Bochum: Historische Dokumente gesucht
Das Denkmal mit Leben füllen

Wo seit den fünfziger Jahren Menschen ein Zuhause gefunden haben, lebten in der NS-Zeit Zwangsarbeiter in beengten Verhältnissen. | Foto: Projektgruppe
  • Wo seit den fünfziger Jahren Menschen ein Zuhause gefunden haben, lebten in der NS-Zeit Zwangsarbeiter in beengten Verhältnissen.
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„Unser Versuch, historische Zeugnisse zum ehemaligen NS-Zwangsarbeiterlager an der Bergener Straße zu finden, kommt zugegebenermaßen sehr spät – aber besser spät als nie“, sind sich die Initiatoren eines Rechercheprojekts einig, das Dokumente und Erinnerungen für den geplanten Gedenkort sucht.

Dieser Erinnerungsort soll in einem Gebäude der heute denkmalgeschützten Siedlung an der Bergener Straße 116, die sich mittlerweile im Besitz der Stadt Bochum befindet, entstehen. Und es besteht immerhin noch eine kleine Hoffnung, mit Zeitzeugen in Kontakt zu kommen, die aus erster Hand vom Leben der „Fremdarbeiter“, wie die Zwangsarbeiter, die in Bochum überwiegend im Bergbau und in der Stahlindustrie eingesetzt wurden, im Nationalsozialismus beschönigend genannt wurden, berichten können.

Beteiligt an dem Projekt sind neben dem Stadtarchiv Bochum das Bochumer Bündnis gegen Rechts, der Arbeitskreis Geschichte Bochum Nord e.V. sowie der Ortsverein Bergen der SPD. Für sie alle ist der Gedenkort eine Herzensangelegenheit. Deshalb wenden sie sich nun an die Bochumer Bevölkerung, da der eine oder die andere vielleicht noch Fotoalben von Eltern oder Großeltern auf dem Dachboden oder im Keller hat. Schließlich ist es denkbar, dass jemand Zwangsarbeiter auf dem Weg zur Arbeit, bei Feiern oder bei anderen Anlässen – vielleicht eher zufällig – fotografiert hat. Auf diese Weise soll das Lager an der Bergener Straße, von dem die Bevölkerung während der NS-Zeit Kenntnis gehabt haben muss, als Zeugnis des Unterdrückungs- und Ausbeutungssystems im nationalsozialistischen Deutschland erfahrbar gemacht werden.

Gedenkort ist erklärtes Ziel

Viele hielten das Ensemble an der Bergener Straße 116a-i jahrzehntelang für eine Behelfssiedlung, um junge Bergleute zu beherbergen, denn in den 1950er Jahren waren hier tatsächlich Beschäftigte aus dem Bergbau untergebracht. Das Thema Zwangsarbeit rückte erst allmählich in den Fokus des öffentlichen Bewusstseins. Die relativ massive Bauweise aus Stein – häufig wurde Holz als Baustoff für Zwangsarbeiterlager benutzt – machte es möglich, dass die Siedlung bis heute für einige Mieter ein liebevoll gepflegtes Zuhause ist, wenn der Wohnkomfort auch nicht mehr heutigen Ansprüchen genügt. Erklärtes Ziel des Rechercheprojekts ist nun die Schaffung eines Gedenkorts in einem der leerstehenden Gebäude.

In Bochum stehen drei Orte unter Denkmalschutz, die an das Schicksal der Zwangsarbeiter, die für die NS-Wirtschaft eine große Rolle spielten, erinnern: das ehemalige Zwangsarbeiterlager der Zeche Lothringen, das Bodendenkmal des ehemaligen Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlagers „Heinrichstraße“ der Bergbau AG Lothringen und der Eisen- und Hüttenwerke AG und eben das ehemalige „Ausländerlager“ der Krupp-Zeche Vereinigte Constantin der Große an der Bergener Straße, das 1941/ 42 errichtet wurde und wohl bis zu 600 männliche Zwangsarbeiter, zumeist aus Polen und Galizien, beherbergte. Nur wenige Zwangsarbeiterlager in Deutschland sind erhalten geblieben. Ein Grund mehr, an diesem authentischen Ort an das Schicksal dieser Menschen zu erinnern.

Hoffnung auf Mithilfe aus der Bevölkerung

„Ohne die über 7,6 Millionen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen während des Zweiten Weltkriegs wäre die deutsche Kriegswirtschaft zusammengebrochen, machten sie doch etwa 20 Prozent der Gesamtbeschäftigten aus. Viele Hunderttausende von ihnen starben in Deutschland, allein auf dem Friedhof am Freigrafendamm liegen 1.720 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter begraben“, verweist das Aktionsbündnis aus Stadtarchiv, Bündnis gegen Rechts, Arbeitskreis Geschichte Bochum Nord und SPD-Ortsverein auf die Dimensionen des Phänomens „Zwangsarbeit“ – und hofft, dass Bürger Fotos, Arbeitsbücher, Briefe oder andere Dokumente aus Familienbeständen zur Verfügung stellen können, die die Geschichte der Zwangsarbeiter erhellen und dem unvollständigen Bild ihrer Geschichte vielleicht den einen oder anderen Mosaikstein hinzufügen.

Kontakt
- Wer historische Fotos oder Textdokumente anbieten kann oder vielleicht sogar als Zeitzeuge Erinnerungen mitteilen möchte, erreicht die Projektgruppe per E-Mail an: ak-geschichte@web.de.
- Wer lieber einen Brief schreiben möchte, wendet sich an: SPD Bergen, Martin Holz, Schultesche Heide 26, 44807 Bochum oder Stadtarchiv Bochum, Dr. Kai Rawe, Wittener Straße 47, 44789 Bochum.

Autor:

Nathalie Memmer aus Bochum

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