Ostererzählung
Hahnentritt und Nadelspitze / Erinnerung an die Kindheitsjahre
Schon Wochen vor den Osterfeiertagen verbreitete Mutter hemmungslos Hektik und Aufregung. Natürlich meinte sie es nur gut und war sich der Unruhe die sie stiftete, überhaupt nicht bewusst. Auch nicht darüber, wie sehr sie uns mit dem ständigen Anprobieren des unfertigen Strickteils „quälte“, welches allmählich zu einem Pullover heranwuchs.
Ihren Übereifer unterstrich sie durch unüberhörbares Klappern der Stricknadeln sowie gelegentlichem Pieken mit der einen oder anderen Nadelspitze beim Abstecken des Rocksaums, der von unzähligen Stecknadeln gehalten wurde. Spätestens ab dem Moment wussten meine Schwester und ich, dass wir an Ostern nicht nur wie aus dem Ei gepellt aussehen, sondern auch wie ein Ei dem anderem gleichen - rein äußerlich natürlich.
Seltsamerweise setzte Mama alles daran, die große Schwester, sowie auch mich, in „Doppelte Lottchen“ zu verwandeln. Nur an der Frisur erlaubte sie einen, wenn auch nur geringfügigen Unterschied. Während eine kunstvoll gedrehte Tolle exakt die Mitte meines Kopfes schmückte, worüber „Wilhelm Busch“ garantiert entzückt gewesen wäre, zögerte sie nicht lange meiner Schwester Ähnlichkeit mit Witwe Bolte zu verschaffen, indem sie ihr eine dicke Schleife vor die Stirn drapierte. An das stramme, gesichtsstraffende Gefühl kann ich mich noch genauso gut erinnern, wie an die vielen stechenden Haarnadeln.
Ebenso unvergessen bleiben mir traumhaft schöne rosafarbene Sandaletten mit leicht damenhaft erhöhten Absätzen. Da Mutter beabsichtigte, uns Mädels an den Osterfeiertagen so richtig herauszuputzen, überraschte sie mit von ihr ausgewählten und mitgebrachten, wirklich hübschen Sandaletten.
Farblich auf die selbstgestrickten Pullover abgestimmt, unterschieden sie sich leider nicht nur größenmäßig. Dies hatte zur Folge, dass meine übereitle Schwester, ohne Rücksicht auf die Tatsache ihrer wesentlich kleineren Schuhgröße, einen Tausch von mir verlangte. Auf keinen Fall bereit, mich in ihre unweiblich aussehenden „Hellblauen“ zu zwängen, kam es für die zarten Riemchen und Nerven der Eltern zu einer heftigen Zerreißprobe. Wie unser Vater es immer wieder schaffte mit seiner beruhigenden Art jedem Streit beizukommen, ist mir heute noch rätselhaft.
Endlich war er da, der ersehnte Tag für´s traditionelle Osterfrühstück. Im friedlichen Einklang mit dem Sonntagskonzert aus dem Radio bereitete Mutti das Frühstück vor, während Vati sich im direkt angrenzenden Bad noch rasierte. Das harmonische Zwischenspiel in der Küche genoss ich als Kind in vollen Zügen, sowie den herrlichen Duft von frischaufgebrühten Kaffee. Der typisch würzige Geruch vom ausgelassenen Speck für die Rühreier lockte Vater schneller aus dem Bad als sonst, was Mutter sichtlich amüsierte. Vielleicht malte ihr auch das Glücksempfinden über den familiären Zusammenhalt die unübersehbar weichen Linien ins Gesicht. Überhaupt lag eine angenehme lockere Stimmung in der Luft, wenn Papa zu Hause war - und die Zeche, wenn auch nur für kurze Zeit, ganz weit entfernt.
Interessiert schaute ich der Mama zu, wie sie es mit unglaublicher Schnelligkeit fertigbrachte, winzigste Röllchen aus Schnittlauch zu hacken und aufgeschlagene Eier, mit dem einen und anderen Hahnentritt in die Pfanne gleiten zu lassen.
Nach dem traditionellen Frühstück machten wir uns auf zum traditionellen Osterspaziergang, der ohne wenn und aber, Jahr für Jahr durch den Hiltroper Park führte. Für meine Eltern war es eine Selbstverständlichkeit in Zusammenarbeit mit dem Osterhasen eigenhändig gefärbte Eier zu verstecken, die wir Kinder suchen durften. Mit Stroh ausgelegte Henkelkörbchen eilten meine Schwester und ich von Baum zu Baum und von Strauch zu Strauch, die mitunter kunstvoll bemalten Eier einzusammeln. Merkwürdig, wie der Osterhase es hinkriegte, dass wir immer die gleiche Anzahl in unserem Körbchen mit nach Hause nehmen konnten. Garantiert hatte sich Meister Lampe Streitigkeiten am Feiertag verboten.
Vor Antritt des Heimwegs führte am abschließenden Besuch auf dem nahegelegenen Friedhof kein Weg dran vorbei, wobei mich schon als Kind dieser Ort der Ruhe äußerst traurig stimmte.
Auch nach Jahren behielt der Osterspaziergang noch seinen Traditionsstatus - eine Tradition, welche ich als erwachsene Frau weiterführte - und der Osterspaziergang zum Grab der geliebten Eltern.
(in Erinnerung an die Kindheit vor Jahren niedergeschrieben)
Autor:Hildegard Grygierek aus Bochum |
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