100 Jahre Schauspielhaus Bochum:
Happy Birthday! Auf die nächsten 100 Jahre!
BOCHUM. Einmalig interessantes Treffen von Theater-Intendanten & Co mit Hermann Beil, Reinhild Hoffmann, Leander Haußmann, Matthias Hartmann, Elmar Goerden, Anselm Weber, Olaf Kröck und Johan Simons zum 100. Theater-Geburtstag an der Bochumer Königsallee:
Das war schon eine wirklich erlesene Besetzung, die am 13. April in zwei Akten „Einmal Intendant in Bochum sein“ auf die Bühne brachte:
Und auch wenn der erkrankte Thomas- Bernhard-Freund & -Förderer, -Seelenverwandte und Bochum prägende Alt-Intendant Claus Peymann (1979 bis 1986), schon länger erkrankt, leider nicht teilnehmen konnte, so schwebte der besondere Spirit dieser beiden Theatergötter deutlich über den theaterschick meist schwarzgekleideten Kollegen.
Den Auftakt machte in aller Bescheidenheit Hermann Beil:
der für seinen Herzens-Chef und die ganze Peymann-Ära teilnahm. In der Rolle als „sie selbst“ und angestrengt extern-investigativ sollte Sonia Seymour Mikich gemeinsam mit Haus-Chefdramaturg Vasco da Boenisch die zwei Runden seltener Wundertiere moderieren. Nur zum Warmlaufen: Wie sind Sie denn nach Bochum gekommen?
Hermann Beil: „Bochum war die einzige Stadt, die uns nach Stuttgart aufgenommen hat. Frankfurt hatte schon abgewinkt. Kulturdezernent Dr. Richard Erny hat uns hergeholt.“ (Stuttgart-Stammheim, Gudrun Ensslins Zahnersatz-Spende - ein Hauch „bleierner Zeit“ der gesellschaftsspaltenden „RAF-Jahre“ stand im Raum). Beil, der Sanfte, der auch auf völlig verhackten Proben immer die richtigen Worte findet und auch schon mal Kuchen backt, um die Stimmung zu heben, findet ungewohnt deutliche Worte der Dankbarkeit für diese Stadt und ihren damaligen Dezernenten. Bochum hatte der Peymann-Truppe nach ihrem Rausschmiss in Stuttgart sein Theater anvertraut.
Genesungswünsche an Claus Peymann:
Als Dramaturg wichtiges inhaltliches Scharnier und als Mensch die „Mutter der Kompanie“ findet Beil auch jetzt die „richtigen Worte“, als er Claus Peymann im Namen aller hier Versammelten die besten Genesungswünsche übermittelt. Der anrührend stark emotionale Moment überdeckt, dass es kein Grußwort vom kranken Claus Peymann für sein Bochum gibt, auch Außenstehenden wird klar, dass C.P. wohl schwer erkrankt sein muss. Nie hätte er sonst (nach Übergabe Wiener Proben an Haußmann) den 100. Geburtstag „seines Theaters“ in Bochum grußlos verpasst.
Beil erzählt vom wunderbaren Publikum hier, das seine Schauspieler liebt, mit ihnen leidet, auch schon mal so lange klatscht, dass eine körperlich offensichtlich unmöglich zu bewältigende Bühnen-Aktion verhindert wird. Branko Samarowski musste als Knecht Matti in Brechts „Puntila“ hier einst einen schweren Billardtisch auf den berühmten Hatelma-Berg stemmen und schaffte das kräftemäßig einfach nicht. Dauerklatschen beendete seine Qual. Beil schlicht: „Unser Anspruch war, so gut wie möglich Theater zu machen.“ Jubiläums-Applaus!
Die umständlich formulierte journalistisch gemeinte übliche Frage nach „Ist Theater auch tagespolitisch, wie und warum und hier in Bochum?“ -
beantwortet Matthias Hartmann (Intendant von 2000 bis 2005) ganz uncharmant mit der Gegenfrage ans Publikum “Haben Sie das jetzt verstanden?“ (Lacher) Und erzählte erstmal sehr amüsant, wie es ihn selbst nach Bochum verschlagen hat: Hartmann, auch ein Peymann Regieassistent und seit 35 Jahren mit Hermann Beil befreundet, saß in München auf glühenden Kohlen, aber keiner rief ihn an. Seine Frau tröstete nicht wirklich mit „Wenn sie Dich wollen, melden sie sich schon.“ Er hat es nicht ausgehalten und sich dann einfach selbst in Bochum im Vorzimmer vom neuen Kulturdezernent Küppers (vorher Mülheim, heute München) gemeldet. Und wurde - wenn auch zögerlich - durchgestellt und bekam auf die Frage: „Herr Küppers, warum melden Sie sich nicht bei mir?“ die unschlagbare Antwort: „Ich wollte nur wissen, wer länger durchhält.“ Jubiläums-Applaus!
Ja - auch politisch haben sie als Theaterleiter Stellung bezogen:
z.B.: Bei der Opel-Schließung: „Da haben wir Suppe ausgeschenkt.“ Steilvorlage ein paar Fragen später für Hartmanns Nachfolger Elmar Goerden (2005 bis 2010), nachdem Hartmann bereits zum Mailand-Flug zur aktuellen Opern-Inszenierung geeilt war: Goerden hält andere Medien für besser geeignet, Tagespolitik zu präsentieren: „Da gibt es welche, die verteilen dann Suppe und kommen sich super-politisch vor.“ Das erste Bochumer Theatererlebnis für den jungen Goerden war die Peymannsche „Hermannsschlacht“. Die empfand er als hochpolitisch und mit den ureigensten Mitteln des Theaters umgesetzt! Als Intendant habe er sich selbstverständlich prinzipiell mit der Stadt auseinandergesetzt.
Das weite Feld der Gleichberechtigung und der „Selbstausbeutung“ am Theater - in Bochum gab es bisher ja auch nur männliche Intendanten?
Auch hier brach Hermann Beil das Eis des „falschen Vorwurfs“ und berichtete von den beiden Bochumer Mitarbeiterinnen von Claus Peymann: Karin Bergmann ist inzwischen Chefin des Wiener Burgtheaters und das „Fräulein Schneider“ (so auch literarisch durch Thomas Bernhard verewigt) Leiterin des Suhrkamp-Theater-Verlages (Brecht & Co.).
Für Beil ist „Theatermachen“ (bis zum Umfallen) schlicht Hingabe!
Wofür er starken, warmen Applaus bekam. Olaf Kröck hielt gegen, er hatte in seinem genau einen Intendanten-Jahr 2017/18 Samstagsproben abgeschafft - damit auch SchauspielerInnen mal mit ihren Kindern frühstücken können. Auch hier Applaus. Kröck munter: „Wir hatten keinen Druck. Denn wir waren ja schon weg, bevor die Probleme kommen würden.“ .
Zweite Intendanten-Runde:
In der zweiten Runde der wegen Animositäten geteilten Diskussion hatte Sonia Seymour Mikich mit all den Hart-Männern, Hauß-Männern, Hoff-Männern (Reinhild Hoffmann kam als Vertreterin der Frank-Patrick Steckel-Intendanz von 1986-95) und Pey-Männern mindestens einen zuviel auf dem Monitor. Bei der wohl unvermeidlichen Gender-, Rassismus-, Sexismus-Frage konterte Leander Haußmann (1995 bis 2000 und damals jüngster Intendant ever in Bochum) mit einem genervt satten: „Ja, mit Sex, da kriegen Sie mich!“ und Johan Simons als aktueller Chef auf seinen richtig schicken grünen Seidenanzug weisend rettete nicht wirklich mit: „Ja, ICH bin heute sehr sexy.“ Die Zuschauer brachen zusammen, me too.
Ob das Theater durch andere Medien wie Film, Fernsehen, Netflix oder andere Streaming-Dienste gefährdet wäre?
Die lebende Antwort Leander Haußmann, als einziger aus beiden Runden mit Jobs in Produktions-Firmen dazu aussage-kompetent, blieb ungefragt.
Herrliche Komödie:
Die witzige, aber auch sperrig schräge Diskussion lief zeitfressend auch schon mal wie in einer Komödie herrlich aneinander vorbei, doch auch das ein Erlebnis: Wann erlebt man schon mal so viele hochspezialisierte „Ego-Bomber“ auf einer Bühne? Wenn auch im Hass-Couple Hauß-&Hart-Mann zeitlich getrennt.
Reinhild Hoffmann, die wunderbare Körpersprachlerin und Tanzheroine, verzettelte sich ein wenig bei der Erinnerung an Nichtzustande-Gekommenes, darunter eine der abgebrochenen Inszenierungen Einar Schleefs.
Anselm Weber erzählte – mit dem Erfolg im Nachengagement Frankfurt Main im Rücken - so locker wie nie, was ihm die Bochumer Politik zum Abschied gestand: „Wir wussten, in was für ein Minenfeld wir Sie schicken. Und sind jetzt heilfroh, dass Sie (und wir) das überlebt haben.“ Ja, das hat er und wie: Sein Abschieds-Geschenk waren 1,4 Millionen Euro theaterunüblicher Überschuss ans zu sanierende Schauspielhaus und an „seinen“ Dramaturgen und Interims-Nachfolger Olaf Kröck. Ob Johan Simons auch noch davon zehren wird, ist nicht bekannt, zum Jubiläum wirkt das Haus stilvoll herausgeputzt.
Einen Nachschlag zur ganzen Intendanten-Herrlichkeit gabs bei der anschließenden Geburtstags-Ausgabe des Liederabend „O, Augenblick“ mit witzigen Einzel-Gastauftritten:
Goerden schwenkte tanzend einen schwarzen Cowboyhut, Weber rockte ein bisschen mit, Haußmann schleanderte in 50-Jahre-Schick und ausgerechnet Kröck lief baseballschläger-schwingend quer über die Bühne Richtung Recklinghausen.
Das hinreißende Ensemble:
Anne Göbel u.a. als Intendant Haußmann, Margarida Neto u.a. als Peter Zadek, Mercy Dorcas Otieno einfach göttlich in Allem - ihre Version von Herbert Grönemeyers "Bochum"- Hymne in ihrer Muttersprache Suaheli ist so schön, dass einem fast das Herz zerspringt, Georgios Tsivanoglou mit toller Gesangsstimme und hammer-parodierend als Frank-Patrick Steckel. Auch Romy Vreden kann einfach alles und ganz besonders gut singen, Jing Xiang urkomisch u.a. als weiblicher Ur-Intendant Saladin Schmitt (1919-49 !), auch die Band mit Volker Kamp, Thorsten Kindermann, Oliver Siegel und Jan-Sebastian Weichsel einfach nur gut! Sie hörten nach "nur 81 Jahren Rückschau von 100" völlig erledigt und vom Publikum gefeiert einfach auf. Allen Schauspielern fiel „plötzlich“ auf, dass es schon komisch wäre, 100 Jahre Schauspielhaus nur an den Intendanten abzuhandeln.
War da nicht noch was?
Theatergrößen wie Tana Schanzara sekundenkurz in Vorfilm und Dia-Projektion, Schillertheatergröße Ernst Schröder aus Eickel von Saladin auf diese Bretter geholt, auch Burgtheater-Star Ignaz Kirchner hat von der hiesigen Schauspielschule am Lohring kommend auf dieser Bühne angefangen, wie so viele andere vor und nach ihnen beiderlei Geschlechts, denen das Publikum - als vom großen Regisseur oben längst abberufen - still gedachte.
Ein besonderes Highlight mit viel Herzblut war der Song „Irgendwo im Nirgendwo“ von „Element of Crime“, seinerzeit geschrieben für die Peter-Pan-Inszenierung von 2000:
„Und wir folgen Euren Spuren, wenn wir Euch kriegen, seid ihr tot. Das muss so sein, da ham wir keine Wahl, das ist auch besser so, denn: im Nirgendwo ist alles egal.“ Da hat es auch den gereiften Leander „gerissen“ – ganz dezent am Bühnenrand regie-rechts ein Tränchen verdrückend.
Das Schauspielhaus Bochum hat ein Jahrhundert lang die Welt ins Revier und in diese Stadt gebracht. Die kann stolz darauf sein. Happy Birthday! Und: „Auf die nächsten 100 Jahre!“. (Damit das mal wenigstens einer laut sagt). cd
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.