Happy Birthday, Bahnhof Langendreer!

30 Jahre Bahnhof Langendreer: Samtag lädt das Team um Serbay Demir, Andrea Popp, Kristin Schwierz, Nina Selig, Petra von Randow (vorne, v.l.), Martina Weinzierl, Heiko Schwegmann, Ina Michels, Adele Behrenbeck und Rolf Stein (hinten v.l.) zur Geburtstagsparty. | Foto: Molatta
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  • 30 Jahre Bahnhof Langendreer: Samtag lädt das Team um Serbay Demir, Andrea Popp, Kristin Schwierz, Nina Selig, Petra von Randow (vorne, v.l.), Martina Weinzierl, Heiko Schwegmann, Ina Michels, Adele Behrenbeck und Rolf Stein (hinten v.l.) zur Geburtstagsparty.
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Bahnhof Langendreer feiert am Samstag Geburtstag: Sozio-kulturelles Zentrum ist seit 30 Jahren auf der linken Spur und noch lange kein Fall fürs Abstellgleis.

Selbst die "Jungen Wilden" werden mal erwachsen - das gilt auch für den Bahnhof Langendreer: Seit 30 Jahren fährt das sozio-kulturelle Zentrum erfolgreich auf der linken Spur und ist auch im fortgeschrittenen Alter noch längst kein Fall fürs Abstellgleis. Im Gegenteil: Als Kulturzentrum besitzt es eine Strahlkraft, die weit über Bochum und das Ruhrgebiet hinaus reicht.

Im Dezember 1986 ging er an den Start, zwei Jahre darauf folgte das Kino Endstation - doch die Anfänge des sozio-kulturellen Zentrums reichen schon bis ins Jahr 1981 zurück. Damals kämpfte eine breite soziale Bewegung für ein autonomes Kulturzentrum in Bochum - auch mit Fabrikbesetzungen. Nach vielen Jahren der Auseinandersetzungen lenkten Stadt und Aktivisten ein und suchten das Gespräch. Mit dem maroden Bahnhof, den die Bahn abreißen wollte, wurde ein mögliches Domizil gefunden, und ein Trägerverein gründete sich. 150.000 DM zahlte die Stadt für das Gebäude, der Trägerverein warf 150.000 DM - vor allem aus Brauereikrediten - in den Topf, hinzu kamen Eigenleistungen und ABM-Maßnahmen für den Umbau. Ab 1984 wurde geplant, 1985 begannen die Arbeiten.
Schon damals begannen die finanziellen Probleme, mit denen der Bahnhof noch heute kämpft - eine Dauerbaustelle: "850.000 DM, so hatte der damalige Sozialdezernent Neukirchen ausrechnen lassen, hätte die Stadt der Betrieb eines sozio-kulturellen Zentrums wie unseres gekostet - uns hat man dann 180.000 DM für den laufenden Betrieb sowie 30.000 DM für Projekte zuerkannt", erinnert sich Rolf Stein, neben Andrea Popp, Heiko Schwegmann und Gunter Schenkel, die auch heute noch zum Team gehören, einer der "Gründungsväter" des Bahnhofs Langendreer und seinerzeit der erste Mitarbeiter in Festanstellung. "Alles andere mussten wir selbst finanzieren - und das ist auch heute noch so." An dieser strukturellen Unterfinanzierung änderte sich über die Jahre nicht viel. "Erst unter der rot-grünen Ratsmehrheit bekamen wir ab 1999 deutlich mehr Geld, rund 300.000 Euro pro Jahr, verbunden mit der Aussicht, dass diese Summe sogar noch verdoppelt würde."
Doch schon damals zeichneten sich die Haushaltsschwierigkeiten der Stadt ab - und so wurde aus der Erhöhung nichts, im Gegenteil: "An den Zuschüssen hat sich nichts geändert, aber wir haben ausgerechnet, dass wir in der Zeit einen Inflations- und Kaufkraftverlust von rund 25 Prozent hatten. Das kann man nicht auffangen. Und das betrifft ja nicht nur uns, sondern alle freien Kulturträger." Die Erhöhungen der Zuschüsse um drei und fünf Prozent in den letzten Jahren hätten das bei weitem nicht auffangen können.
Doch nicht nur die Finanzen sind ein Dauerproblem: "Am Anfang wurden wir von den Nachbarn sehr kritisch beäugt, es hat sich sogar eine Bürgerinitiative hier gebildet, die unsere Eröffnung verhindern wollte", erinnert sich Rolf Stein. "Klar, hier war ja tote Hose - und dann kamen wir und wollten eine Gastronomie, Kino und regelmäßige Veranstaltungen machen. Die hatten Angst um ihre Ruhe." Bis in die 1990er Jahre gab es regelmäßig Konflikte mit den Anwohnern. "Jetzt gibt es nur noch einen, der immer noch was gegen uns hat", schmunzelt er.
Denn von Beginn an war den Bahnhofs-Machern und -Macherinnen klar, dass das sozio-kulturelle Zentrum mehrgleisig fahren sollte: mit einer Gastronomie in der früheren Express- und Frachtguthalle, die für regelmäßige Einnahmen sorgen sollte, einer Veranstaltungshalle für Musik, Partys, Kabarett und Theater in der einstigen Schalterhalle, einem Programmkino sowie kleineren Räumen für Gruppen und Initiativen im früheren Wohnhaus.
Das Gebäude und seine Fassade sind denkmalgeschützt: "Das war uns von Anfang an wichtig, obwohl es vieles erschwert hat. Allein die Fenster und die Tür hier im Kino-Foyer haben ein Vermögen gekostet." Im Inneren jedoch konnte das Gebäude so umgebaut werden, wie für die spätere Nutzung notwendig. Doch auch das hatte seine Tücken: "In der Halle waren die Schalter tragend für die Konstruktion." Und erst, als zwei Jahre später die Umbauarbeiten für das Kino "Endstation" weiter gehen konnten, "entdeckte" man den darüber liegenden großen Raum mit 110 Quadratmetern Fläche, der heute als "Raum 6" Ort für Lesungen, politischen Veranstaltungen oder Diskussionen ist.
Wichtigste strategische Entscheidung in der Umbauphase war die, die Kapazität der Halle durch den Einbau einer Empore zu erweitern. "Bestimmte Künstler bekommt man mit 150 Plätzen einfach nicht", macht Rolf Stein deutlich. Doch auch damit stieß der Kulturbahnhof schnell an seine Grenzen: Konnten die ersten Abende mit Herbert Knebel noch in der eigenen Halle stattfinden, füllte das "Affentheater" schon bald die Freilichtbühne zwei Mal in Folge. "Die 'Missfits' haben hier anfangs vor 50 bis 100 Leuten gespielt. Bei ihrem nächsten Programm waren wir mutig und haben die Halle gleich für zehn Abende geblockt. Und Volker Pispers ist schon bei uns aufgetreten, da war er noch Germanistik-Student", erinnert er sich. Im letzten Jahr sorgte der Kabarettist für ein ausverkauftes Haus im RuhrCongress. "Wir hatten Glück, dass wir durch Kooperationen mit der Freilichtbühne, der Stadthalle oder der Ruhrlandhalle schon früh auch größere Veranstaltungen durchführen konnten."
Geändert hat sich auch in 30 Jahren nichts am Prinzip der Selbstverwaltung des Bahnhofs Langendreer - auch, wenn sich die praktische Umsetzung gewandelt hat: "Es gibt hier keinen Chef und keine Chefin", macht Rolf Stein deutlich. "Allerdings hatten wir in dem ersten Konzept festgelegt, dass alle Entscheidungen - auch die Programmplanung - in der Vollversammlung aller Nutzer getroffen werden. Das wäre absolut undurchführbar geworden." Jetzt entscheidet ein Gremium aus allen hauptamtlichen Kräften die Fragen rund um Personal oder Investitionen. "Die Programmentscheidungen werden jedoch von den verantwortlichen Personen in eigener Kompetenz getroffen." Das funktioniere gut, denn "alle Leute haben verinnerlicht, was den Bahnhof ausmacht, welche Künstler hierher passen - und welche nicht." So fallen aus inhaltlichen Gründen auch schon mal Künstler durchs Raster, die vielleicht für hohe Einnahmen sorgen könnten: "Aber Leuten, die neo-liberales Zeug erzählen, müssen wir kein Forum bieten."
Die hohe Identifizierung der Mitarbeiter mit dem Bahnhof Langendreer sei es auch, was die besondere Qualität ausmache': "Von uns ist immer jemand abends bei den Veranstaltungen vor Ort, das ist sowohl für die Künstler als auch fürs Publikum wichtig und gibt unserer Arbeit Seriosität und Kontinuität."
Neben Musik, Theater, Kabarett, Kino und Disco-Veranstaltungen ist die politische Arbeit tragende Säule des Bahnhofs Langendreer. "Wir haben nach wie vor unser 'Politbüro' mit zwei Stellen", berichtet Rolf Stein. "Es ist uns wichtig, dass aktuelle sozialpolitische Fragen auch bei uns eine Entsprechung finden, und wir hier ein Forum für Diskussionen schaffen."
Regelmäßig werden die Räume auch durch Dritte genutzt - vom Frühstückstreff für Einwanderer-Frauen über das Friedensplenum oder die Gruppe "Religionsfrei im Revier" und linke Jugendgruppen bis hin zur Kreistanzgruppe, die hier regelmäßig probt oder den muttersprachlichen Unterricht für Tamilen, der hier seit Jahren regelmäßig stattfindet.
"Uns ist es wichtig, dass sich auch Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte hier wohl fühlen und versuchen, interkulturelle Fragen vor allem auch in unserem Musik- und Theaterprogramm aufzugreifen." Gerade diese Arbeit sieht Stein als wichtig für die Zukunft des Kulturbahnhofs an - bestes Beispiel dafür ist das Festival "Ruhr International", eine Kooperation zwischen Stadt, Jahrhunderthalle und Bahnhof Langendreer. Bislang findet es alle zwei Jahre statt, "doch ich bin der Meinung, dass der Bereich der Internationalisierung und der Diversifizierung deutlich mehr Geld und Aufmerksamkeit verdient, Hier sind das Land, der RVR und die Stadt gefordert." Integration, so Stein, bedeute auch kulturelle Teilhabe: "Zuwanderung ist eine Chance für die Kultur, gerade deshalb müssen wir diese Arbeit verstärken."
Im Januar 2020 wird Rolf Stein seinen Schreibtisch im Bahnhof Langendreer räumen - genauso wie Gerd Spiekermann. Damit gehen die Ersten der "Gründergeneration" in den Ruhestand. Was dann kommt? "Ich weiß es nicht", gibt Rolf Stein zu. "Nachfolger müssten eigentlich schon mindestens ein Jahr vorher eingearbeitet werden, um einen nahtlosen Übergang zu gewährleisten. Das aber - und da schließt sich der Kreis - ist angesichts der finanziellen Situation eine Illusion.

DAS PROGRAMM AM SAMSTAG:

30 Jahre Bahnhof Langendreer - das muss gefeiert werden: Zur großen Geburtstagssause lädt der Bahnhof ab 16 Uhr Jung und Alt ein.
Im Außenbereich werden Essensstände aufgebaut und Spielstationen für die kleinen Besucher aufgebaut.
Um 17 Uhr zeigt das Endstation-Kino den Kinderfilmklassiker "Pippi Langstrumpf".
Mit Matthias Brodowy, Grenzgänger zwischen Kabarett und Comedy, gibt sich um 19 Uhr ein Vertreter des gehobenen Blödsinns die Ehre.
Ebenfalls um 19 Uhr zeigt das Endstation-Kino den Film "Der Sprinter" von Christoph Böll. Im Anschluss ist der Bochumer Filmemacher Gast zu einem Filmgespräch.
Um 21 Uhr sind die "Banda Senderos" aus Essen zu Gast. Die neun Musiker stammen aus Chile, Kongo und Deutschland und präsentieren einen Global-Pop-Mix, bei dem lateinamerikanische Rhythmen auf fette Bläsersätze treffen.
Im Endstation-Kino läuft um 21 Uhr die Spionage-Komödie "Burn After Reading" der Coen-Brüder.
Ab 22.30 Uhr verzaubert die Gruppe "Feuerfest" das Publikum mit einem atemberaubenden Tanz mit spektakulären Feuereffekten.
Die ultimative Geburtstagsparty steigt dann ab 23 Uhr mit DJammeh in der Halle.
Der Eintritt für alle Veranstaltungen ist frei.

Autor:

Petra Vesper aus Bochum

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