ZUKUNFT hat der MENSCH des FRIEDENS
Fazit 103. Deutsche Katholikentag/Erfurt
Der 103. Deutsche Katholikentag ist zu Ende. Es wurde medienwirksam berichtet. Promis aus allen Bereichen waren vor Ort. Ob das immer sinnvoll ist – außer vielleicht die Anwesenheit des Bundespräsidenten – mag jeder selbst beurteilen. Wie weit die Vertreter der Katholischen Kirche heute noch ihren Aufgaben gerecht werden, mag auch jeder selbst einschätzen. Das Alleinstellungsmerkmal im Glauben und dem kirchlichen Leben, auch die Anziehungskraft ist durch viele Skandale in Verruf geraten – allein die zahlreichen Missbrauchsfälle, der Schutz der Täter vor den Opfern, die schleppende Aufarbeitung und auch die Entschädigung der Opfer wurde zum Spielball monitärer Interessen. In wieweit Frauen in Zukunft in kirchliche Ämter kommen können werden wir miterleben. Ebenso die seit Jahren anhaltenden Kirchenaustritte – hunderttausende Menschen verließen die Kirche – muss den Mächtigen der Kirche mehr zu denken geben. Dass dadurch die finanziellen Mittel schwinden, um die Kirchen, Gemeindehäuser, auch die personelle Ausstattung aufrecht zu erhalten – vor allem der soziale Zusammenhalt als Kirchengemeinde, die Aktivitäten vor Ort und das Gemeindeleben wird durch die immer größer werdende Fläche – auch bei einer erhöhten Überalterung der Kirchenmitglieder – immer schwieriger.
Ich habe Infos zu dem durchgeführten Katholikentag aufgeführt, die im Alltag nicht so präsent sind. Auch ein paar Meinungsäußerungen genannt, die mir inhaltlich wichtig erschienen. So kamen ein paar Texte zusammen, die für den einen oder anderen interessant sein könnten. Mögen die Leserinnen und Leser sich das passende aussuchen!
Von 29. Mai bis 2. Juni 2024 fand der 103. Deutsche Katholikentag in Erfurt statt.
Sie hatten FRAGEN dazu? Wir gaben ANTWORTEN.
www.katholikentag.de
Was ist der Katholikentag?
Glaube, Diskussion, Fest: dazu begegnen sich Menschen aller Generationen fünf Tage lang, alle zwei Jahre, in einer anderen Stadt. Für den 103. Deutschen Katholikentag werden bis zu 20.000 Teilnehmende aus Deutschland, Europa und der Welt erwartet. Darunter auch Menschen anderer Konfessionen und Religionen oder solche, die mit dem Katholikentag zwar nicht den Glauben, aber die gesellschaftlichen Anliegen teilen.
Worum ging es beim Katholikentag?
Auf dem Katholikentag werden politische, gesellschaftliche und kirchliche Herausforderungen der Zeit diskutiert. Dazu gibt es ein Leitwort, das oft aus der Bibel stammt. In Erfurt lautet es „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ (Psalm 37,37b). In rund 500 Veranstaltungen werden die zentralen Begriffe Zukunft, Mensch und Frieden in verschiedenen Kontexten betrachtet: in Familien, in der Kirche, im Angesicht der Klimakrise, in einer durch die Folgen der Pandemie tief gespaltenen Gesellschaft. Und natürlich wird es auch um den Angriffskrieg auf die Ukraine und andere weltweite Krisenherde gehen.
Musste man für den Katholikentag katholisch sein?
Jede und jeder ist willkommener Gast auf dem Katholikentag. Auch unter den Katholik:innen sind Zweifelnde, Ausgetretene, Neugierige, frisch Getaufte, Wiedereingetretene, Konvertierte. Auch Atheist:innen, Mitglieder anderer Konfessionen und Religionen werden den Katholikentag mit ihrer Perspektive bereichern und sind ausdrücklich eingeladen.
Was konnte man auf dem Katholikentag erleben?
Zum Beispiel Podiumsdiskussionen mit Prominenten und Politiker:innen, Werkstätten, in denen man etwas ganz Neues ausprobieren kann, Gottesdienste, die ganz anders sind als in der eigenen Gemeinde, Open-Air-Konzerte, Ausstellungen, Theater, Kabarett, Kleinkunst – und natürlich die wunderschöne Stadt Erfurt.
Warum war der Katholikentag ausgerechnet in Erfurt?
Der Bischof von Erfurt, Dr. Ulrich Neymeyr, hat im Namen des ganzen Bistums den Katholikentag eingeladen. Nach Gesprächen mit der Stadt und dem Land Thüringen hat sich die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) am 10. Mai 2019 einstimmig für Erfurt als Stadt des 103. Deutschen Katholikentags im Jahr 2024 entschieden.
Wer veranstaltete den Katholikentag?
Der Katholikentag wird vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) veranstaltet. Gastgeber ist das Bistum Erfurt. Beide haben zusammen den Trägerverein des 103. Katholikentags in Erfurt gegründet. Dieser stellt die wirtschaftlichen, rechtlichen und organisatorischen Mittel für Planung, Durchführung und Abwicklung sicher.
Wie lange gibt es schon Katholikentage?
Der erste deutsche Katholikentag fand vor 175 Jahren vom 3. bis zum 6. Oktober 1848 in Mainz als „Erste Generalversammlung der Katholischen Vereine Deutschlands“ statt. Die katholische Zivilgesellschaft warb für Freiheit und Demokratie. Die Ursprünge des Katholikentags liegen also im Verbandskatholizismus und in den Mitbestimmungsbewegungen des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 2024 findet der Katholikentag zum 103. Mal statt – zum ersten Mal in Erfurt.
Was ist eigentlich das ZdK?
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist die Laienvertretung der Katholik:innen in Deutschland. Es repräsentiert Diözesanräte, katholische Verbände und Institutionen und versammelt auch Einzelpersönlichkeiten aus Kultur, Politik und Gesellschaft. Nach dem Selbstverständnis des ZdK sind Christ:innen aus ihrem Glauben heraus aufgerufen, sich in die Gestaltung von Welt und Kirche einzubringen und solidarisch zu sein mit den Menschen ihrer Zeit.
Wer bezahlte den Katholikentag?
Der Katholikentag speist sich aus Eigenmitteln, aus Geldern der Kirche und der öffentlichen Hand. Zu den Eigenmitteln zählen z.B. Erlöse aus dem Verkauf von Karten, Souvenirs, aber auch Standgebühren, Spenden und Projektzuschüsse. Die kirchlichen Zuschüsse kommen vom Bistum Erfurt und vom Verband der Diözesen Deutschlands. Öffentliche Gelder geben der Bund, das Land Thüringen und die Stadt Erfurt.
Wer verdiente am Katholikentag?
Der Katholikentag ist ein gemeinnütziger Verein. Als Non-Profit-Organisation werden die Mittel vor Ort bei der Durchführung wieder ausgeben, gehen in Gehälter und auch an verschiedene Dienstleister und Kultureinrichtungen in der Region. Außerdem profitieren Hotellerie und Gastronomie von den Teilnehmenden des Katholikentags.
Was lief ehrenamtlich beim Katholikentag?
Ohne die vielen Menschen, die beim Katholikentag ehrenamtlich dabei sind, würde diese Großveranstaltung nicht funktionieren. Rund 1.000 Helfende übernehmen zum Beispiel Einlassdienste oder den Auf- und Abbau. Gemeinsam mit ihnen sorgen ehrenamtliche Objektleiter:innen für einen sicheren Ablauf der Veranstaltungen. Und viele Gemeindemitglieder aus dem Bistum Erfurt sorgen darüber hinaus mit großem persönlichem Einsatz für das Gelingen dieser fünf Tage.
Wer entschiedt über das Programm des Katholikentags?
An der Zusammenstellung des Programms sind viele Menschen ehrenamtlich und hauptamtlich beteiligt. Sie kommen aus bundesweiten Organisationen und dem Bistum Erfurt. In Arbeitskreisen werden die Programmvorschläge gesichtet und die Veranstaltungen daraus entwickelt. Orientierung für die Entscheidungen bietet das Leitwort. Die Arbeitskreise arbeiten ehrenamtlich. Daneben wirken auch katholischen Verbände, Organisationen und Initiativen aus ganz Deutschland am Programm mit. Sie kooperieren dabei auch mit säkularen Initiativen.
Gab es Regeln beim Katholikentag?
Streiten in der Sache und kontroverse Diskussionen sind ausdrücklich erwünscht. Egal ob es um die Kirche geht oder die Politik. Grenzen zieht der Katholikentag da, wo rassistische und antisemitische Überzeugungen vertreten werden, gegen andere Menschen gehetzt wird oder Demokratiefeindlichkeit zu Tage tritt.
Wie nachhaltig ist der Katholikentag?
Der Katholikentag wird seit 2008 zertifiziert klimaneutral durchgeführt. Nachhaltigkeit bedeutet für den Katholikentag: Ressourcen schonen, den Ausstoß von CO2 verringern, Produkte beziehen, die unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt und fair gehandelt sind, regionale Firmen fördern und viele weitere Maßnahmen. Ein Umweltbeirat berät den Katholikentag, wie schädliche Treibhausgase vermieden oder verringert werden können. Die unvermeidbaren Treibhausgase kompensieren wir mithilfe der Klima-Kollekte (klima-kollekte.de).
Einige Pressemitteilungen auszugsweise
1. Juni - Baerbock: Ich finde die Kraft der Gemeinschaft in der Kirche sehr wichtig
Auch Außenministerin Annalena Baerbock kam zum Katholikentag nach Erfurt. Die Grünen-Politikerin ist in der evangelischen Kirche, bezeichnet sich aber selbst als nicht gläubig.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schätzt das Miteinander innerhalb der Kirche. „Die Kraft der Gemeinschaft ist etwas, das ich extrem wichtig finde“, sagte sie am Samstagabend beim Katholikentag in Erfurt. Baerbock, die selbst Mitglied der evangelischen Kirche ist, bezeichnete sich jedoch als nicht gläubig.
Ihre beiden Töchter ermöglichten ihr, „nicht nur Spitzenpolitikerin zu sein, sondern auch Mutter und ganz normale Bürgerin“. Sie seien es auch, die ihr die Kraft gäben, die anspruchsvolle und anstrengende Aufgabe auszuhalten: „Weil ich mir die Frage stelle, wenn sie so alt sind wie ich, in welcher Welt leben sie dann?“
Baerbock nahm auch zum Nah-Ost-Konflikt Stellung. Sie hoffe, auf einen baldigen Waffenstillstand im Angriffskrieg der Hamas auf Israel. Die jüngsten Verhandlungen gäben Anlass zur Hoffnung.
1. Juni - Bednarz: AfD versucht sich als Retter des Christentums aufzuschwingen
Religionsfreiheit und Populismus - Politiker und Wissenschaftler über die Vereinnahmung von Religionsthemen durch die AfD
Die Publizistin Liane Bednarz sieht drei Schnittstellen rechtsfundamentalistischer Christen zu Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. Das seien die Themen Abtreibung, die Gender-Debatte sowie das Narrativ einer drohenden Islamisierung, sagte Bednarz am Samstag auf dem Katholikentag in Erfurt. Dabei sei die AfD nur gegen Abtreibung, wenn es „deutsche Kinder“ betreffe.
Beim Thema Gendern spreche die Partei von einer angeblichen Gender-Lobby, die die Menschen umerziehen wolle. Weiter erklärte sie, rechtskatholische Kreise nähmen teilweise auch den russischen Präsidenten Wladmir Putin zum Vorbild, weil dieser einen Kampf gegen Homosexualität führe. Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill begründe den Angriff Putins auf den Donbas auch damit, dass er habe einschreiten müssen, um Gay-Pride-Paraden zu verhindern.
Der Religionsfreiheitsbeauftragte der Bundesregierung, Uwe Schwabe (SPD), kritisierte die AfD für eingereichte Anfragen, die sich scheinbar mit der Religionsfreiheit für Christen befassten. Die AfD versuche, sich zum Retter des Christentums aufzuschwingen. Bei genauerer Betrachtung stelle sich aber immer heraus, dass die Fraktion das Thema einfach nur für sich instrumentalisieren wolle.
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Petra Pau erklärte selbstkritisch, ihre Partei habe mit Blick auf die Religionsfreiheit selbst noch einige Baustellen. In der DDR seien viele Menschen aufgrund ihres Glaubens verfolgt worden oder hätten nicht die gleichen Chancen gehabt wie Menschen, die keiner Kirche angehörten. Es brauche eine Anerkennung des erlittenen Unrechts. Sie sehe sich „moralisch verpflichtet, mit diesen Themen umzugehen“.
Menschenrechtswissenschaftler Heiner Bielefeldt verwies auf Beispiele für einen Zusammenschluss unterschiedlicher Gruppen, um auf die Verletzung von Religionsfreiheit aufmerksam zu machen. Als Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats habe er es etwa erlebt, dass sich eine Gruppe von Baptisten und Humanisten zusammengeschlossen hätten, um auf das Schicksal eines unterdrückten Bloggers im Iran aufmerksam zu machen.
1. Juni - Neubauer: Wegschauen vor Krisen ist gefährlicher Reflex
Hoffnung falle nicht vom Himmel, sagt Klima-Aktivistin Luisa Neubauer. Aber: Wer Hoffnung habe, habe noch nicht aufgegeben.
Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer warnt davor, den Blick vor den weltweiten Krisen zu verschließen. Wegschauen sei ein einfacher, aber gefährlicher Reflex, sagte sie bei einer Veranstaltung des Katholikentags in Erfurt. Selbst wenn man nicht über Krisen nachdenken wolle, gelte: „Auch wenn das Hirn aus ist, haben wir ein Herz.“ Das Gefühl der Ohnmacht bedeute: „Da betrifft mich etwas.“ Damit sei Ohnmacht nicht ausschließlich ein Problem, sondern „eine vernünftige Reaktion auf eine ungerechte Ausgangslage“. Nur wer nicht unmittelbar von einer Krise betroffen sei, könne sich Ohnmacht erlauben. Sie sei ein Privileg, so Neubauer.
Der menschengemachte Klimawandel sei das beste Beispiel dafür, „dass Menschen Unglaubliches bewegen können, wenn sie zusammenkommen“. Diese Bewegung müsse nun umgekehrt werden, um das Klima zu retten.
Für den Umgang mit Krisen warb die Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Anne Gidion, für eine „heilsame Unterbrechung“. Sie sei auch „von extremer Sinnhaftigkeit“, um aus dem überfrachteten Alltag herauszukommen.
Die Kirchen seien Orte, an denen unterschiedliche Meinungen abgewogen werden, sagte Gidion. Die Aufgabe der Kirchen sei eine andere als die von Aktivisten. Sie erlebe, dass Kirchen als wichtige gesellschaftliche Akteure wahrgenommen würden, wenn „sie liefern, was sie behaupten“. Das sei etwa in der Flüchtlingshilfe der Fall.
Die Theologin Dorothea Sattler forderte eine gemeinsame gesellschaftliche Anstrengung: „Gott ist ohnmächtig angesichts der Böshaftigkeit der Menschen.“ Gemeinschaft sei dafür da „um uns wechselseitig zu bestärken, zu ermahnen, zu trösten“, sagte die Ökumene-Expertin.
Sie sei zuversichtlich, dass Frauen irgendwann in der katholischen Kirche geweiht werden. „Ich werde es vielleicht nicht mehr erleben“, aber es werde dazu kommen. Der ökumenische Frauengottesdienst am Freitagabend habe sie in dieser Hoffnung bestärkt.
Hoffnung falle nicht vom Himmel, mahnte Neubauer. Das wäre eine „faule Hoffnung“. Sie werde oft gefragt, woher sie die Hoffnung nehme, dass sie als Klima-Aktivistin noch etwas erreichen könne. Diese Frage sei schon Teil der Antwort, denn: „Wer sich in der Krise auf die Suche nach der Hoffnung macht, hat noch nicht aufgegeben.“
1. Juni - Innenminister Maier: Politik hat bei Rechtsextremismus zu lange weggeschaut
Wie umgehen mit Rechtsextremismus - darüber diskutierte der thüringische Innenminister Maier beim Katholikentag mit Experten von Beratungsstellen und Wissenschaftlern.
Nach Ansicht des thüringischen Innenministers Georg Maier (SPD) haben Politiker in Ostdeutschland mit Blick auf den Rechtsextremismus „zu lange weggeschaut“. Lange Zeit habe man hier gedacht, wenn es mit der wirtschaftlichen Entwicklung aufwärts gehe, hätten rechtsextremistische Einstellungen keine Chance mehr, sagte Maier bei einer Veranstaltung am Samstag beim Katholikentag in Erfurt. Das sei eine falsche Annahme gewesen, wie sich spätestens mit der Aufdeckung der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gezeigt habe. Es habe da eine „unglaublich schlechte Arbeit der Sicherheitsbehörden“ gegeben.
Inzwischen sei das Problem auch in der Innenministerkonferenz angekommen, so Maier. Auch habe man einige Erfolge in Thüringen erzielt. So seien die Rechtsrock-Festivals in Thüringen bekämpft und Neonazi-Strukturen zerschlagen worden. Leider seien zur selben Zeit neue Strukturen entstanden. Sein Plädoyer: Gerade die konservativen Parteien müssten sich ganz klar zu einer Brandmauer gegen rechts bekennen. Das sei nicht immer der Fall. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Wahl des FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten auch mit den Stimmen der AfD vor vier Jahren. Er erneuerte seine Empfehlung, ein Verbot der AfD anzustreben. Dies müsse aber gut vorbereitet sein. In Thüringen „haben wir unsere Hausaufgaben gemacht“.
Als positives Beispiel in Ostdeutschland nannte Maier das Eichsfeld. Diese katholische Region sei relativ immun gegenüber rechtsextremistischen Einstellungen. Der thüringische AfD-Chef Björn Höcke habe sich deshalb einen anderen Wahlkreis gesucht, „weil er dort keine Chance gehabt hat“.
Der Theologe und Rechtsextremismus-Experte, David Begrich, sagte, er vermisse es, dass Institutionen bei Angriffen auf Kommunalpolitiker zu wenig Unterstützung erführen. Er höre immer wieder, „wenn es hart auf hart kommt, stehen sie nicht hinter uns“. Es sei eine andere Dimension, wenn einem Bürgermeister Autoreifen zerstochen würden oder wenn dessen Sohn gesagt bekomme, „wir wissen, wo ihr wohnt“. Viele Kommunalpolitiker bewegten solche Vorfälle dazu, sich zurückzuziehen. Es fehle da an „konkreter Solidarität“, aber auch an „symbolischer Unterstützung“. Es könne nicht sein, dass Politiker dann von der Polizei zu hören bekämen, dass sie erst etwas tun könne, wenn etwas passiert sei.
Der Soziologe Armin Pfahl-Traughber betonte, die Entwicklung in Ostdeutschland sei durch bestimmte Ereignisse befeuert worden. Er verwies dabei auf die Protestbewegung Pegida. Dies sei die erste rechtsextremistische Bewegung gewesen. Die AfD habe es dann geschafft, das Thema Migration für sich zu vereinnahmen. Auch er plädierte dafür, dass die demokratischen Parteien eine klare Haltung zu rechtsextremistischen Einstellungen zeigten. Da dürfe es keine Toleranz geben.
Die Publizistin Ebru Tasdemir sagte, es gebe in der migrantischen Community eine große Befürchtung, dass rassistische Einstellungen als normal empfunden würden. Sie mache sich da große Sorgen.
31. Mai - Hirschhausen: Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns
Eckart von Hirschhausen ist nicht nur Arzt, Kabarettist und Fernsehmoderator. Seit einigen Jahren setzt er sich mit einer Stiftung vermehrt für Klimaschutz ein. Darum ging es auch am Donnerstagabend in Erfurt.
Für den Arzt und Kabarettisten Eckart von Hirschhausen ist Umweltschutz notwendig, um die Menschheit zu retten. Gesundheit beginne nicht erst mit der Tablette beim Arzt, sagte er am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung auf dem 103. Katholikentag in Erfurt. „Gesundheit beginnt viel grundsätzlicher: mit Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken und Pflanzen zum Essen“, so der Gründer der Stiftung Gesunde Erde - Gesunde Menschen. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit den kirchlichen Hilfswerken Misereor und Brot für die Welt statt.
Die Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe, Dagmar Pruin, warb dafür, Nahrungsmittel gerechter zu verteilen: „Es ist wichtig sich klarzumachen: Es ist genug für alle da!“ Unter dem Klimawandel litten diejenigen am stärksten, die am wenigsten dazu beitrügen. Für eine nachhaltige Veränderung der Situation brauche es nicht viel, so Pruin. „Wenn wir es wollen, können wir es schaffen.“ In den Worten des Hauptgeschäftsführers von Misereor, Pirmin Spiegel, heißt das: „Jeder Mensch hat Platz am Tisch.“
Hirschhausen ging auf das Phänomen der Solastalgie ein. Damit gemeint ist, dass einen Dinge in der Natur, die früher beruhigten, dies nicht mehr täten. So leide etwa der Wald sehr unter dem Klimawandel. Ein Waldspaziergang sei dann auf einmal „nicht mehr Naherholung, sondern eine Nahtoderfahrung“.
Nicht nur ernste Töne klangen an diesem Abend an. So begann die Veranstaltung mit gemeinsamem Gesang. Die Zuschauer in der vollbesetzten alten Oper sangen im Kanon bekannte Kirchenlieder wie „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“. Auch einen Seitenhieb gegen die katholische Kirche konnte sich der Protestant Hirschhausen nicht verkneifen: „Martin Luther war einer, der das Fundraising-Programm der katholischen Kirche kurz infrage gestellt hat.“
30. Mai - Bätzing und Stetter-Karp plädieren für weitere Reformen in der Kirche
Und sie bewegt sich doch? Bätzing und Stetter-Karp reden über die Reformfähigkeit der katholischen Kirche – der Andrang ist groß.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, und die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, wollen sich weiter für Reformen in der katholischen Kirche einsetzen. So hat Bätzing nach eigenen Worten den Eindruck, dass sich die Gesprächskultur im Vatikan mit den deutschen Bischöfen allmählich verändere. Allerdings komme immer wieder der Vorwurf, dass es den Deutschen um Prinzipien gehe, räumte er bei einer Diskussionsveranstaltung am Donnerstag auf dem Katholikentag in Erfurt ein. Dann heiße es: „Es gibt Prinzipien und es gibt das Leben.“ Deshalb sei es nötig, dauerhaft Gespräche über die deutschen Reformideen zu führen.
Im März hätten die deutschen Bischöfe in Rom sieben Stunden am Tag mit sechs Kardinälen geredet. Im Herbst sei man wieder verabredet. „Da wundern sich ganz viele, weil das einzigartig ist. „Das römische Engagement sei schon bemerkenswert. Die Ziele sind aber schon ganz unterschiedlich.“
Stetter-Karp, erklärte, „wir brauchen eine Kirche, die attraktiv ist und zu der sich Menschen hingezogen fühlen“. Aufgrund der Missbrauchsfälle habe die Kirche viel Vertrauen verspielt. Die Leute zögen sich zurück. „Das kann uns nicht gleich sein.“ Die jüngste Kirchenmitgliederuntersuchung habe gezeigt, dass 96 Prozent der Mitglieder dringend Reformen erwarteten. Deshalb dürfe der Synodale Weg keine Eintagsfliege bleiben. „Wir wollen Macht- und Gewaltenteilung sowie einen anderen Stil miteinander.“
Weiter plädierte die ZdK-Präsidentin für eine Kirche, die Geschlechtergerechtigkeit lebe und die Generationengerechtigkeit ernst nehme. Im Moment sei die Ortskirche in Sachen Reformen in einer Zwischenetappe und noch zu wenig mitreißend für Menschen. Gerade die jungen Menschen ließen sich von den kleinen Schritten fast nicht mehr begeistern. An die Bischöfe gerichtet stellte sie die Frage: „Warum strahlen die Bischöfe so wenig Power aus, wo sie doch so viel Macht noch haben.“
Bätzing betonte, im Rahmen des deutschen kirchlichen Reformprojekts Synodaler Weg sei man nicht auf Konfrontation mit Rom gegangen. Es werde keine Spaltung gesucht. Gott sei Dank habe man so viel theologische und geistliche Expertise gehabt, dass es immer wieder ein Ringen gegeben habe, alle mitzunehmen. Am Ende setze sich eine kluge, orientierte Mitte durch, so der Bischof.
30. Mai - Friedensnobelpreisträgerin Scherbakowa: Bin froh, dass Menschen sich von Illusion Putin gelöst haben
Demokratie in Gefahr? Damit beschäftigten sich Menschen in Thüringen. Doreen Breuer besucht Schulen, Erfurts Oberbürgermeister kündigt die Verlegung eines Stolpersteins an und Friedensnobelpreisträgerin Scherbakowa berichtet von Erfahrungen aus Russland.
Der Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa macht es Hoffnung, dass nach ihrer Einschätzung die meisten westlichen Länder den russischen Präsidenten Wladimir Putin inzwischen sehr kritisch sehen. Die Menschen im Westen, aber auch teilweise in Russland hätten sich von der Illusion befreit, was Putin angehe, sagte Scherbakowa am Donnerstag bei der Pressekonferenz des Katholikentags in Erfurt. Putin führe einen Krieg gegen seiner Ansicht nach „verruchte westliche Werte“. Dazu gehöre all das, „was wir unter Menschenwürde verstehen“, so die Gründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial. Die russisch-orthodoxe Kirche habe eine „schlechte Rolle“ gespielt, sich auf die Seite des Staates gestellt und keine Lehren aus der Geschichte gezogen.
Vielleicht hätten das die Menschen dort manchmal stärker verinnerlicht als Politiker im Westen. Wichtig sei es ihr, dass beim Widerstand auf Solidarität gesetzt werde. Die Friedensnobelpreisträgerin betonte, ihre Bewegung habe den Kampf in Russland verloren, Inzwischen drehe sich wieder alles um den Staat. Mitglieder von Memorial hätten westliche Politiker frühzeitig vor Putin gewarnt.
Der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) kündigte an, dass am morgigen Freitag der erste Stolperstein im Gedenken an im NS-Staat ermordete Menschen in der Stadt verlegt werde. Das sei „eine gute Aktion und ein gutes Zeichen auch nach außen“. Er sei davon ausgegangen, dass „wir vor bestimmten Sachen aus der Geschichte gefeit sind“. Inzwischen appelliere er an jeden dazu beizutragen, dass sich Geschichte nicht wiederhole.
Doreen Breuer vom bundesweiten Netzwerk für Demokratie und Courage betonte, nach ihrer Einschätzung hätten sich bei Schülern und Schülerinnen rassistische Einstellungen massiv verstärkt. Aussagen seien teilweise „brutal“, selbst dann, wenn Schüler in den Klassen seien, die einen Migrationshintergrund hätten, so Breuer. Es handele sich um „einen schleichenden Prozess“ und eine „Normalisierung im Sprachgebrauch“. Nach ihren Angaben sind in Thüringen 60 ehrenamtliche Teamer in Schulen im Einsatz. Es würden Schulklassen ab der 5. Klasse besucht, sie wünsche sich, dass Teamer auch schon in Grundschulen gehen könnten.
Textquellen: Homepage zum 103. Deutschen Katholikentag, 29. Mai – 2. Juni 2024 in Erfurt, Downloadbereich und Pressemitteilungen.
Autor:Lutz Gollnick aus Bochum |
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