fremden, sondern auch um die Angst vor dem Fremden, das aber vielleicht gar nicht mehr so angsteinflößend ist, wenn man versucht, es zu verstehen.
"Grenzen-Los" ist nicht nur gut gemeint, sondern vor allem auch gut gemacht: Die beiden Theatermacher haben ihr Stück in eine Rahmenhandlung eingebettet und arbeiten mit geradezu filmischen Mitteln: Sie "schneiden" zwei Erzählstränge parallel und erzählen neben der Begegnung von Frau Schutzke und Baythulla im Hier und Jetzt in Rückblenden die Geschichte seiner Flucht. Es sind immer nur Momentaufnahmen, Flashbacks gleich: Wie der Lehrer des kleinen Sohnes erschossen wird und der Junge nicht mehr zur Schule gehen kann, wie Vater und Sohn zu Fuß über die Berge fliehen, wie sie in LKW gepfercht werden und Babys sterben, wie sie in maroden Booten aufs Meer geschickt werden und Kinder zu ertrinken drohen. Das alles ist so berührend und dicht erzählt, dass es die großen und kleinen Zuschauer schnell in seinen Bann zieht.
Dazwischen ist immer wieder Zeit zum Atemholen: "Grezen-Los" vergisst auch den "Comic Relief" nicht - dafür sorgt vor allem Birgit Iserloh als stocksteife Grenzerin, die erkennen muss, dass das Paradies, das sie so vehement verteidigt, für alle Menschen da ist. Am Ende sitzen die beiden im wahrsten Sinne des Wortes in einem Boot...
Auch diesmal spielen Birgit Iserloh und Ralf Lambrecht mit vollem Körpereinsatz. Und wie immer, so verantworten sie ihr Stück komplett selbst - von der ersten Zeile des Textes bis zur letzten Schraube des Bühnenbilds. Dieses ist wie immer simpel, aber extrem wandelbar: So kann das Grenzerhäuschen auch LKW-Container oder Boot sein. "Und im ersten Leben ist es eigentlich ein Werkzeugschuppen aus dem Baumarkt", schmunzelt Birgit Iserloh, "wir haben die Form gesehen und sofort gewusst, dass es perfekt ist, weil es fast aussieht, wie ein halbes Boot." Allerdings, verrät Ralf Lambrecht, sei das Baumarkt-Modell im Inneren inzwischen mehrfach verstärkt, "schließlich muss es uns ja tragen." Seine Partnerin weiß, wovon er spricht: Bei den ersten Proben gab es blaue Flecke. Und wie immer ist das Bühnenbild vor allem auch einfach zusammenzubauen und zu transportieren, denn das "Theater Traumbaum" spielt nicht nur auf der heimischen Bühne im Kulturmagazin Lothringen, sondern ist mit seinen Stücken auch in Schulen unterwegs. "Die Nachfrage nach 'Grenzen-Los' ist gut", berichtet Birgit Iserloh, "die Lehrer sind sehr offen. Und manchmal sind sie ziemlich überrascht von dem, was ihre Schüler mitbringen. Es gab schon lebhafte Diskussionen." Denn am Ende bietet das Stück den Zuschauern die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob Baythulla und sein Sohn kommen sollen. "Bisher sind noch immer alle Hände hoch gegangen", erzählt Birgit Iserloh, "aber wir haben vorsichtshalber mal drei verschiedene Enden geschrieben."

TRAUMPIRATEN

- Die aktuelle Frühjahrsspielzeit "Traumpiraten" im Kulturmagazin Lothringen, Lothringer Straße 36c, läuft bis zum 10. März.
- Auf dem Programm stehen noch Schulvorstellungen der Stücke "Stromboli Knut & die Wut" (24. und 25. März), "Mobfer-f" (29. Februar bis 3. März) und "Cybermobb" (7. bis 10. März).
- Die Neuproduktion "Grenzen-Los" steht in dieser Spielzeit nicht mehr auf dem Programm, kann aber für Vorstellungen in Schulen (4. bis 7. Klasse) gebucht werden.
- Alle Informationen dazu gibt es unter www.theater-traumbaum.de.
Traumpiraten Birgit Iserloh und Ralf Lambrecht bringen das hochaktuelle Flüchtlings-Thema kindgerecht auf die Bühne - und tatsächlich darf dabei auch gelacht werden. Foto: Traumbaum

Autor:

Petra Vesper aus Bochum

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