Geflüchtete in Bochum finden bei der Zeitschrift „Neu in Deutschland“ eine Plattform
Im Dienste der Verständigung
„Ich bin jetzt seit sieben Monaten bei der Zeitschrift 'Neu in Deutschland' dabei“, erzählt Dima Halabi und ergänzt, „zunächst wollte ich vor allem meine Deutschkenntnisse verbessern und neue Bekanntschaften schließen. Aber 'Neu in Deutschland' gibt uns Geflüchteten natürlich auch eine Stimme.“
Im aktuellen nid-Heft, das im November erschienen ist und noch bis Januar 2019 verteilt wird, ist Halabi mit dem Artikel „Meine arabische Sprache“ vertreten. In dem berührenden Text geht es um die Erinnerung an die Heimat, die untrennbar an die Sprache gebunden ist, und zugleich um das Ankommen in Deutschland, für das der Spracherwerb eine Grundvoraussetzung ist. Und damit wendet sich Halabi nicht in erster Linie an andere Geflüchtete, sondern vor allem an diejenigen, die schon länger in Deutschland leben.
Das ist Dorte Huneke-Nollmann, Herausgeberin des Magazins, wichtig: „Viele Leser erzählen, dass sie nid zum Beispiel an eine syrische Flüchtlingsfamilie weitergegeben haben. Ich sage in solchen Fällen: 'Noch besser wäre es, wenn sie das Heft Ihrer deutschen Nachbarin geben.' - Geflüchtete wollen sich schließlich nicht um sich selbst drehen.“ - Entsprechend liegt das mittlerweile sehr professionell gestaltete nid kostenlos an vielen zentralen Orten im Stadtgebiet aus: in der Volkshochschule, der Stadtbücherei, der Jahrhunderthalle und im Quartierstreff Q1 im Westend, zum Beispiel. Außerdem wird das Heft an Interessenten außerhalb Bochums verschickt.
Magazin erscheint seit 2015
Gegründet hat Huneke-Nollmann nid 2015; damals sei es relativ einfach gewesen, als Einzelperson für die Arbeit mit Geflüchteten finanzielle Mittel zu beantragen, ohne gleich einen Verein zu gründen. „Einige Mitstreiter aus der Anfangszeit sind tatsächlich noch dabei“, stellt sie fest. Die Motivation der Redaktionsmitglieder habe sich allerdings verändert: „Anfangs war das Ganze für die meisten in erster Linie ein Zeitvertreib; heute sehen sie nid als Plattform.“
Besonders gern lesen viele nid-Anhänger Issam Alnajms Gedichte, für die der engagierte junge Mann einen Verlag sucht. „Ich bin jetzt seit gut zwei Jahren dabei; wir treffen uns jeden Freitag“, erzählt er. Neben der journalistischen Arbeit bleibe durchaus noch Zeit für anderes: „Wir gehen ins Theater, machen Ausflüge und kochen gemeinsam.“
Demokratisches Bewusstsein
Natürlich ist das Thema „Flucht“ in nid nach wie vor präsent, aber Lamia Hassow, seit Anfang 2017 dabei, möchte das Projekt nicht darauf reduziert wissen: „Es geht uns letztlich um die Förderung der Demokratie.“ - Parteipolitik bleibt allerdings außen vor. Dorte Huneke-Nollmann erklärt: „Als wir von einer Partei zu einer Lesung eingeladen worden sind, habe ich abgelehnt. Wir wollen bewusst auch Konservativen unter den Geflüchteten ein Sprachrohr bieten und machen weder eine muslimische noch eine kurdische Zeitung.“
Das aktuelle nid-Heft ist dem Schwerpunktthema „Mut zur Menschlichkeit“ gewidmet, das unter fünf Vorschlägen ausgewählt worden ist. „Über solche Fragen wird abgestimmt“, beschreibt Huneke-Nollmann den Arbeitsprozess. Das ursprüngliche Layout stammte von der Quartierszeitschrift „Drei Viertel“, die sich mit dem Westend beschäftigt und von der Journalistin Huneke-Nollmann herausgegeben wird. Mittlerweile steht nid optisch auf eigenen Füßen. Besonders stolz ist Lamia Hassow auf die vielen Fotos: „So dokumentieren wir beispielsweise unsere Teilnahme am Halbmarathon.“
Thema Familie
Issam Alnajm ist ein weiterer Aspekt wichtig: „Durch Interviews und Umfragen knüpfen wir Kontakte zu Deutschen und sprechen über Themen wie die Familie, die in Deutschland einen ganz anderen Stellenwert hat als in Syrien.“ Lesungen haben Mitglieder der Redaktion schon in Oberhausen, Dortmund, Hattingen und Köln gehalten; in Bochum ist man häufiger im Rottstr5-Theater zu Gast.
Top Ten beim Nationalen Integrationspreis
Ein besonderer Erfolg war es für nid, beim Nationalen Integrationspreis der Bundeskanzlerin unter die ersten zehn zu kommen; einige Vertreter der Redaktion nahmen Ende Oktober an der Preisverleihung teil und berichten im aktuellen Heft darüber. „Darüber hinaus besuchen wir Schulen, um gerade auch junge Leute zu erreichen“, betont Issam Alnajm, der auch bei einem Wettbewerb der Literarischen Gesellschaft mit seinen Gedichten erfolgreich gewesen ist.
„Die 4.000 Exemplare, die wir drucken“, sagt Herausgeberin Dorte Huneke-Nollmann nicht ohne Stolz, „sind immer schnell vergriffen. Ich halte es nach wir vor für wichtig, eine gedruckte Zeitschrift herauszubringen, da man da ruhiger liest als im Internet. Das Printmedium bringt die Hochachtung vor denen zum Ausdruck, die die Beiträge schreiben. Schließlich sind wir längst kein Hilfsprojekt für Geflüchtete mehr, sondern haben uns zu einem Demokratieprojekt entwickelt. Für viele in der Redaktion verbindet sich Europa mit der Hoffnung auf Freiheit und Demokratie – und diese Erwartungen sollten sich erfüllen.“
Idee ist übertragbar
Die Redakteure schreiben ihre Texte mittlerweile zu Hause und bringen sie zum Redigieren in die Redaktion. Das Konzept einer Zeitschrift als Plattform für Geflüchtete lasse sich problemlos auf andere Kommunen übertragen. „Ähnliche Projekte gibt es in Hamburg, Gera und Bottrop oder sie sind in Planung“, erzählt Huneke-Nollmann, der es wichtig ist, dass ganz unterschiedliche Textformen in nid vorkommen.
Für das Frühjahr 2019 ist ein Sonderheft zum Thema „Frauen“ geplant, über das Huneke-Nollmann noch nicht zu viel verraten will. „Ich bin zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft Förderung erhalten“, sagt sie.
Zum Weiterlesen
Viel Wissenswertes gibt es auf www.nid-zeitung.de.
Autor:Nathalie Memmer aus Bochum |
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