Pastoralreferent Alfons Zimmer hat in Bochumer Kirchen nach mittelalterlichen Weihnachtsbildern gesucht – und ist fündig geworden
Die dunkle Seite der Weihnachtsgeschichte
„Gehe ich über den Bochumer Weihnachtsmarkt, sehe ich nur liebliche Krippenmotive“, sagt Alfons Zimmer, als katholischer Seelsorger in zwei Bochumer Strafanstalten tätig. Die nähere Beschäftigung mit Weihnachtsmotiven in alten Bochumer Kirchen führt dem Betrachter das Geschehen um die Geburt Jesu Christi aus einer ganz anderen Perspektive vor Augen: „Weihnachten hat auch eine dramatische Seite: Es geht um Bedrohung, Unfrieden und Heimatlosigkeit.“
Kulturhistorisch bedeutsame Güter erwartet der Bochumer zunächst natürlich in der Stiepeler Dorfkirche. Und tatsächlich: Auch wer nach Weihnachtsmotiven auf der Suche ist, wird hier fündig. „Gezeigt werden der Bethlehemitische Kindermord und die Flucht nach Ägypten“, erklärt Zimmer und ergänzt, „hier geht es also um die dunkle Seite der Weihnachtsgeschichte.“ Die gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstandenen Wandfresken erinnern daran, dass König Herodes der Große in der biblischen Weihnachtsgeschichte die Tötung aller männlichen Kleinkinder in Bethlehem anordnet, um den neugeborenen König der Juden, Jesus von Nazaret, zu beseitigen. Jesus entgeht dem Zorn des Herodes nur durch die Flucht nach Ägypten.
Alfons Zimmer, der vor einiger Zeit mit einer Ausstellung im Stadtarchiv an Häftlinge erinnert hat, die während des Nationalsozialismus' in der Krümmede einsaßen, versteht sich nicht als Heimatforscher, ja er war lange nicht einmal besonders geschichtsinteressiert. „Mein Geschichtslehrer würde sich wundern, wenn er wüsste, wie sehr mich die Vergangenheit heute interessiert“, sagt er schmunzelnd. Aus der Eifel stammend, lebt er inzwischen seit 25 Jahren in Bochum. „Neubürger bin ich inzwischen nicht mehr – ich sage mittlerweile selbst 'Glückauf' -, aber Zugezogener bleibt man. Und als Zugezogener entdeckt man das Staunenswerte eher als derjenige, der in Bochum geboren ist“, erklärt er sein Interesse für die kulturhistorischen Monumente der Stadt. Er fügt hinzu: „Das Ruhrgebiet in seiner heutigen Form ist ja erst im 19. Jahrhundert entstanden. Dennoch gibt es hier Relikte aus dem Mittelalter – und denen sollte man mit Respekt begegnen. Denkmäler und Kirchen bewahren uns davor, als moderne Menschen überheblich auf die Vergangenheit zurückzuschauen.“
Propsteikirche Peter und Paul
Fündig wird man auf der Suche nach Weihnachtsbildern auch in der Innenstadt: Das älteste Stück der Propsteikirche Peter und Paul, 1175 zu datieren, ist das romanische Taufbecken. Drei der fünf Motive beziehen sich auf das Weihnachtsgeschehen: die Geburt Christi, die Anbetung der Könige und – auch hier – der Kindermord zu Bethlehem. „Die Gefährdungen und Härten des Lebens“, interpretiert der Theologe Zimmer, „werden nicht ausgespart, sondern geradezu in den Blickpunkt gerückt.“ Er erklärt: „Besonders interessant ist hier die Verbindung zwischen Weihnachten und Taufe: Beides sind Rettungsaktionen – es geht bei der Geburt Christi und der Taufe um die Rettung aus Sünde und Tod.“
Propsteikirche St. Gertrud und Vinzentius-Kirche
In diesem Zusammenhang ist ein Blick auf das nach Zimmers Einschätzung „wichtigste kulturgeschichtliche Monument Wattenscheids“ geboten: „Der Taufstein in der Propsteikirche St. Gertrud, vermutlich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden, zeigt das älteste Weihnachtsbild Bochums. Es ist urtümlich und schlicht, aber dennoch beeindruckend. Die Abbildungen in der Propsteikirche in der Bochumer Innenstadt, bei denen Wattenscheid als Vorbild diente, sind wesentlich differenzierter ausgearbeitet.“ Inhaltlich geht es in Wattenscheid um zentrale Stationen des Lebens Jesu: Geburt, Jordantaufe, Kreuzigung und Auferstehung. Noch nicht ganz so alt, aber ebenfalls bedeutsam ist das Dreikönigsrelief aus Sandstein, das an der Chorwand der Vinzentius-Kirche in Harpen zu finden ist. Es stammt von einem Münsterländer Bildhauer, dessen Name nicht bekannt ist. Zu datieren ist es auf die Zeit um 1400.
Dass Zimmer mit den Bochumer Kirchen so gut vertraut ist, hat auch dienstliche Gründe: „Ich arbeite als Pastoralreferent in der Krümmede und im offenen Vollzug in Langendreer. Da komme ich viel herum, weil wir in Langendreer auch Ausflüge machen.“ - Auch Gläubigen müsse man viele Aspekte des Themas „Weihnachten“ erst nahebringen: „Es geht ja auch um Verfolgung, um die Absage an böse Mächte und falsche Götter. Auch kirchliche Mitarbeiter wissen oft nicht viel über Weihnachtsmotive in Bochumer Kirchen. Die sind ja auch deshalb so wichtig, weil es nur wenige Textzeugnisse gibt. Im Gefängnis setze ich bei meiner Arbeit auch auf Bildbetrachtungen. Die Geschichte um Herodes und den Kindermord, die in Stiepel und in der Innenstadt zum Thema gemacht wird, lässt sich auf die heutige Zeit übertragen: Unfrieden und Gewalt sind ja auch heute ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.“
Autor:Nathalie Memmer aus Bochum |
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