BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken im Exklusiv-Interview
"Ich bin auf der Zielgeraden"

Auf den Spuren Bob Dylans: Wolfgang Niedecken beim Strandkorb-ZfR.  | Foto: Tina Niedecken
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  • Auf den Spuren Bob Dylans: Wolfgang Niedecken beim Strandkorb-ZfR.
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Am 17. September ist Wolfgang Niedecken mit seinem Programm "Niedecken liest und singt Dylan" zu Gast bei der Strandkorb-Edition des Zeltfestivals Ruhr. Stadtspiegel-Redakteurin Petra Vesper sprach mit ihm über sein Vorbild Dylan, über die Musikbranche in Corona-Zeiten - und übers Älterwerden.

Wolfgang Niedecken, eure Tour „Niedecken liest und singt Dylan“ ist keine Tour wie jede andere…
Das stimmt. Wir spielen jeden Abend unter sehr flexiblen Bedingungen, je nach Bundesland, in dem wir sind, und den dort geltenden Bedingungen. Aber es macht Spaß und ich habe bislang nur positive Rückmeldungen bekommen und auch die Kritiken waren immer gut. Nur einmal, da hatten wir eigentlich ein Areal, das rund 1.000 Zuschauer gefasst hätte, das wir aber nur zu einem Drittel füllen durften. Das war schade. Aber letztlich hat auch dieser Abend wunderbar funktioniert.

Es ist für dich die erste Tour seit fast zwei Jahren. Wie wichtig ist die für dich als Künstler?
Der Kontakt mit dem Publikum ist total wichtig, davon ist man schon abhängig. Ich bin ja nicht Musiker, um immer nur in meinem Arbeitszimmer oder im Studio zu sitzen, ich will auch raus zu den Leuten. Da bin ich ein bisschen wie ein altes Zirkuspferd, das losrennt, wenn es die Sägespäne riecht…

Du als Musiker auf der Bühne bist ja aber nur ein Teil des Musikbusiness – die ganze Branche hat durch die Corona-Pandemie seit letztem Jahr unglaublich gelitten. Ihr habt mit BAP und der „Crew-Aid“-Kampagne schon früh im Sommer letzten Jahres auf die Not der Menschen hinter den Kulissen aufmerksam gemacht. Ist dieser Dylan-Abend, der mit ganz kleinem Besteck auskommt, daher auch ein Zeichen, dass die Branche noch lebt?
Das hängt alles mit allem zusammen. Natürlich ist diese Tour auch ein Zeichen der Solidarität. Es war mir von Anfang an wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass da viele im Hintergrund arbeiten, wenn wir auf Tour gehen – vom Truck- und Anlagenverleiher über die Hallenbetreiber und Konzertagenturen bis hin zur Gastronomie. Da hängt ein riesiger Rattenschwanz dran. Das alles ist im letzten Jahr komplett weggebrochen. Crew-Aid war ein Statement, konnte natürlich überhaupt nicht das wirtschaftliche Überleben unserer Mitarbeiter sichern.
Das ist auch einer der Gründe, warum ich so einen Hals habe auf die Leute, die sich nicht impfen lassen. Impfen hat auch was mit Solidarität zu tun – damit wir alle bald wieder ganz normal auf Tournee gehen können. Und deshalb finde ich es auch völlig richtig, bestimmte Dinge nur mit der 2-G-Regel für Geimpfte und Genesene freizugeben: Wer eine Veranstaltung besucht, der muss sich sicher fühlen, sonst kauft er kein Ticket. Deshalb bekenne ich Farbe und sage immer wieder: „Leute, lasst euch impfen!“

Du engagierst dich sehr für dieses Thema – gerade auch in den sozialen Medien...
Ich habe eine Verantwortung, die muss ich wahrnehmen. Wir haben innerhalb kürzester Zeit hervorragende Impfstoffe entwickelt. Jeder, der sich impfen lässt, trägt zur Herdenimmunität bei. Nur wenn wir die erreichen, können wir auch wieder alle gemeinsam feiern. Und die Live-Branche könnte endlich aufatmen.

Eigentlich wärst du jetzt gerade mit BAP auf einer großen Band-Tour…
Das stimmt. Aber das finanzielle Risiko, das in diesen Zeiten hinter einer so großen Band-Tour steht, können wir nicht eingehen. Da fehlt zum jetzigen Zeitpunkt die Planungssicherheit.

Aber dein Dylan-Abend ist jetzt nicht nur ein Notnagel?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin total happy mit dem, was wir da machen. Mike Herting ist ein fantastischer Pianist. Wir ergänzen uns wie Yin und Yang. Ihn kenne ich schon länger, als es BAP gibt. Er hat unter anderem mein Solo-Album mit der WDR-Big-Band arrangiert und dirigiert. Die Tour ist eine tolle Chance, mit ihm auf der Bühne zu sein.

Ist denn „Niedecken liest und singt Dylan“ eher ein Abend für Dylan- oder eher einer für BAP-Fans?
Ich würde es so sagen: Es ist ein Abend für musikinteressierte Leute, durchaus humorvoll und lustig – ich halte ja keine Vorträge für Spezialisten. Die Reise, die ich 2017 durch die USA für den Sender Arte gemache habe, liefert den roten Faden, an dem ich mich entlang hangele. Da ergaben sich viele lustige Anekdoten.

Du hast in diesem Jahr in der KiWi-Musikbibliothek auch einen Band zu Dylan veröffentlicht – ist das die Textgrundlage für den Abend?
Ja, daraus lese ich auch, habe aber die Texte stark eingedampft. Ich weiß, dass ich eine sehr beruhigende Stimme habe, will allerdings nicht, dass mir die Leute zwischendurch einschlafen (lacht)…. Die Geschichten laufen immer auf Lieder hinaus, man kann gespannt sein: Mal ein BAP-Stück, mal ein Dylan-Song, mal wechsle ich mitten im Stück die Sprache zwischen Englisch und Kölsch… Mir macht das viel Spaß und dem Publikum offenbar auch.

Du lebst ja schon seit vielen Jahrzehnten mit dem Etikett „Deutscher Bob Dylan“ – wahlweise auch „Kölscher Bob Dylan“ – ist das eigentlich mehr Fluch oder mehr Segen?
Och (lacht)… ich sag mal: Es könnte Schlimmeres geben! Ich kann damit ganz gut leben. Aber dieses Label war irgendwie unvermeidbar: Ich hab die Lockenfrisur ja schon immer, und wenn man dann mit langen Haaren, Gitarre und Mundharmonika in den 70ern in einer Kneipe in Köln sang, dann war man ganz schnell der „Südstadt-Dylan“.
Du schreibst in deinem Buch, dass du ohne Dylan nicht zur Musik gekommen wärst und dass sein Song „Like a Rolling Stone“ für dich eine Art Erweckungserlebnis war...
Ich hab damals in einer Schülerband gespielt, was aber zu der Zeit so ziemlich jeder gemacht hat, weil sich jeder über die Musik definierte. Ich war damals eher der Beatles und McCartney-Fan. Dann hab ich zum ersten Mal „Like A Rolling Stone“ gehört und dachte: „Was war das denn jetzt?“ Das war etwas völlig anderes als diese "Boy meets Girl"-Texte wie „She Loves You“oder „I Want To Hold Your Hand“. Da war jemand, der den Zuhörern lange Texte zumutete, in seinen Songs ganze Geschichten erzählte – was völlig anderes als diese Texte aus dem Reimlexikon.

Dylan ist in diesem Jahr 80 geworden, Du hast deinen 70. Geburtstag gefeiert. Eigentlich war in der Kölnarena ein großes Geburstagskonzert geplant. Wegen Corona musste auch das verschoben werden. Eine schmerzliche Entscheidung?
Ich bin ja eher ein Geburtstagsmuffel, mir ist das nicht wichtig. Meiner Familie aber schon. Für sie war der 70. eine größere Sache als für mich. Was mich aber sehr gerührt hat, war, wie viele Leute an diesem Tag an mich gedacht haben, mir geschrieben haben, mir etwas geschenkt haben… Das war unfassbar und sehr bewegend. Das Geburtstagskonzert holen wir genau am gleichen Tag im nächsten Jahr nach…

Aber 70 ist schon eine Hausnummer für einen Künstler, der regelmäßig auf der Bühne steht. Was bedeutet das für dich?
Machen wir uns nichts vor: Ich bin auf der Zielgeraden. Das muss man, ohne sentimental zu werden, so sagen. Als ich 60 wurde, hatte ich keine Zeit, darüber nachzudenken, aber jetzt muss mir klar sein, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre der Punkt kommen wird, wo ich das womöglich nicht mehr schaffe – entweder körperlich oder konzentrationsmäßig.

Ist diese Corona-Zwangspause für einen Künstler in deinem Alter daher noch mal bitterer als für einen jungen Musiker in den Zwanzigern?
Nein. Ich will da nicht jammern. Ich glaube, die aktuelle Situation ist sehr viel schwieriger für junge Künstler, die gerade mal einen Fuß in der Tür haben und jetzt so ausgebremst werden. Ich kann seit über 40 Jahren von meinem Hobby leben.

Euer Auftritt in diesem Jahr beim Zeltfestival Ruhr findet im Rahmen dieser ganz besonderen Strandkorb-Edition statt. Über Strandkorb-Konzerte wurde in den letzten Wochen viel diskutiert – in Bochum sind die ersten Konzerte super gelaufen. Welche Erwartungen hast du daran?
Ich bin mal sehr gespannt. Das wird unser erstes Strandkorb-Konzert, da können wir uns unsere eigene Meinung bilden. (lacht) Wir machen das ja nicht zuletzt, um auch mitreden zu können. Eine ganze Tour nur mit Strandkörben hätte ich nicht machen wollen, aber so freue ich mich auf den Abend. Das Dylan-Programm passt da gut hin und es wird bestimmt eine tolle Erfahrung. Und auch Mitte September kann das für die Zuschauer mit Decke im Strandkorb ja ganz kuschelig sein. Autokino-Konzerte, wie einige Kollegen sie im letzten Sommer gemacht haben, wären übrigens nichts für mich – ich will von der Bühne nicht nur auf Autos gucken! Wir freuen uns gerade jeden Abend darüber, wieder vor real existierenden Menschen zu spielen.

Mit deiner Band BAP warst Du ja schon zweimal beim ZfR zu Gast. Welche Erinnerungen hast du daran?
Nur gute, das waren immer tolle Abende. 2014 war es nicht nur das letzte Konzert unserer Tour, sondern auch das letzte unseres langjährigen Schlagzeugers Jürgen Zöller. Seinen Abschied von der Band hatten wir vorher niemandem verraten, niemand wusste davon, nur wir. Jürgen wollte das so. Ich habe an dem Abend den ein oder anderen Kloß im Hals gehabt und wusste genau: „Wenn du dich jetzt nach hinten zu ihm umdrehst, dann ist es vorbei…“ Den Abend werde ich nie vergessen.

Auf den Spuren Bob Dylans: Wolfgang Niedecken beim Strandkorb-ZfR.  | Foto: Tina Niedecken
Gemeinsam mit Pianist Mike Herting präsentiert Wolfgang Niedecken ein Programm, bei dem nicht nur Dylan-Fans auf ihre Kosten kommen. | Foto: Tina Niedecken
Autor:

Petra Vesper aus Bochum

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