Fortsetzungsroman mit Frank Goosen und über 100 Bochumern zum Stadtjubiläum
Ein Buch bringt Bochum zusammen

Ein Roman zum Stadtjubiläum: Frank Goosen hat den Anfang gemacht - jetzt sind die Bochumerinnen und Bochumer gefragt. | Foto: Bochum Marketing / Molatta
  • Ein Roman zum Stadtjubiläum: Frank Goosen hat den Anfang gemacht - jetzt sind die Bochumerinnen und Bochumer gefragt.
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Zum Stadtjubiläum hat Bochum Marketing im Auftrag der Stadt ein buntes Geschenkpaket geschnürt. Die erste Aktion, die nun startet, ist ein Fortsetzungsroman. Dabei sollen über 100 kreative Köpfe aus Bochum zusammen an einem gemeinsamen Roman schreiben. Prominente Unterstützung ist dabei mit an Bord.

Denn den ersten Absatz des Gemeinschaftswerks hat der Bochumer Autor Frank Goosen vorgelegt - nun können sich die Bochumerinnen und Bochumer bewerben, den Text mit jeweils 700 Zeichen fortzusetzen.
„Literatur ist ein wichtiger Erinnerungsspeicher, und ich freue mich sehr, dass ich den ersten Aufschlag machen darf bei einem Projekt, das ganz Bochum literarisch zusammenbringt“, so Frank Goosen.

So machen Sie mit:

Mit einer E-Mail an: fortsetzungsroman@bochum-marketing.de werden Interessenten in den Schreibpool aufgenommen und erhalten die Spielregeln sowie einen Termin, an dem die bis dahin erdachte Geschichte in ihrem Mail-Postfach landet.
Immer mittwochs werden die neuesten Teile im Stadtspiegel veröffentlicht, ebenso wie auf der Internetseite zum Stadtjubiläum unter: www.bochum-700.de. 


Fortsetzungsroman 700 Jahre Bochum

Teil 1:
"Das Haus war von der Straße aus nicht zu sehen. Dichte, wild wuchernde, ewig nicht beschnittene Hecken umstanden das Grundstück, und in zweiter Reihe wuchsen unterschiedlichste Arten von Bäumen: Platanen, Ahorn, eine Trauerweide, sogar ein oder zwei Tannen konnte Sila erkennen. Billy Joel sang gerade davon, dass eine schnöde Autobahn wie der Pennsylvania Turnpike genauso Heimat sein kann wie der Tau an einem frühen Morgen in Indiana. Oder wie ein altes Haus in einer ehemaligen Bergbau- und Autostadt im mittleren Ruhrgebiet, dachte Sila, während sie halb auf dem Bürgersteig parkte und wartete, bis der Song zu Ende war.
Wenn sie in diesem Auto Musik hören wollte, hatte sie keine Wahl, es musste Billy Joel sein. Nach dem Tod ihres Vaters vor ein paar Wochen hatte sie diesen uralten, aber scheckheftgepflegten Opel Kadett A geerbt, das erste Modell, das hier in der Heimatstadt ihres Vaters Mitte der Sechziger vom Band gelaufen war. Der Wagen war praktisch unverändert. Als einziges modernes Zugeständnis hatte ihr Vater irgendwann ein Kassettenabspielgerät eingebaut, dessen Auswurfknopf nicht mehr funktionierte. Da es kein Radio gab, hatte man nur die Wahl zwischen Songs in the Attic von Billy Joel oder den Motorengeräuschen. Lieder auf dem Dachboden, dachte Sila. Das passt ja ein bisschen zu dem, was mir jetzt bevorsteht. Mal sehen, was ich hier auf dem Dachboden finde.
Heimat ist nur ein anderes Wort für dich, sang Billy Joel noch, und das fand Sila dann doch ein bisschen zu kitschig.
Sie stieg aus, schloss den Wagen ab und ging auf das niedrige Holztörchen in der Hecke zu, von dem die grüne Farbe schon fast komplett abgeblättert war. Sie musste sich bücken, um unter den Zweigen diverser Bäume hindurchzukommen und durchschritt einen regelrechten Tunnel, den die Äste über ihr bildeten. Schließlich gelangte sie in einen wunderbar verwilderten Garten, in dem das Gras und die Blumen kniehoch wuchsen. Mittendrin stand das alte Fachwerkhaus, das ihr Vater ihr hinterlassen hatte. Auf der Terrasse aus polygonal verlegtem Ruhrsandstein ging der Notar unruhig auf und ab.
„Ah, da sind Sie ja, Frau Harmstorff!“
„Zielenski.“
Der Notar, dessen Namen Sila vergessen hatte, legte die Stirn in Falten.
„Im Testament steht Harmstorff!“
„Ist kompliziert“, gab Sila zu.
Wie sollte man das auch erklären: die Mutter mit polnisch-ostwestfälischen Wurzeln, der Vater Sohn einer anatolisch-friesischen Mischehe. Sila hörte auf den türkischen Vornamen ihrer Großmutter, hatte lange den Ehenamen der Eltern geführt, diesen aber aus Protest, dass der Vater die Familie verlassen hatte, mit der Volljährigkeit abgelegt. Nur in einigen offiziellen Dokumenten hieß sie noch Harmstorff, ansonsten trug sie jetzt stolz den masurischen Namen ihrer Mutter.
Der Notar überreichte ihr den Schlüssel und sagte: „Viel Freude mit Ihrem Erbe. Und ich kämpfe mich mal durch diesen verdammten Dschungel zurück in die Zivilisation. Herrgott, alles total verwildert! Hier ist seit Jahren nichts gemacht worden!“
Ja, das ist toll, dachte Sila und blickte dem Juristen nach, wie er nach den Ästen schlug, als habe er Sorge, sie wollten ihn festhalten.
Sila betrachtete den Schlüssel in ihrer Hand. Er war schwer und hatte einen langen Bart. Einen Bart wie ein alter Witz, dachte sie und steckte den Schlüssel in das ebenfalls hochbetagte Schloss in der sehr niedrigen Eingangstür. Das Grundgerüst des Hauses sei siebenhundert Jahre alt, hatte der Notar am Telefon gesagt. Gut, damals waren die Menschen kleiner, dachte Sila und zog den Kopf ein.
Natürlich roch es ein bisschen muffig, aber damit hatte sie gerechnet. Was sie überraschte, war der gute Gesamtzustand des Hauses. Zwar zog es ein wenig durch die Fensterritzen, aber ansonsten war deutlich zu sehen, dass ihr Vater das Haus über die Jahre gut in Schuss gehalten und behutsam modernisiert hatte. Die Wände leuchteten in frischem Weiß, die Balken des Fachwerks hoben sich dunkel davon ab. In der Küche stand ein Schrank, der problemlos in einem Film über die zwanziger Jahre mitspielen konnte. Der Tisch wirkte alt und vernarbt, als sei er mit Schrot beschossen worden, gleichzeitig war er aber stabil und wie für die Ewigkeit gemacht. Um ihn herum standen Holzstühle aus unterschiedlichen Epochen.
Im Wohnzimmer gab es Bücherregale bis unter die niedrige Decke. Außerdem standen da ein grün bezogenes Biedermeier-Sofa und ein alter Röhrenfernseher.
Im ersten Stock befand sich das Schlafzimmer mit einem modernen Boxspringbett und das ebenfalls mit Bücherregalen zugestellte Arbeitszimmer, in dem sich auf einem Schreibtisch mit Holzrollläden Papiere stapelten.
Und in der erstaunlich aufgeräumten Mitte des Schreibtisches lag ein Buch.
Es war ein großformatiger, dicker Wälzer, nicht nur der sprichwörtliche Ziegelstein, sondern schon eine Gehsteigplatte. Nur dicker. Die Dielen unter ihren Füßen knarzten, als Sila darauf zuging.
Das Buch war in glänzendes Leder eingeschlagen. Der Deckel war mit einem rautenförmigen Muster überzogen. Die Rauten trafen sich in je einer stilisierten Blume.
Sila setze sich auf den drehbaren, hölzernen Stuhl vor dem Schreibtisch und schlug das Buch auf. Zuerst war ihr nicht ersichtlich, worum es in dem Buch ging. Irgendwann wurde ihr klar, dass sie es mit einer Sammlung von Geschichten zu tun hatte. Sie waren nicht chronologisch geordnet, die früheste schien aus dem neunten Jahrhundert zu stammen, die späteste war offenbar erst vor einigen Monaten dazugekommen.
Irgendwo mittendrin fing Sila an zu lesen."
Frank Goosen

Teil 2:
Dieses „Irgendwo mittendrin“ zog nämlich Silas Aufmerksamkeit auf sich. Während sie den Wälzer daumenkinoartig durchblätterte, entdeckte sie inmitten der abertausenden Buchseiten zwei Seiten, die nicht zu den anderen passten. Sorgfältig wurden sie mit einem weltbekannten transparenten Klebeband in das Buch eingefügt. Sie waren nicht wie die anderen dünn und angegilbt, sondern pappig und zuckerwatteweiß. Zudem waren sie handschriftlich geschrieben. Die Rückseiten dieser Doppelseite waren jedoch leer, wie Sila umblätternd feststellte. Dabei entdeckte sie ein in den Buchfalz gestecktes Foto.
Es zeigte Sila als Siebenjährige, zusammen mit ihrem Vater und einer gemischten Tüte vonne Bude, wie die beiden sie sich damals immer geteilt hatten, wenn sie Vaters Heimatstadt besuchten. Sila ahnte, wer die Doppelseite geschrieben hatte.
Nadine Trojan

Ihr Vater war überzeugt davon gewesen, dass jede Facette des Lebens eine Geschichte wert wäre und jede Geschichte aus einer Erinnerung ein Ereignis und aus einem Ereignis eine Erinnerung gewönne, so man dem nur aufgeschlossen gegenüber stünde. Es war einer dieser Vorträge, den er ihr von klein auf gehalten hatte. Die Dreifaltigkeit des Erzählens nannte Kaya Harmstorff das, hob mahnend den Zeigefinger und sagte: „Geschichten sind ein unschätzbares Gut, Deern, noch wertvoller als die Birnen vom alten Ribbeck.“ Fontanes Ballade hallte jetzt ebenso in ihren Gedanken nach wie der Spitzname, den er ihr gegeben hatte. Es gab so viele verstreute Erinnerungen an ihn, die seit seinem Tod wieder an die Oberfläche ihres Bewusstseins drangen.
Miriam Veronika Fest

Bilder von sonntäglichen Ausflügen an die Ruhr wurden in Sila wach, oder wie ihr Vater auf den Stufen zum Bismarckturm ihr aufgeschlagenes Knie verarztete. Bilder, die eine Lawine an weiteren Erinnerungen auslösten und ihr den Hals zuschnürten.
Heimat.
Da war es wieder, dieses kleine und doch so mächtige Wort, das ihr seit dem Tod ihres Vaters hartnäckig folgte.
Unsinn, dachte Sila.
Sie klappte das schwere Buch zu und hielt es fest an ihren Oberkörper gepresst, bis die Bilder in ihrem Kopf verblasst waren. Als sie ihren Griff endlich lockerte, hatten ihre Fingernägel feine Halbmonde in dem weichen Leder hinterlassen. Behutsam legte sie das Buch zurück auf seinen Platz.
Später. Sie war noch nicht so weit.
Mit entschlossenen Schritten trat sie aus dem Arbeitszimmer und ging mit eingezogenem Kopf die schmale Stiege zum Dachboden hinauf – in der Hoffnung, dort zu finden, was sie suchte.
Anke Schröder

  • Alle Informationen zum Stadtjubiläum finden Sie im Internet unter: www.bochum-700.de.
Autor:

Petra Vesper aus Bochum

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