Das Prinz Regent Theater greift mit einem Theaterprojekt ein alltägliches moralisches Dilemma auf
In der Zwickmühle

Ruth Hengel freut sich schon auf die Zusammenarbeit mit ihrem jungen Ensemble - und auf viele spannende Geschichten zum Thema "Schwaches Fleisch". | Foto: privat
  • Ruth Hengel freut sich schon auf die Zusammenarbeit mit ihrem jungen Ensemble - und auf viele spannende Geschichten zum Thema "Schwaches Fleisch".
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„Ich denke, das Thema Akrasia ist so präsent, dass wir einfach darüber stolpern mussten“, sagt Ruth Hengel, Theaterpädagogin am Prinz Regent Theater. Sie fügt an: „Ich habe den Eindruck, dass wir Menschen häufig Dinge tun, die widersprüchlich sind, und die uns oft nicht wirklich glücklich machen.“ - Im September beginnen die Arbeiten an einer Stückentwicklung zum Thema, die im Januar 2020 Premiere feiern soll.

Für das Vorhaben des jungen Ensembles Progenitur am Prinz Regent Theater, das als Zukunftsprojekt von den Stadtwerken unterstützt wird, werden noch Teilnehmer ab 15 Jahren gesucht. Außerdem können sich Interessierte jeden Alters mit Texten zum Thema an der Stückentwicklung beteiligen.
Doch was bedeutet das eigentlich genau – Akrasia? Hinter diesem nicht in der Alltagssprache verwurzelten Begriff verbirgt sich ein ganz alltägliches Phänomen: Eine Person führt eine Handlung aus, obwohl sie ein anderes Verhalten für besser hielte. „Ich selbst bin Spezialistin in Akrasia“, gesteht Ruth Hengel, einigen Theaterfreunden noch durch ihre Arbeit am Schauspielhaus bekannt, und fährt fort, „ich habe schon so oft Entscheidungen getroffen, von denen ich nicht vollständig überzeugt war.“ So lautet der Arbeitstitel des Vorhabens auch nicht von ungefähr „Schwaches Fleisch“: Das Sprichwort „Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach.“ bringt auf den Punkt, was mit Akrasia gemeint ist.

Im Großen wie im Kleinen

Ruth Hengel wirft in diesem Zusammenhang eine Frage auf, die das Problem konkretisiert und zugleich in einen globalen Zusammenhang rückt: „Was hat der Coffee-to-go-Becher, den ich mir gestern gekauft habe, mit der Osterinsel zu tun, auf der die Bewohner selbst die gesamte Vegetation ausgerottet haben müssen, um Steinfiguren zu schaffen. Eine Art Selbstmord, sich selbst die eigenen Lebensgrundlagen zu entziehen.“ Dabei stelle sich immer die Frage: „Gibt es einen Zusammenhang zwischen der kleinen privaten Entscheidung und dem großen Ganzen.“
„Im Theater können wir ohne Konsequenzen die Perspektiven wechseln, all den Dreck durchwühlen, nach der Nadel im Heuhaufen suchen und splitternackt dastehen, ohne dass es direkte Auswirkungen auf unser Leben hat. Vielleicht könnte die indirekte Auswirkung aber sein, dass wir etwas über uns und die Welt erfahren haben, das wir vorher noch nicht wussten“, umreißt Theaterpädagogin Hengel die Hoffnungen, die sie damit verbindet, das komplexe Thema auf der Theaterbühne zu bearbeiten.

Eigene Sprache und Aussage

Bei einem Thema, das jeden betrifft, bietet es sich natürlich an, selbst ein Stück zu entwickeln, statt auf ein bereits erprobtes Drama eines Bühnenautors zurückzugreifen. Für eine Stückentwicklung sprachen für Hengel allerdings auch noch andere Gründe: „Ich mag Stückentwicklungen sehr gerne. Sie ermöglichen allen Beteiligten, sich intensiv und auf ganz eigenen Wegen mit einem Thema zu beschäftigen, eigene Recherche zu machen, Schwerpunkte zu setzen, Szenen, Bilder und Texte zu entwickeln und miteinander eine eigene Sprache und Aussage zu finden.“
Sie selbst hat Physical Theatre an der Folkwang Universität der Künste studiert. „Was ich dort gelernt habe ist, im Team eigene Stücke zu entwickeln und mit einem besonders körperlichen Spiel zu verbinden“, erklärt sie.

Workshop zum Auftakt

Was das ganz konkret bedeutet, erfahren Jugendliche, die sich gern als Schauspieler und Stückentwickler in das Projekt einbringen wollen, in einem Workshop am 3. September. „Der Auftaktworkshop“, umreißt Ruth Hengel ihre Planungen, „dient dem gegenseitigen Kennenlernen, dem Kennenlernen der Arbeit und der gemeinsamen Annäherung an das Thema.“ Dabei waren die Produktionen von Progenitur und dem Vorgängerprojekt Junge Prinzess*innen stets sehr ambitioniert – einige der ehemaligen Teilnehmer studieren mittlerweile an Schauspielschulen. Ruth Hengel betont jedoch, dass für die Teilnahme am Projekt Vorkenntnisse nicht zwingend erforderlich sind: „Es sind alle willkommen, die Lust auf ein gemeinsames Theaterprojekt haben, sich mit dem Thema zu beschäftigen, zu spielen, sich zu bewegen und ein Stück zu entwickeln. Kunst und Theater sind für alle da.“

Eigene Geschichten einreichen

Wer für das Spiel in einem jungen Ensemble inzwischen zu alt ist oder sich nicht so sehr für Schauspiel interessiert, sich aber schon öfter gefragt hat, warum Menschen so oft Dinge tun, die sie nicht für die klügsten halten, kann seinen Textbeitrag zum Thema bis Mitte September beim PRT einreichen. Formale Vorgaben gibt es für die Texte nicht, wie Ruth Hengel betont: „Wir freuen uns über jeden Beitrag, der gelesen und gehört werden möchte und den wir für unsere Stückentwicklung heranziehen dürfen.“ - Einige der Texte werden im Original oder in etwas abgewandelter Form im Stück aufgegriffen werden. Für Teilnehmer und Zuschauer ist das Projekt eine Gelegenheit, sich mit einem zutiefst menschlichen Problem zu befassen, das Ruth Hengel so umreißt: „Warum habe ich vorgestern nicht laut gesagt: So geht das nicht! Nicht mit mir! Ich brauche doch eigentlich was ganz anderes!?“

Infos
- „Schwaches Fleisch“ ist ein Theaterprojekt für junge Menschen ab 15 Jahren. Die Proben beginnen mit einem verpflichtenden Auftaktworkshop am Dienstag, 3. September, von 16 bis 19 Uhr. In der Folge finden die Proben wöchentlich dienstags zwischen 16 und 19 Uhr sowie teilweise am Wochenende statt. Anmeldung per E-Mail an: progenitur@prinzregenttheater.de.
- Wer eine Geschichte zum Thema „Akrasia“ einreichen möchte, sollte seinen Text bis Sonntag, 15. September, an: progenitur@prinzregenttheater.de schicken.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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