Das Schauspielhaus Bochum hat sich seit dieser Spielzeit 2020 einen besonderen Ort geschaffen:
Das neue „Theaterrevier“ in der Zeche Eins

Cathrin Rose in Mitten ihrer "Teentalitaristen" der Ruhrtriennale.   | Foto: Foto: cd
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  • Cathrin Rose in Mitten ihrer "Teentalitaristen" der Ruhrtriennale.
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Ruhrgebiet. In dem für die deutschen Theater nur kurzen Moment zwischen Corona-Welle No. I und No. II konnte Ende letzten September das geplante neue „Theaterrevier“ an der Prinz-Regent-Straße als südlicher Ausleger des Schauspielhauses Bochum seinen Zauber entfalten.

Endlich: Ein fester Ort fürs eigene Kinder- und Jugendtheater der renommierten Bühne

Die fröhlichen Bilder des tollen Eröffnungsfestes mit witzig-originellem Kunst-Parcours nebst Festakt mit der NRW-Kultur-Ministerin sprechen für sich. „Revier-Leiterin“ Cathrin Rose, weit über Bochum hinaus bekannt als ebenso unermüdliche wie unerschrockene Kultur-Ermöglicherin konnte, mit ihren wirklich besonderen Fähigkeiten, Kinder und Jugendliche an zeitgenössisches Theater in seiner ganzen Vielfalt heranzuführen, mehr als überzeugen, ja begeistern.

Und das tut „die Cathrin“ eigentlich schon ihr Leben lang:

In Bottrop aufgewachsen, weiß sie aus eigenem frühen Erleben, wie wenig Berührungspunkte es im Revier-Alltag für Kinder (und nicht nur im Revier) mit Theater und Kunst gibt. Sie selbst fand über die Schultheater AG zu ihrem Berufswunsch Dramaturgin. Ihr Weg über ein Anglistik- und Amerikanistik-Studium führte sie auch ein Jahr ins schottische Glasgow als Assistenzlehrerin in englischer Sprache. „Pädagogik satt“ und – gleich im Praxistest! Noch immer wegweisend für die nicht nur deutsch-sprachige Spezial-Branche sind ihre Ruhrtriennale-Angebote für Kinder und Jugendliche. Wo sie seit Triennale-Gründungs-Intendant Gerard Mortier 2002 bis zu Johan Simons 2017 wirkte.

Pink Floyds verfilmter Welt-Hit „We don´t need no education“ gab das Stichwort für das Konzept „No Education“, das sie unter Ruhrtriennale Intendant Heiner Goebbels verwirklichen konnte - es wirkt unvermindert nach:

Die einfache wie geniale Idee, Kinder in eine eigene Jury (natürlich mit VIP-Ausweis und Rotem Teppich!) zu berufen, die dann das komplette Programm der Ruhrtriennale aus ihrer Sicht bewerten sollte! Für viele war das der erste direkte Kontakt zu herausragenden Künstlern aus aller Welt, zu Inszenierungen, Tanz, Oper, Schauspiel. Alle Fragen waren erlaubt! (Auf youtube gibt es immer noch ein beeindruckendes Video unter: No Education / Ruhrtriennale zu sehen.). Und es ist wohl selten so gut dokumentiert worden, was die rund zweimonatige „Konfrontation“ mit Theater in seiner ganzen Vielfalt samt Orchestern, Musikern, Tänzern und Schauspielern bei den Kindern ausgelöst hat. (Auch ihre Schul-Lehrer wurden dann befragt und - waren schwer beeindruckt).

Im besten Fall: Eine nachhaltige Impfung gegen Dummheit und
gegen die Ansteckung mit Vorurteilen

Nicht nur in Covid-19-Zeiten sortieren viele Unkundige Theater-Kultur in eine Schublade mit Kommerz-Sport und allgemein „Freizeitaktivitäten“ ein. Unsere Politik hatte einst nach dem II. Weltkrieg Theater, Oper, Ballett und Museen in der Not als „freiwillige Leistungen“ einer Stadt oder eines Landes definiert - im Gegensatz zur Daseins-Vorsorge und zB Schulpflicht oder Kanalisation als verpflichtend zu finanzierende Aufgaben. Das aber bedeutet heute noch, dass Kultur-Finanzierung und damit der Bestand einer der wichtigsten Kultur-Nationen immer wieder neu beschlossen werden muss und - auch wegfallen kann: Einst verständlicher Vorrang für die notwendigsten Pflicht-Aufgaben im Trümmerland.

Doch fragt man heute in der Welt mal rum, wofür Deutschland und die deutsche Kultur stehen, dann werden unter den Gebildeteren oft als Erstes die deutschen „Dichter und Denker“, Goethes „Faust“, Schillers „Räuber“ und Lessings „Nathan der Weise“, Beethovens Neunte oder seine „Ode an die Freude“ mit Schillers Text, Bach und Mozart usw. als Repräsentanten der sinnstiftenden Hochkultur genannt. Selbst der weltweit einmalige, ungeheure Kultur- und Zivilisations-Bruch des National-sozialismus hat es nicht geschafft, die weltweite Verehrung für deutsche „Kultur-Heroen“ aus dem Gedächtnis unserer enger werdenden Welt auszulöschen. Sport-Regeln kann man aufschreiben, wenn die Gladiatoren in den Ligen nur noch vor leeren Rängen und weltweiten Wett-Apps „spielen“ oder die begeisterten Millionen im Breitensport der Vereine lange nicht tätig sein dürfen. Die erreichte Höhe der komplexen Kunst Theater aber geht verloren, wenn dies über ein ständig korrespondierendes Netz von aktueller Regie und Publikums-Rezeption länger unterbrochen wird: Die 12 Jahre Lücke vor 1946 wieder aufzuarbeiten, dauerte Jahrzehnte und hat sich immer noch nicht ganz geschlossen, vieles Unterbrochene ging unwiederbringlich verloren.

Die uralte Kulturtechnik Theater ermöglicht schon immer „Zeitreisen“, Utopien und kurz: in andere Rollen zu schlüpfen und mit „anderen Augen zu sehen“. Schuld und Sühne, Liebe und Hass, die kleinen und die großen Menschheits-Fragen können „auf den die Welt bedeutenden Brettern“ - beschützt vorm Irrsinn des Alltags - abgehandelt werden. Es können neue Gedanken entstehen, die im besten Fall zu einer Grund-Immunisierung gegen Dummheit, gegen Vorurteile, gegen Rassismus und Barbarei führen. Wer das Gegenüber mitdenkt, hasst nicht.

Immer auf der Seite der Kinder und Jugendlichen

Cathrin Rose, die in Bochum auch seit vielen Jahren ehrenamtlich für das Jugendtheater-Projekt „Theater Total“ arbeitet, entwickelte ihre „Junge Kollaborationen“ stetig weiter. Unter Intendant Johan Simons wurde von 2015 bis 2017 der „Teentalitarismus“ ausgerufen: Die Jugendlichen erarbeiteten ihr eigenes Triennale-Programm, besuchten zur Vorbereitung Theater-Produktionen im ganzen Land, suchten gemeinsam mit dem Triennale-Team eigene Themen aus (inklusive Liebe und Sex sowie die umgekehrte Reihenfolge). Auch dass Theater „richtig viel Arbeit“ bedeutet und es dann noch gilt, das Publikum zu überzeugen - auch das haben sie erfolgreich gelernt. Deutschland hat keinen Kultusminister, aber eine/n Staatsminister*in als „Beauftragte*n der Bundesregierung für Kultur, hier wurde Cathrin Roses „Teentalitarismus“ für einen Preis der Kategorie „Kulturelle Bildung“ nominiert.

Nach anderthalb Jahrzehnten als Jugend-Chefin der Ruhrtriennale folgte Cathrin Rose 2018 der Einladung, als Dramaturgin und Leiterin des Jungen Schauspiels, den RT-Leiter und renommierten Regisseur Johan Simons ans Schauspielhaus Bochum zu begleiten. Beruflich für sie eine Heimkehr, denn ihr allererstes Dramaturgie-Engagement hatte ihr 1995 Bochums junger Intendant Leander Haußmann dort angeboten. Seitdem lebt Cathrin Rose hier auch mit ihrer Familie. Zur 100-Jahrfeier des Schauspielhauses 2019 gab´s ein Wiedersehen mit „dem Leander“ und vielen Ex-Bochumern.

Was wird im Theaterrevier passieren?

Liebe Cathrin Rose, herzlichen Glückwunsch zum neuen „Theaterrevier“. Und zur Förderung des Landes-Ministeriums für Wissenschaft und Kunst von immerhin 1,3 Millionen Euro aus dem Programm „Neue Wege“! So wurde es möglich: Endlich ein eigenes Theater, ein eigener Spielort für Kinder und Jugendtheater hier in der Mitte des Reviers! Was wird hier passieren und wie kam es dazu?

Cathrin Rose: Ja, das ist schon großartig, nach hundert Jahren Bochumer Theater für Erwachsene: ein eigener Ort und ein frei zu gestaltender Raum! Wir gelangten schon im Vorjahr „in die Förderrunde". Aber die Bereitschaft von Johan Simons, eine externe Spielstätte des Schauspielhauses „Die Zeche Eins" fürs neue Theaterrevier frei zu machen, war nötig und hat es erst ermöglicht. Wir haben hier die Möglichkeit für drei eigene Produktionen im Jahr. Und ja, es ist schon toll, nicht immer darauf warten zu müssen, dass mal Platz ist in den anderen Spielstätten. Hier ist nun ein eigenständiger Ort für alle Generationen! Für Kreativität und für den Dialog zwischen Kunst und Pädagogik. Wir haben eigene Techniker, eigene Proben-Möglichkeiten und eigene Projekt-Teams. Hier kann und darf sich Freiheit grenzenlos entfalten. Kinder und Jugendliche können hier selbst gestalten. Wir nennen es „Drama Control“: Sie wählen ihre Themen und das Programm selbst aus. Wer ein Projekt vorschlägt, muss die anderen auch davon überzeugen. Wir als ständiges „Theaterrevier“-Team unterstützen und geben professionelle Hilfestellungen. Inhaltlich wie technisch. Und: Die Entscheidungen fallen gemeinsam.

Woher kommen die Kinder und Jugendlichen ins Theaterrevier?

Cathrin Rose: Wir lernen interessierte Kinder in unseren Schul-Projekten kennen. Aber Interessierte können sich auch einfach bei uns melden. Die Einschränkungen durch Corona bedauern wir sehr: Doch wir haben drei Theaterstücke, die für die Öffnung lange bereitstanden und stehen. Wir hatten eine interne Premiere der „Unendlichen Geschichte“, die eigentlich schon Weihnachten 2020 „herauskommen“ sollte. Diese Premiere gelang wunderschön und es ist schon hart, wenn man dann das Stück nicht spielen kann. Aber wir haben uns absichtlich dagegen entschieden, es als Streaming-Angebot anzubieten. Weil doch zu Vieles nicht wirklich mit den Kameras eingefangen werden kann und viel vom Zauber der Inszenierung verloren gehen würde, gerade bei Kinder- und Jugendtheater mit seiner großen Ursprünglichkeit.

Wie war und ist der Kontakt mit Eurem Publikum während der Pandemi
e?

Cathrin Rose: Auch ohne Streaming gab es online-Projekte (immer im aktuellen Programm des Schauspielhauses Bochum zu finden). Und das Weiter-Arbeiten an unseren anderen Theaterproduktionen ließ das angekündigte Stück „Wie Rosie den Käsekopter erfand“ stets für die Bühne bereitstehen.

Auch „ The Last minutes before Mars“, das zum Spielzeitbeginn Ende September 20 Premiere feiern konnte und auf dem Eröffnungsfest des Theaterreviers gezeigt wurde, steht bereit. Das Projekt mit der Kanadische Performance-Gruppe „Mammalian Diving Reflex“ unter der Leitung von Darren O`Donnell handelt von zwangsverpflichteten Jugendlichen, die von der durch Klimawandel unbewohnbaren Erde auf den Mars fliegen sollen, um ihn zu erforschen. Sie machen Erinnerungs-Videos von allem, was sie am meisten vermissen werden. Das junge wie auch älteres Publikum erlebt hier eine Mischung aus Live-Performance und 360-Grad-Video-Technik (mit VR-Brille für Jeden !). Das Multi-Media-Stück führt so durch die letzten 24 Stunden im Leben der Jugendlichen aus dem Ruhrgebiet, bevor ihre Mars-Mission beginnt, wahres „Theaterrevier“ halt.

„Toi Toi Toi, Cathrin Rose!“. (cd)

Theaterrevier Zeche Eins, Prinz-Regent-Straße 50 – 60 in D- 44795 Bochum (Süd)
Kontakt: orane.courtalin@schauspielhausbochum.de

Autor:

Caro Dai aus Essen-Werden

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