„Ein ganz normaler Parteigänger des NS-Regimes“: Der Journalist Werner Schmitz begibt sich auf die Spur seines Volksschullehrers Karl Tromm

Werner Schmitz mit seinem Hund Smarty. | Foto: Schmitz
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„Ich bin viel in meiner Jagdhütte an der Mosel“, erzählt der Wattenscheider Journalist Werner Schmitz, „und bin immer wieder irritiert über Werke zur Heimatgeschichte, in denen es heißt, die Juden seien in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts weggezogen. Die Frage, wer die Juden vertrieben hat, wird gar nicht erst aufgegriffen. Deshalb möchte ich vor meiner eigenen Haustür kehren und habe die Geschichte meines Eppendorfer Volksschullehrers Karl Tromm recherchiert.“

„Als Journalist und Krimiautor habe ich mich immer wieder mit der 'braunen Vergangenheit' befasst“, blickt der 1948 geborene Schmitz auf sein langes Berufsleben zurück, das nach sechs Jahren beim legendären Ruhrgebietsmagazin „Marabo“ 1989 zum „Stern“ führte, für den der akribische Rechercheur bis 2007 tätig war. Eins ist für ihn bei der Beschäftigung mit dem, was heute noch manchmal als „die zwölf dunklen Jahre“ verharmlost wird, besonders wichtig: „Es geht mir immer um Opfer und Täter. Natürlich ist es wichtig, zum Beispiel durch Stolpersteine an NS-Opfer zu erinnern. Die Beschäftigung mit den örtlichen Tätern ist aber ebenso bedeutsam.“
Man sollte meinen, dass entsprechende Nachforschungen durch den Umstand, dass nahezu alle in den Nationalsozialismus persönlich Verstrickten mittlerweile tot sind, erleichtert werden. Schmitz hat jedoch die Erfahrung machen müssen, dass dem nicht so ist. „An der Lokalgeschichte Interessierte reagieren auf den Vorschlag, sich auch einmal mit den Tätern zu befassen, häufig mit dem Satz: 'Das tu ich mir nicht an.' - Schließlich gibt es in vielen Fällen noch Verwandtschaft, die sich gegen solche Enthüllungen wehren könnte. Hinzu kommt, dass gerade manche Angehörigen der Enkelgeneration die Taten ihrer Vorfahren leugnen oder zumindest verharmlosen.“

Erinnerung an einen „Prügelpädagogen“

Deshalb hat Schmitz im Herbst des vergangenen Jahres begonnen, die Geschichte seines Lehrers Karl Tromm aufzuarbeiten. Ausgangspunkt des dabei entstandenen Artikels „Zehn Hiebe auf den Hintern oder Stolperstein für einen Nazi“ ist ein sehr persönliches Erlebnis, das Schmitz als Erst- oder Zweitklässler hatte: „Tromm hat mich aus einem nichtigen Anlass geschlagen, was damals ja nicht ungewöhnlich war; Jahre später hat meine Mutter mir dann erzählt, der Lehrer sei ein hochrangiger Nazi gewesen. Allerdings war für meine Mutter als einfache Hausfrau jeder Funktionär gleich ein 'großes Tier'.“ - Fast 50 Jahre, nachdem er diesen Hinweis von seiner Mutter erhalten hatte, hat Schmitz sich auf Spurensuche begeben. Seine Recherchen werfen ein Licht nicht nur auf die NS-Zeit, sondern auch auf die Weigerung der Nachkriegsgesellschaft, sich mit dem Geschehenen selbstkritisch auseinanderzusetzen.
Tromm, Jahrgang 1899, arbeitete während der NS-Zeit an der Eppendorfer Bismarck-Schule. „Die hieß nach dem Krieg dann kurzzeitig Beethoven-Schule, danach Luther-Schule und schließlich Gemeinschaftsgrundschule Ruhrstraße“, erzählt Schmitz. Die Lehrerschaft zeigte ungewöhnlichen Einsatz für die Sache des Nationalsozialismus': „Im Jahre 1935 waren alle Lehrer Mitglieder und Funktionäre der NSDAP. Reichsweit lag der Anteil nur bei etwa einem Drittel.“

Propagandist für Rassenkunde und Eugenik

Tromm machte sich zum Propagandisten von Rassenkunde und Eugenik und trat als Ortsgruppenamtsleiter der Volkswohlfahrt dafür ein, im Sinne der NS-Ideologie „Minderwertige“ von der Förderung auszuschließen. Der Rektor empfand Tromms Engagement teilweise als übertrieben, weil es ihn zuweilen von der Erfüllung seiner Dienstpflichten als Lehrer abhielt. Werner Schmitz resümiert: „Tromm war entweder ein besonders strammer Nazi oder ein besonders eifriger Opportunist.“

Entlassung und Einweisung in ein Internierungslager

Da verwundert es nicht, dass Karl Tromm im Juli 1945 auf Befehl der britischen Militärregierung als Volkschullehrer entlassen und im Internierungslager Recklinghausen-Hillerheide inhaftiert wurde. Schon im Sommer 1946 konnte er jedoch in den Schuldienst zurückkehren – Lehrer wurden schließlich gebraucht und unbelastete Pädagogen waren rar. Im Entnazifizierungsverfahren wurde Tromm als „weniger bedeutender Übeltäter“ eingestuft. Was heute verharmlosend klingen mag, hätte für Tromm gravierende Konsequenzen haben können: Ihm drohte die Entlassung als Lehrer.

„Persilscheine“ von Kommunisten und Sozialdemokraten

Tromm war jedoch niemand, der so leicht aufgibt, und legte Einspruch ein. Die berühmt-berüchtigten „Persilscheine“, mit denen sich Zeitgenossen von ihrer braunen Vergangenheit reinzuwaschen versuchten, begünstigten seine Sache. Tromm wandte sich dabei an offensichtlich unbelastete Personen ohne NS-Vergangenheit: „Dass die Vorsitzenden der Eppendorfer SPD und KPD Tromms vorgefertigten Text unterschrieben haben, finde ich unglaublich“, sagt Schmitz kopfschüttelnd und fährt fort, „leise Kritik an Tromms Verhalten im Nationalsozialismus kam einzig vom Vertreter der CDU.“ - Insgesamt zeigte sich ab 1947 die Tendenz, die Entnazifizierung zu beenden und sich mit der Vergangenheit mutmaßlich belasteter Personen nicht näher auseinanderzusetzen. „Tromms Entnazifizierungsakte ist durchaus typisch. Es ist jedoch erschütternd, an einem konkreten Fall zu sehen, wie schnell man bereit war, die Beschäftigung mit der Vergangenheit aufzugeben“, erläutert Schmitz den Stellenwert seiner Recherchen. Tromm brachte es Ende der fünfziger Jahre noch zum Schulleiter der Freiligrath-Schule und ging 1965 in den Ruhestand. Er starb 1993.

Von „Nazis“ und „Deutschen“

„Der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer hat festgestellt, dass 'Nazis' und 'Deutsche' als voneinander getrennte Personengruppen wahrgenommen werden, wobei 'die Deutschen' allenfalls als Verführte, oft sogar als Opfer gesehen werden.“ - Solchen Vereinfachungen will Schmitz mit seiner Arbeit entgegentreten: „Die NS-Zeit ist Teil unserer Geschichte, mit der wir ehrlich umgehen sollten. Deshalb ist die Nazi-Vergangenheit mein Lebensthema geworden. Es zieht sich von meinem 1984 erschienenen Krimi 'Nahtlos braun' über meine 18-jährige Tätigkeit beim 'Stern' und lässt mich auch heute im Ruhestand nicht los. Wirklich verstehen kann ich das, was zwischen 1933 und 1945 passiert ist, allerdings immer noch nicht.“
„Zehn Hiebe auf den Hintern“, seine Auseinandersetzung mit Karl Tromm, hat Schmitz auf seiner Homepage publiziert: „Der Text ist zu lang für einen Zeitschriftenartikel, aber zu kurz, um ihn als eigenständiges Buch zu veröffentlichen. Auf meiner Homepage sind Texte zu finden, die ich speziell fürs Internet verfasst habe. Außerdem präsentiere ich meinen Text, für den ich drei Monate recherchiert habe, bei möglichst vielen Veranstaltungen. Ich könnte nicht leben, ohne zu schreiben.“

Infos
- Der Text „Zehn Hiebe auf den Hintern oder Stolperstein für einen Nazi“ findet sich auf www.werner-schmitz.de.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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