Willi und Gerda Bredemeier legen Roman vor
Ein anderer Blick auf das Ruhrgebiet
Willi und Gerda Bredemeier, in der unmittelbaren Umgebung von Bochum-Langendreer bzw. auf damaligem Wattenscheider Stadtgebiet geboren, haben kürzlich ihr gemeinsames Buch „Der andere Heimatroman“ vorgelegt, der stark autobiographische Züge trägt – und die Ruhrgebietsgeschichte von den 1940er Jahren bis in die Gegenwart Revue passieren lässt.
Der Vater des Protagonisten – im Roman Dieter Bredemeier genannt – ist Bergmann und auch auf der Zeche Siebenplaneten in Langendreer tätig. Der Ich-Erzähler, 1940 geboren, verbringt große Teile seines Lebens im Ruhrgebiet. Er wächst in einer Welt auf, in der die Menschen behaupten, das Adolf-Hitler-Bild sei „von selbst“ ins Haus gekommen. Was ihn rettet, ist die Kraft der Literatur.
Er habe sich die Lebenserfahrung angelesen, schreibt der Ich-Erzähler. Zunächst prägen das Lesebuch aus dem Schulunterricht, die Tageszeitung und die allgegenwärtigen Lore-Romane den jungen Leser. Glücklicherweise wird das Angebot an erschwinglichen Büchern in den 1950er Jahren größer: Nach dem Rowohlt- veröffentlicht auch der Fischer -Verlag Taschenbücher. Vor allem die klassische und moderne Kriminalliteratur haben es ihm angetan, aber er setzt sich auch mit Kafka und Hemingway auseinander. Später liest er jahrelang nur Wissenschaftliches, bis mit J.R.R. Tolkien seine Liebe zur fiktionalen Literatur neu erwacht.
Zu früh für die Bildungsrevolution
Eigentlich ist der Ich-Erzähler zu früh geboren, um von der Bildungsrevolution profitieren zu können, zumal er die Ruhrgebietsbevölkerung als bildungsfeindlich erlebt und der „Kohlenpott“ nicht über eine Universität verfügte, bis 1965 die Ruhr-Universität Bochum den Lehrbetrieb aufnahm. Das Abendgymnasium Dortmund ermöglicht es dem Protagonisten aber schließlich doch noch, das Abitur nachzuholen. Hier kommt er auch erstmals mit der Studentenbewegung in Kontakt. Aus seiner Perspektive kann der Leser auch die Frühphase der Ruhr-Universität erleben.
Er lernt die angehende Lehrerin G. kennen, die Willi Bredemeiers Ehefrau und Co-Autorin Gerda Bredemeier nachgebildet ist. Gerda Bredemeier, geborene Baer, ist in Wattenscheid-Eppendorf geboren und aufgewachsen und war 30 Jahre lang Realschullehrerin für Mathematik und evangelische Religion an der Hans-Böckler-Realschule in Bochum-Wiemelhausen. Die Bildungsrevolution hat es ihr, im Umfeld der Zeche Engelsburg aufgewachsen, erst ermöglicht, das Gymnasium zu besuchen und anschließend zu studieren.
Anti-Heimatroman
„Der andere Heimatroman“ hat einen Vorläufer: Im Jahre 2014 erschien „Der Anti-Heimatroman“. Damals hielt sich Gerda Bredemeier noch aus dem Schreibprozess heraus. In dem neuen Buch haben Willi und Gerda Bredemeier die Geschichte nun gemeinsam fortgeschrieben und bis in die Gegenwart verlängert. Der Untertitel lautet folgerichtig „Bildungsreisen durch ein unbekanntes Land 1943-2018“.
Dieser Untertitel wirft erst einmal Fragen auf: Inwiefern ist das Ruhrgebiet ein „unbekanntes Land“? Wohl insofern, dass die Bredemeiers das Bild des Ruhrgebiets als Region, die den Strukturwandel im Großen und Ganzen gut bewältigt hat, in Frage stellen. Gerade Bochum tut sich ja auf seinen Status als Wissenschaftsstadt viel zugute. Das Fazit über die Bildungsrevolution im Roman dagegen fällt eher nüchtern aus. So ist „Der andere Heimatroman“ auch eine kritische Auseinandersetzung mit einem Heimatbegriff, der Probleme in der Region unterschlägt.
Willi und Gerda Bredemeier haben übrigens bereits ein weiteres Buch in Planung, das anhand der eigenen Familiengeschichte eine „Migrationsgeschichte ins Ruhrgebiet“ erzählen soll. Vielleicht erreichen sie dabei das, was dem „anderen Heimatroman“ fehlt: eine Reflexion des Erinnerungsprozesses und des Erzählens von Vergangenheit. So wirkt der Roman streckenweise mehr wie ein überlanger Essay als wie ein Zeitgeschichtsroman.
Das Buch
Willi und Gerda Bredemeier: Der andere Heimatroman. Bildungsreisen durch ein unbekanntes Land 1943-2018. Simon Verlag für Bibliothekswissen (ISBN 978-3-945610-52-7).
Autor:Nathalie Memmer aus Bochum |
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