Wohin einmal fahren?
Eine ungewöhnliche Reise
( Gedicht Hermann Hesse )
Wie eine Welle, die vom Schaum gekränzt
Aus blauer Flut sich voll Verlangen reckt
Und müd und schön im großen Meer verglänzt –
Wie eine Wolke, die im leisen Wind
Hinsegelnd aller Pilger Sehnsucht weckt
Und blaß und silbern in den Tag verrinnt –
Und wie ein Lied am heißen Staßenrand
Fremdtönig klingt mit wunderlichen Reim
Und dir das Herz entführt weit über Land –
So weht mein Leben flüchtig durch die Zeit,
Ist bald vertönt und mündet doch geheim
Ins Reich der Sehnsucht und der Ewigkeit.
Der Anhalter - Eine ungewöhnliche Reise...
Wohin will ich heute? Wohin könnte ich denn jetzt einmal fahren? An einem öden Samstag in einer öden Stadt, in der das Vergnügen aus Shoppen, Grillen oder dem allgegenwärtigen Internet bestand, den komprimierten Bilderbuch Ereignissen, die rasch geschluckt und rasch vergessen wurden, wollte ich nur eines: - Raus.- Raus aus den glänzenden Angeboten der Vordergründlichkeit, der Oberfläche.
Ich kletterte in mein Konsum teures Auto und plante eine nachhaltige Flucht. Mit dem Rausch der Geschwindigkeit und dem Rausch der Lautstärke einer Queen CD begab ich mich in Trance weit fort von mir und befand diese Flucht als gelungen.
Die Sauerlandlinie war von Baustellen übersät, überall nur Tempo 80, und jeder trottete langsam in seinem Gefährt hinter den anderen langsamen Gefährten her und fühlte sich dennoch als Individualist.
Nein, so hatte ich mirmein schnelles Reisen, dem Abheben aus der Realität, nicht vorgestellt.
Auf dem Rasthof Siegerland entspannte ich von der Entspannungsfahrt, entledigte mich und kaufte ein Eis als Gaumenkitzel, da ansonsten nichts kitzelte.
In der Abfahrt stand ein Tramper in ausgebeulten Jeans, Turnschuhen und einem fast neuen Shirt. Sein kinnlanges Haar flatterte wild im Wind wie ein Relikt einer vergangenen Zeit.
Das gab es noch? Ein Tramper und hier?
Die Hippiezeit, als das Trampen an jeder Autobahn Gruppen von Trampern anlockte, war doch längst vorbei. Heute hatten Jugendliche entweder Geld, ein eigenes Auto oder sie planten ihre Fahrten per Internet. Früher, ja, früher, dachte ich, da kam man mit dem Trampen überall hin, sogar in einem Tag vom Ruhrgebiet bis Kopenhagen.
Der Tramper stand leicht gebeugt und blinzelte gegen die Sonne. Ich schätzte ihn auf knapp 30 Jahre, groß und dünn und machte auf mich mit seinem weichen Gesicht einen fast noch kindlichen Eindruck. Ich mochte ihn.
Ich hielt neben ihm an. "Wohin soll es denn gehen?" fragte ich.
Er schwieg und es schien, als zucke er recht ratlos mit den Schultern.
Ich sagte: "Na, dann steigen Sie doch erst einmal ein." Er setzte sich in den Wagen und schwieg, den Blick stur auf die Straße gerichtet.
Zehn Minuten vergingen in Schweigsamkeit.
"Zigarette?" fragte ich. "Ja."
Das war ein erstes Wort aus seinem Munde.
"Und wohin wollen Sie?" fragte ich ihn. Als überfordere ihn die Frage, antwortete fast trotzig: "Weiß ich nicht."
Ich hörte mich sagen: " Da haben wir ja etwas gemeinsam."
Er zog die Augenbrauen hoch." Wie, Sie wissen nicht, wohin Sie wollen?" fragte er leicht spöttisch.
"Nein."
"Und warum fahren Sie dann hier herum?" Ich schwieg.
Queen sang: - “Everyone needs a place he can hide … “
Er rückte nun ungemütlich mit offensichtlichem Misstrauen auf seinem Sitz herum. Ich stnd jetzt in Erklärungsnot, warum ich so verrückt war, wie ich war.
"Warum nehmen Sie einen Tramper mit?" fragte er fordernd, leicht aggressiv.
"Warum nicht?" entgegnete ich.
Und dann erzählte ich.
Von meinen Tramptouren nach Frankreich, Spanien und sogar nach Irland. Ich schilderte die sengende Sonne in Südfrankreich, als endlich nach vier Stunden Danielle mit ihrer Ente hielt und uns mit nach Paris nahm. Von ihrer Katze, die mir ins Gesicht sprang, so dass Danielle uns in Pasris bei sich wohnen ließ, Versailles zeigte und für uns kochte.
Von einer Fahrerin, die Ietja und mich auf dem Weg an der spanischen Küste entlang ihr Strandapartment in Tarragona, Pineda, zur Verfügung stellte.
Von Joe Banks, einem Farbigen, der in Kopenhagen einen Folkclub hatte und Zigarettenblättchen mitgebracht haben wollte.
Vom Ring of Kerry in Irland nach einer Nacht im strömenden Regen uns Leute mitnahmen, als ein wunderschöner Regenbogen sich malerisch über das Tal spannte. Von Peter, dem weißen Südamerikaner, der uns drei Monate in seinem Altstadthaus in Alikante wohnen ließ.
"Sie waren ein Hippie." stellte der Tramper verwundert oder bewundernd oder auch ganz zufrieden fest.“
„Ja,“ sagte ich „Und jetzt bin ich alt."
"Und einsam." fügte er hinzu.
Ich verzieh ihm seine Taktlosigkeit, denn auch er begann zu erzählen.
"Ich habe meine Freundin verlassen." sagte er und zögerte etwas verlegen. "Nein, eigentlich hat sie mich rausgeschmissen…. Das heißt, sie hat gesagt, wenn ich jetzt ginge, brauchte ich nicht mehr wiederzukommen."
" Und Sie sind gegangen?"
Er räusperte sich.
"Sie ist so eng, bürgerlich, Sozialarbeiterin von Beruf. Sie sagte, sie wolle mich in die bürgerliche Gesellschaft eingliedern. Aber ich will diesen ganzen Scheiß nicht!"
Er spannte die Schultern, reckte den Kopf und setzte sich aufrecht hin, sehr zufrieden mit seinem Geständnis.
"Und wohin wollen Sie jetzt?" fragte ich.
Zögernd, fast trotzig wie ein Kind, sagte er: " Zum Meer."
Das musste ich mir nicht zweimal überlegen. "Gut, wir fahren zum Meer." Ungläubig starrte er mich an. "Sie sind verrückt."
Dann sagte er, mehr zu sich selbst: - "Na ja, ein Hippie. "
An der nächsten Abfahrt wendete ich und wir rasten auf der A31 nach Norddeich. Ohne ökonomisch schlechtes Gewissen gab ich Gas. Das norddeutsche Flachland mit seinen Wiesen und Äckern und Gehöften schoss an uns vorbei. Dazu sang Queen: „We rock the Universe“.
An einer Tankstelle erstand ich eine Flasche Wein mit Drehverschluss, da wir keinen Korkenzieher dabei hatten, wie die Hippies.
Als wir in Norddeich ankamen, war es schon spät und die ersten Vorboten der Dämmerung stiegen auf. Schweigend stiegen wir aus, gingen den Deich hinauf und standen mit einem Male wie verzaubert vor der unendlichen Weite, als schauten wir in die Unendlichkeit. Zwischen Meer und Himmel war kein Unterschied zu erkennen, als flössen sie in einander. Der salzige Wind flatterte rücksichtslos in unseren Haaren, in unseren Hosen. Nach einer Weile andächtigen Stehens und Staunens setzten wir uns in den Sand und öffneten die Flasche, tranken langsam, Schluck für Schluck.
Der Sonnenball stand schon tief, glühte orange rot und spiegelte sich in den Wogen und Wellen des Meeres. Rosa leuchteten leichte Wolkenfäden, vom Türkis des Himmels umgeben, und die weißfahle Scheibe des Mondes stieg an, höher und höher. Das Meer sang die wiederholende Melodie der rhythmisch überschlagenden Wellen, ein jähes Rauschen zum zärtlichen Zischen und Gurgeln wie eine nicht endende Symphonie. Lachmöwen kreischten und segelten schwerelos im Wind.
Ich wurde ruhig, still, ein Frieden legte sich in meine Seele. Ich schloss die Augen und war plötzlich Eins mit den Elementen, so winzig klein und doch mittendrin. Mein Begleiter atmete mit immer tieferen entspannten Zügen, als sei auch er in der Unendlichkeit angekommen.
Unbemerkt fröstelnd saßen wir lange, sehr lange eifach nur da, wir spürten uns Eins mit Allem, aufgehoben, geborgen, bis die funkelnden Lichter im blaudunklen Himmel zwinkerten, und das Mondlicht silbern über dem Wasser schillerte.
Die Zeit verging oder verging nicht, wir bemerkten es nicht, denn sie war voll und leer zugleich. Irgendwann fanden wir wieder Worte:
"Es ist gut…" - "Ja, es ist gut."
Still und einvernehmlich gingen wir zum Auto. Der Mondschein begleitete uns zurück auf dem Weg der A31. Ich fuhr langsam. Wir hörten keine Musik, denn in uns spielte die Musik des Meeres wie eine Wiederkehr.
In der Morgendämmerung setzte ich ihn an der Raststätte Siegerland ab, genauso wortlos, wie ich ihn aufgenommen hatte. Wir lächelten uns kurz an, wir waren einverstanden. Dann nickte er und war verschwunden. Sein Sitz neben mir war etwas sandig und in einer Ecke fand ich eine Muschel.
Ich hielt sie an mein Ohr und lauschte.
Und wie du auch bist, du Mensch, du Seele
und was du auch denkst in deiner eigenen Höhle,
und ob dich Gefahren gesucht und gefunden
und ob dich Kanten verletzt und geschunden,
du bleibst das Mögliche, ewig und immer
die Möglichkeit Leben, verschwende es nimmer.
Und wie du auch strampelst und argumentierst
und wie du auch über die andern sinnierst,
möglich ist mehr, wenn du Grenzen vernichtest
den Horizont klaren Vertrauens errichtest,
Vertrauen schafft Freunde, Freundschaft und Liebe
in unserem weltweiten Ego Getriebe.
Denn nicht nur Wölfe umgeben uns heute,
überall sind auch die fühlsamen Leute
und glaube, je mehr du dich loslässt und gibst,
bereit bist, dass du vertraust und oft liebst,
je mehr verteilt sich Vertrauen und Mut
und das sind Geschenke, tun einfach nur gut.
Autor:Ingrid Dressel aus Bochum |
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