"Don Karlos" am Schauspielhaus

Reifröcke in einer irritierend gegenwärtigen Kulisse: Juliane Fisch (links) und Minna Wündrich. | Foto: Küster
  • Reifröcke in einer irritierend gegenwärtigen Kulisse: Juliane Fisch (links) und Minna Wündrich.
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Regisseur Jan Neumann wirft mit seiner Schiller-Inszenierung „Don Karlos. Infant von Spanien“ einen verstörenden Blick auf Überwachungsmechanismen in Geschichte und Gegenwart.

Die Inszenierung frönt dabei keinem naiven Historismus – das wäre heute auch kaum zu vermitteln. Sie ist aber auch keine bedenkenlose Aktualisierung.
Sprache und z.T. auch Kostüme verorten das Drama in einer nicht ganz eindeutig zu bestimmenden Vergangenheit. Schließlich blickte Schiller aus der Periode der Klassik auf das Spanien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
„Das sind keine Banker“, sagt Regisseur Neumann über die Akteure des Königsdramas, auch wenn das Intrigenspiel solche Assoziationen nahelegen könnte.
Überwachungskameras auf der Bühne mögen bei diesem Inszenierungskonzept zunächst irritieren.
Wenn man sieht, wie die Oberhofmeisterin (Therese Dörr) und der Page (Damir Avdic) Karlos (Torsten Flassig), seinen Freund Marquis von Posa (Daniel Stock) und die Königin von Spanien (Juliane Fisch) beobachten und ihre Erkenntnisse weitergeben, scheint der Bezug zu Spähaffären in der Gegenwart nicht mehr abwegig.
Schließlich geht es in „Don Karlos“ auch um politisch hochbrisante Zeiten, in denen der Freiheitskampf der Niederländer Spanien erschüttert hat.
Das Programmheft, mit dem das Schauspielhaus die Inszenierung flankiert, zeigt jedoch auch den Unterschied zwischen Überwachung damals und heute: Mit E-Book-Readern, Navigationsgeräten und Online Shopping sorgen wir heute freiwillig dafür, dass Daten anfallen – und das in riesigen Mengen.
Und wie die ehemalige Bundesministerin für Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, nicht müde geworden ist zu betonen, werden akkumulierte Daten fast zwangsläufig auch genutzt und missbraucht.
Auch wenn andere Aktualisierungsangebote der Inszenierung weniger zünden, verkörpert sie ein sensibles Geschichtsbewusstsein: Sie sieht Kontinuitäten, ohne die Unterschiede zwischen Geschichte und Gegenwart unter den Teppich zu kehren.
Dass Schillers Sprache ihre Schönheit entfalten kann, liegt an der durchgängig überzeugenden Ensemble-Leistung.
Besonders hervorzuheben ist hier Minna Wündrich, die die Rolle der Prinzessin von Eboli mit Leben füllt und sich als hervorragende Sprecherin erweist.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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