Das Ende des Ersten Weltkriegs jährt sich am 11. November zum 100. Mal – und erinnert daran, dass Frieden ein zerbrechliches Gut ist
„Das Ende des Ersten Weltkriegs jährt sich am 11. November zum 100. Mal. Dieser Jahrestag wird in der Öffentlichkeit aber kaum wahrgenommen“, ist der Eindruck von Alfons Zimmer, der seine Kindheit und Jugend in der Eifel verbracht hat, aber seit 25 Jahren in Bochum lebt und als Pastoralreferent in Gefängnissen tätig ist. Er selbst hat sich auf Grundlage seiner Familiengeschichte näher mit dem Thema befasst.
Zimmer, 1956 geboren, berichtet von Erfahrungen, wie sie viele wenn nicht die meisten seiner Generation nicht nur in Deutschland gemacht haben dürften; schließlich forderte der Erste Weltkrieg insgesamt 17 Millionen Opfer: „Jakob Zimmer, der Bruder meines Großvaters väterlicherseits, ist 1916 auf dem westlichen Kriegsschauplatz gefallen. Auch unter den Brüdern meines Großvaters mütterlicherseits waren zwei Todesopfer zu beklagen.“ - Das Erinnerungsbild, das die Familie 1916 anlässlich von Jakobs Tod erhielt, war für Alfons Zimmer der Ausgangspunkt, sich näher mit dem Ersten Weltkrieg zu beschäftigen. Kopfschüttelnd sagt er: „Sein Tod mit 28 Jahren wird zum Opfer für das Vaterland stilisiert. Solche Bilder wurden in den Familien aufgehängt. Ich habe es schließlich vor vier oder fünf Jahren auf dem Speicher gefunden.“
Gesprochen worden sei in seiner Familie nur selten über den Ersten Weltkrieg. Dennoch hat Alfons Zimmer zu den Folgen dieses Krieges eine ganz konkrete Erinnerung: „Ich kann mich erinnern, wie ich an der Hand meines Großvaters gegangen bin. Einer seiner Arme war von einem Granatsplitter zerfetzt. Und gerade dieser Arm war und ist für mich die Brücke zum Ersten Weltkrieg.“
Zimmer, der im Jahr 2016 eine Ausstellung im Stadtarchiv initiiert hat, die an Menschen erinnert hat, die im Nationalsozialismus aus politischen Gründen in der Krümmede inhaftiert gewesen waren, hat erhalten gebliebenes Fotomaterial aus dem Ersten Weltkrieg gesichtet und stellt fest: „Viele der jungen Männer wirken stolz auf ihre Kriegsteilnahme.“
Viel Kriegsbegeisterung, aber auch Kritik
Die Kriegsbegeisterung vieler Deutscher gerade zu Beginn des Ersten Weltkriegs mag aus heutiger Sicht befremdlich wirken. Auch Alfons Zimmer hat sich mit dieser Frage beschäftigt – vor allem im Hinblick auf die Eifel, wo er aufgewachsen ist. „Das Kaiserreich war preußisch und damit protestantisch geprägt“, versucht sich Alfons Zimmer an einer Erklärung und erläutert, „da wollten die Katholiken in der Eifel nicht als vaterlandslose Gesellen erscheinen und haben sich deshalb vielleicht besonders als Unterstützer des Krieges hervortun wollen. Vielleicht fühlten sie sich auch einfach als ohnmächtige Untertanen.“ Er zitiert den Bochumer Theologen und Soziologen Günter Brakelmann: „Die Leidensfähigkeit war größer als die Widerstandsfähigkeit.“
Alfons Zimmer möchte diese Auffassung nach seiner eingehenden Beschäftigung mit dem Thema allerdings relativieren: „Es lassen sich schon Spuren von Kritik an der Kriegspolitik des Kaisers finden. So gibt es Berichte, dass Lehrer die Kriegsbegeisterung schüren mussten, weil Teile der Bevölkerung ablehnend eingestellt waren. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass allein in meiner Heimatgemeinde Müllenbach 24 junge Männer dem Krieg zum Opfer gefallen sind.“
Brisante Broschüre
Im Haus von Verwandten an der Mosel hat Alfons Zimmer die Broschüre „Wilhelm II. - wir klagen dich an“ gefunden, in der unverhohlen Kritik am Krieg geäußert wird. „Der Autor musste die Schrift unter Pseudonym veröffentlichen, um sich nicht in Gefahr zu bringen.“
Repräsentativ ist eine solch kritische Haltung freilich nicht. „Auch die Kirchen haben es nicht verstanden, die Idee der Menschheitsfamilie zu betonen und sich gegen den Krieg zu stellen“, resümiert der Pastoralreferent Alfons Zimmer kritisch. Vielmehr sei christliche Symbolik sogar für die Verharmlosung des Krieges missbraucht worden: „Auf dem Erinnerungsbild, das ich gefunden habe, ist ein Totenengel zu sehen. Der Erzengel Michael wurde als Patron des deutschen Volkes dargestellt und dazu missbraucht, den Krieg zu propagieren.“
Bei seinen eigenen Kindern, die heute etwa in dem Alter sind, in dem drei ihrer Urgroßonkel gefallen sind, könne er kaum Interesse für das Thema „Erster Weltkrieg“ wecken. „Dabei mahnt uns dieser Krieg, uns zu vergegenwärtigen, dass Frieden in Europa keine Selbstverständlichkeit ist.“
Jakob Zimmer, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist, ist in der Familie immer noch präsent, wie Alfons Zimmer erklärt: „Der Name Jakob wird in der Familie über die Generationen hinweg weitergegeben - auch mein Sohn heißt so.“
Autor:Nathalie Memmer aus Bochum |
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