Bulgarische Anekdoten

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Bulgarische Anekdoten

„Als Gott die irdischen Güter unter den Völkern aufteilte, war der Vertreter der Bulgaren nicht anwesend. Er hatte wohl auf dem Feld zu schaffen"...berichtet die Legende
(Eine andere Variante der Legende besagt, dass er mal wieder verschlafen hatte)

Nachdem alle Naturschönheiten, Bodenschätze, Wald, Wasser, und Gebirge, Tiere und Pflanzen vergeben waren erschien er vor seinem Schöpfer und schaute mit großen Augen so traurig zu ihm auf, dass es den Herrgott rührte.
Daraufhin nahm der von allem, was er in seinem Paradies hatte, ein klein wenig und warf es auf das Territorium Bulgariens.
So kam es, dass das Land wie der Vorgarten zum Paradies ausgestattet wurde; von allem etwas - aber nur ein wenig.“

Es war wieder einmal einer jener Tage, an dem man die Hitze satt hat, das Meerwasser einem vorkommt, wie in einem Thermalbad und der Lärm der zu Hunderten – wenn nicht gar Tausenden in den, von lauter Musik fast berstenden Strandlokalen – tobenden „Europäer“ unerträglich wird.
Was konnte man hier nicht alles beobachten...
Da war der Kegelclub aus Herne – „All included...“ Man musste ja die im Voraus teuer bezahlten Getränke auch konsumieren. („Lieber den Magen verrenkt, als dem Wirt wat jeschenkt“)
„Mann – wat is dat Bier hier lecker. Aber warum jibbet nich mal Kartoffeln zum Schnitzel“? „Mutti hol Dich doch noch ’ne lecker Eisbecher!... Isso wahr Mann – schade ummet jute Zeuch!“

Eine Familie aus Norwegen – steif, steifer, stocksteif. „Alles gut hier, wir kommen schon das dritte Jahr. Dieses mal haben wir unser Porredge selbst mitgebracht. Aber keiner kann das zubereiten.“
Die Russen, Tag und Nacht im Addidas-Anzug, die den Joghurt vom Frühstücks-Büffet noch in eine, soeben mit dem stumpfen Tafelmesser und viel Lärm abgesäbelte Colaflasche füllen – (Mitnahme von Geschirr verboten!) - wohl, um den allseits schon am zweiten Tag verbreiteten Sonnenbrand in der Sippe ausgiebig und nach altem Brauch zu kühlen.
Engländer, Iren - jedenfalls Angehörige des „britischen Empire“, bunt gemischt, blass und rothaarig zumeist, selbstbewusst wie Monarchen, konnten wohl auch nicht soviel von dem (billigen) “Mastika“ vertragen, den sie schon bis zum Mittagessen konsumiert hatten. Schlafend oder lallend lagen sie in der prallen Sonne.
Ob die morgen auch wieder am Strand auftauchen?

Da war noch einer: Der kam jeden Tag zu einigen jungen Damen am Meeresufer in dunklem Anzug, mit Aluköfferchen und teurem Handy, welches er immer großspurig in der Hand trug. Was sie da verhandelten und was oder wie viel von diesem „was“ dort seinen Besitzer wechselte, konnte man nur ahnen. Russische Wortfetzen erreichten das feine Ohr des aufmerksamen Badegastes.
Nachdem der elegante Herr abkassiert hatte, aalten sich die Schönen wieder im warmen Sand auf ihren Luxus-Badetüchern, cremten und pflegten sich gegenseitig, stets peinlich achtend, dass kein bisschen vom gekonnt aufgebrachten Make Up verwischt wurde (und kein Sand ins Getriebe drang).
Nach zeitweiligen Telefonaten verschwand die eine oder andere, um nach ein, zwei Stunden wieder auf ihrem Platz unter dem Schirmchen zu liegen.
Ballermann - oder was?
Das Vergnügen, nach Mitternacht in den Anlagen zu spazieren und hinter Hecken zu schauen, versagten wir uns gänzlich. Kennt man ja!

Unmittelbar vor unserem „Liegeplatz“ landete mehrmals täglich ein stinkender Kutter, von welchem mit Megaphon lautstark verkündet wurde, dass man mit diesem Schiff das ultimative Sexerlebnis haben könne. Man brauche nur einsteigen und zahlen. Wer ein Fernglas besitze, solle dies unbedingt mitnehmen... Nirgendwo auf der Welt wäre ein Nudistenstrand so hautnah zu erleben wie hier...
.... und es kostet NUR ZEHN Kujambeln... oder FÜNF Eumeln oder... oder... man könne in jeder Währung zahlen.

Bulgarische Gastfreundschaft

Die Sehnsucht nach Ruhe, nach Loslösung vom westlichen Zivilisationsrummel, wurde unbändig und wir erinnerten uns, dass es in diesem Land doch noch viel unberührte Natur, kühle Wässer im Gebirge und ehrliche gastfreundliche Menschen gibt, die vielleicht noch nicht von der „Segen bringenden“ Zivilisation berührt worden waren. Menschen die uns in der Vergangenheit begegneten – die uns freundlich aufnahmen, ohne aus irgend einem Grund Veranlassung zu haben.
Gastfreundschaft ohne gleichzeitige Arglist. Einfach aus einer Jahrhunderte alten, ungeschriebenen Verpflichtung heraus. Herzlichkeit, die ohne Hintergedanken ist und welcher man nur noch sehr selten auf dieser Welt begegnet.

Das war vor einigen Jahren .... Inzwischen hat sich viel verändert in der Welt.

Um dies vielleicht nochmals zu finden, entschlossen wir uns kurzerhand und wollten am nächsten Tag aufbrechen, erneut ein Abenteuer und unsere Freunde von damals zu suchen.
Wie ist es den Leuten ergangen in 23 Jahren „Demokratie“? Sind sie schon „richtige Europäer“ geworden oder haben sie sich noch kleine Stücke ihrer ursprünglichen Wurzeln erhalten?

****

Auf der Straße

Der klapprige Mietwagen wurde einer kurzen Sichtprüfung unterzogen.
Das Reserverad war vorhanden und sogar voll Luft.
Die Tankanzeige weit unten im roten Bereich signalisierte, dass alsbald Treibstoff nachzutanken war.
Die Landeskarte war schon so oft zusammengeklebt, dass wir beschlossen, bei der nächsten Tankstelle eine neue zu kaufen und dem Vermieter danach großzügig zu überlassen.
Großzügig insofern, weil der Preis für dieses klapprige Gefährt den Preisen für vergleichbare Mietfahrzeuge in unserer Heimat durchaus ebenbürtig war.
Man lernt schnell, wo die Bedürfnisse des modernen Tourismus liegen. Weniger schnell, dass damit auch Verpflichtungen entstehen.

Mit Kulturbeutel, Wechselschlüpfer und Turnschuhen in der Reisetasche machten wir uns erwartungsfroh gen Westen davon. Entflohen dem allseits gepriesenen Urlaubsparadies - entflohen dem Lärm, der Hektik dem Strandgetümmel....
Waren wir nicht eigentlich hierher gekommen um all dem Lärm und Stress zu entgehen?...
Die Zeiten ändern sich:

„Eins, zwei, drei im Sauseschritt eilt die Zeit – wir eilen mit“
Wirklich?

On the road again...! Tankstelle? …Vergessen!
Nach 64 km auf staubiger, welliger und löchriger Landstraße noch immer keine in Sicht. Die Magistrale wollten wir nicht benutzen. Wir suchten doch das Abenteuer...
Eselskarren, hochbeladen mit dicken, wohl kiloschweren Maiskolben überholten wir. Die Ernte in diesem Jahr schien eine besonders gute zu sein.
Die kleinen Tierchen machten einen erstaunlich agilen Eindruck. Von Störrigkeit keine Spur...

Guter Rat wurde langsam zur Mangelware. Unsere Karte zeigte auch nur Tankstellen in der Nähe großer Ansiedlungen. Gebe Gott, dass dort in der nächsten Ortschaft...

Naomi ist krank

Er gab nicht. Plötzlich fing Naomi an zu stottern. Naomi, so hatten wir die Auto-Dame getauft. Es musste eine Dame sein - rot und mitunter so zickig – wie ein allseits bekanntes Model, welches allerdings schwarz ist. Beim Starten schon stellte sie sich an wie ein Jungfrau. Zierte sich geraume Zeit um dann mit doppelter Begeisterung loszujubeln.
Rot war auch Zufall – keineswegs ist die Farbe Naomi’s Ursprung von jenseits des Ural zu verdanken, wo ja zur Zeit ihrer Geburt alles rot gewesen sein soll... Togliatti - klingt irgendwie italienisch, denke ich noch...

... Nun, sie stotterte also, hustete und machte Sprünge wie ein junges Böcklein auf der satten Weide, welches sich vor seinen Ziegen-Geschwistern profilieren muss.
Stotterte, hustete noch stärker - und am ersten Haus des Dorfes stand sie.
Eine Horde schwarzäugiger Kinder, umringte uns sofort und beobachtete unser Tun zunächst schweigend und neugierig.
Tun? Was taten wir eigentlich? Außer uns gegenseitig die Schuld zuzuschieben, wer denn nun vergessen hatte zu tanken, taten wir nichts.
„Benzin?“ fragte einer der Jungen, der wohl irgendwie der Anführer war. Ich nickte!
„Sveshtite!“ meinte er dann.
Verstehen konnte ich nicht. Er deutete mir an, die Motorhaube zu öffnen. Ich tat’s.
„Klutsch?“ fragte er. Wie konnte ich das kapieren?
Mitko, das hatte ich inzwischen erfahren, hieß der Chef - bedeutete mir, dass er willens war die Zündkerzen heraus zu schrauben.
„Nein, nein ich brauche nur Benzin!“ sagte ich. „B E N Z I N verstehst Du?“
Mitko wiegte seinen Kopf hin und her. Der versteht Dich nicht, denke ich...
Er rief hinter die Kinder in Richtung einer Toreinfahrt, wo eine ältere Frau das Geschehen beobachtete: „Nemat benzin- nemtsi sa!“
Plötzlich war mir alles klar. Hatte ich doch in der Aufregung gänzlich vergessen, dass man hier im einzigen Land der Welt nickt, wenn man „Nein“ sagt und den Kopf wiegt, was „Ja“ bedeutet.

Einer der Kleineren wurde los geschickt.
Nach einiger Zeit kam er zurück. Völlig außer Atem berichtete er: „Tatko ima tuba!“
„Mein Gott, ich brauche Benzin und kein Blasinstrument“ dachte ich. Oder soll ich jetzt hier ein Konzert geben? „Ich kann nicht Tuba spielen!“ deutete ich an und kam mir ziemlich witzig dabei vor.
„Nema problem – ela!” Der Kleinere erklärte mir, mit zu kommen. Die fanden das wohl nicht lustig. Wir gingen ein Stück die Dorfstraße hinauf, bogen rechts in ein Gartengrundstück ein.
Mitten im Garten brannte ein Holzfeuer. Darauf stand, auf einigen Ziegelsteinen ein großer Topf.
Im hinteren Teil des Grundstückes erkannte ich Pfirsichbäume, welche ihre Äste unter der Last der reifen Früchte bedenklich bogen. Teilweise waren die Zweige mit Latten gestützt.
Eine solche Pracht an prallen, vollreifen Früchten hatte ich nie zuvor gesehen. Schon gar nicht am Baum. Ein herrlicher Duft entströmte offenbar diesen paradiesisch anmutenden Produkten der Schöpfung. Ein kurzer Moment, in dem der Vergleich mit niedlichen weiblichen Hinterteilen aufkam... „Wer hat die nur alle in die Bäume gehängt?“

Das Paradies?

Unter den Obstbäumen lagen herabgefallene Pfirsiche, an denen sich bereits die Wespen gütlich taten. Vorne auf Beeten, die einem deutschen Laubenpieper die Haare zu Berge stehen lassen würden: Gurken, Melonen, Kürbisse. Tomatenstauden, fast laublos aber reichlich mit prallen, roten Früchten behangen. Alles im Überfluss auf der bräunlich-roten Erde wachsend. Petersilie sah ich, Dill, Bohnenkraut – vor kurzem liebevoll gegossen. Wen störte das bisschen Unkraut dazwischen? Hat es doch auch irgendwo seine Daseinsberechtigung.

Willkommen

Ich entdeckte unter einem Vordach an einem kleinen Gebäude eine hübsche Frauengestalt, eine Geste machend, welche ich nicht ganz deuten konnte: Am ausgestreckten Arm führte sie die Hand immer wieder nach unten.
Bezeichnete das jetzt: „Bleibt stehen!“? Oder besagte es, sich niederzuknien?
Fragend blickte ich auf meinen Begleiter. Der Junge zeigte mir, vorwärts zu gehen. Inzwischen war die junge Frau unter dem Dach hervorgetreten und hieß mich willkommen.
Es konnte nur ein Willkommensgruß sein. Mit leuchtenden Augen, ganz offensichtlich erfreut über den überraschenden Besuch deutete sie immer wieder auf den kleinen Tisch in der Nähe der Hütte und hieß mich setzen.
Sie war ein wahrhaft hübsches Wesen. Schlank, mit einem Gesicht in welches ich immer wieder schauen mochte. Schwarzhaarig, mit lustigen Grübchen und angedeuteten slawischen Wangenknochen. Die geschmackvolle Kurzhaarfrisur ließ sie kokett erscheinen.
Hände waschen, an der Schürze abtrocknen... Flugs wurde ein Salat aus herrlich frischen Tomaten, denen ein betörendes Aroma entströmte, Gurken, roten Zwiebeln und frischen, soeben vom Beet geernteten Gurken gezaubert. Paprika, wie ich sie nie zuvor gekostet hatte waren ein weiterer Bestandteil. Ohne Schale. Obenauf Raspeln von Feta-Käse. Frische Petersilie aufgestreut, machte dieser in Windeseile gezauberte leckere Salat einen unbändigen Appetit und erinnerte daran, dass es bereits Zeit zum Mittagessen war.
Währenddessen redete sie immer wieder auf mich ein. Beruhigend, wie mir schien. Stellte Fragen, die ich ja nicht beantworten konnte. Aber offensichtlich war es auch egal, ob ich antwortete.

Interessiert schielte ich immer wieder zum Feuer mit dem großen Topf. Irgend etwas köchelte dort auf kleiner Flamme. Das Holzfeuer verbreitete kaum Rauch und trotz der Mittagshitze einen anheimelnden Harzduft.
„Kompott!“ deutete die Hausfrau auf das Feuer. „Kompot ot praskovi!“
Ich trat näher und erkannte im Topf fein säuberlich aufgeschichtete Einweckgläser mit Blechdeckeln versehen, die gefüllt waren mit leckeren Pfirsichspalten in einem wunderbaren Sirup.
Aha, so ist das hier also.... Die machen ihr Kompott noch selbst. Ich kannte das ja noch von früher von der Oma. Auch wir hatten einstmals die Früchte unseres Gartens eingeweckt.
Derzeit kaufen wir - wenn überhaupt - das geschmacklose Zeug im Supermarkt. Außer nach Zucker und Blech schmeckt es meistens nach nichts.
Und welches Kind mag heute noch Kompott, wo es doch im besagten Supermarkt die verführerischsten Dinge wie Eis in ’zig Varianten, Joghurt, Milchreis (alles Meyer oder was?) Süßigkeiten zu Bergen aufgetürmt, in allen Geschmacksrichtungen gibt. Giftig grüne und unnatürlich rote, undefinierbare Pasten, alles möglichst reich an Kalorien – ja sogar blaue Getränke in Flaschen wo schon der Verschluss alleine das Kind zum Kauf anregt. Hat doch nicht jeder...
Enorme Kaufkraft steckt in unseren Kids in dieser, vom Konsum gesteuerten Zeit. Das haben die meisten Hersteller schon längst begriffen.
Neueste Zielgruppe für Toilettenpapier sollen ja die Dreijährigen sein, habe ich mir sagen lassen. Dass es funktioniert, hat unsere Enkelin bereits explizit bewiesen.
Ich erinnerte mich plötzlich an meinen ersten Kaugummi:
Zwei Stück lagen in einem Brief von der entfernten Tante aus dem Westen. Für mich und für meine Schwester. Ob sie sich dabei nicht übernommen hatte?
Über eine Woche habe ich damals darauf herumgekaut. Stolz zeigte ich das graue Bröckchen immer wieder meinen Freunden. Es erregte echten Neid. Der eine oder andere wollte sogar ein Stück davon abhaben.
... Irgendwann hatte ich ihn verloren- oder versehentlich verschluckt. Damit verlor ich auch mein Prestigeobjekt und war wieder mit allen Anderen gleich gestellt.

Getränk

Mein junger Freund hatte sich inzwischen im Häuschen zu schaffen gemacht und erschien mit einer riesigen Schweppes-Flasche, gefüllt mit einer gelblichen Flüssigkeit. Diese stellte er mit einigen Gläsern auf den Tisch zum Salat.
Jetzt musste ich an meine Begleiterin denken. Was die wohl da am Auto mit all den fremden Kindern tat. Ängstlich ist sie ja nicht.... aber wer weiß?
Kaum zu Ende gedacht, erhob sich ein ziemlicher Lärm auf der Straße. Am Gartentor erschien das Blondschöpfchen meines Herzstücks. Um sie herum lärmten die anderen Kinder und hießen sie einzutreten. Völlig verdreht trat sie auf mich zu und begann sofort die üblichen Strafreden: „ Wie kannst Du nur... einfach alleine stehen lassen... so lange gewartet... man weiß nicht woran man ist... wäre ich doch im Hotel geblieben... und überhaupt - was ist jetzt mit Benzin?“

Ich konnte nur noch mit den Schultern zucken und meine Reue beteuern. Das hatte bisher stets ein noch größeres Donnerwetter abgewendet.
Einen Blick zu meinem kleinen Freund und zur Hausfrau nahmen diese gar nicht mehr war.
Zu sehr war die Frau damit beschäftigt mein Lockenköpfchen zu mustern und ihr wohl die größten Komplimente zu machen. Immer wieder auf den Tisch deutend, gab sie uns zu verstehen, dass wir erst mal zum Essen eingeladen sind, bevor etwas anderes in Angriff genommen werde. Südländische Gelassenheit?
Der Kleine hantierte inzwischen geschäftig in einer Art Verschlag hinter der Hütte und brachte allerlei Gerümpel zum Vorschein.
Endlich hob er triumphierend ein graues Etwas hoch und brüllte. „Eto ja tubata!“
Das Etwas entpuppte sich als eine Art Kanister. Ja, es war ein Blechkanister für 20 Liter Benzin.
Keine Tülle, wie wir sie kennen. Kein Verschluss - stattdessen ein großer Korken im Loch an der Oberseite.
„US-ARMY“ stand an der Seite, schwach zu erkennen, früher sicher mal weiße Schrift gewesen. Wie mag dieses Gefäß wohl hierher gekommen sein? Soweit es meine bescheidenen Geschichtskenntnisse hergeben, waren die Ami’s nie in diesem Land ... Beutegut?
Ah – sicher von den Russen in Deutschland erbeutet und auf dem Umweg über Sibirien, vielleicht auf dem Seeweg, hierher gekommen? Was mag dieser Behälter alles erzählen können – wenn er könnte!

Traktor

Inzwischen ratterte ein Gefährt vor die Gartenpforte, welches man mit Worten eigentlich nicht beschreiben kann. Jetzt ärgerte ich mich wieder, dass ich – wie üblich, den Fotoapparat vergessen hatte.
Ein Diesel tuckerte in gleichmäßigem Takt ähnlich einem alten Lanz-Bulldog. Es erschien im Ausschnitt des offenen Tores eine Ladefläche auf zwei kleinen Rädern. Dann noch immer Ladefläche und siehe da: Jetzt war der Fahrer zu erblicken. Auf einem Blechsitz, dieser freilich dem Hinterteil des Fahrzeugführers angepasst - sogar die Löcher für die Durchlüftung fehlten nicht - wippte ein junger Mann spielerisch auf dem Stück Federstahl, an welchem dieses sattelähnliche Ding befestigt war, hinter einem weißen Lenkrad, das erkennbar einem alten VW-Käfer entstammte. Unter dem luftigen Führerstand erkannte ich ein etwas größeres Rad, welches ganz offensichtlich vom weißen Volant direkt gelenkt werden konnte. Der Motor, ein ziemlich bulliges Exemplar, dampfte aus mehreren Öffnungen. Seitlich erkannte man ein Schwungrad von etwa 50-60cm Durchmesser. Das war gleichzeitig über einen flachen Riemen mit einem wuchtigen Dynamo verbunden auf dem frontal ein Lüfter vor dem Kühler drehte.
Der Fahrer zog an einigen Hebeln und der Diesel verstummte. Nicht ohne sich im letzten Moment noch einmal mit einem gewaltigen Puff zu beschweren, dass man ihm nun den Hahn abgedreht hatte. Flugs sprang der Mann vom Hochsitz.
Die Kinder hatten offenbar schon die Kunde vom Besuch überbracht und der Hausherr schritt gut gelaunt und mit ausgebreiteten Armen auf unseren Tisch zu:
„Sie deutsch? Herzlich willkommen. Sednete da pieme neshto!”

Die gelbe Flüssigkeit stellte sich als äußerst wohlschmeckender hausgemachter Pflaumenschnaps heraus, der obendrein noch mit einem Hauch Anis gewürzt war.
Schnell noch einige Gabeln an den verführerisch duftenden Teller gelegt...
Er goss sofort vom Schnaps in alle Gläser, bedeutete uns, vom Salat zu essen und erhob das Glas, prostete uns zu! „Willkommen!“
Die Gattin flüsterte ihm ins Ohr und gehorsam stand der Meister auf, um sich die Hände zu waschen. Etwas verschämt stand sie im Hintergrund, bewegte sich in der Küche des kleinen Häuschens und huschte immer wieder flink herbei um nachzusehen ob etwas fehle.
Meine Angetraute bedeutete der Hausfrau mit Gesten mehr als einmal, sich doch zu uns zu setzen. Die hob nur abwehrend die Hände und verschwand wieder in der improvisierten Küche.

„Tarator“ vermeldete der Hausherr, als sie eine große Schüssel mit einer weißen Tunke auf den Tisch stellte. Kleine Gurkenstückchen, Eiswürfel, Walnussstücke, gehackter Dill schwammen in der appetitlich duftenden Suppe. Ganz optimistisch grinsten einige Augen von Öl zu uns herauf.
Der Junge brachte eben noch irdene Schalen und einen riesigen Laib Brot, eingeschlagen in ein weißes Tuch mit roten Stickereien. Die Löffel holte er aus dem tiefen Hosensack.
Es traf ihn der strafende Blick seiner Mutter.

Was für eine Köstlichkeit war diese Suppe! Mit leichter Knoblauchnote, erfrischendem Dillgeschmack, knackig nussig, säuerlich, kühl, appetitanregend und sättigend zugleich.
Ich schmeckte Joghurt. Aber ein völlig anderer Joghurt war das...
„Ovche“ sagte Kolju – wir hatten uns inzwischen über unsere Namen verständigt- blökte wie ein Schaf und machte Melkbewegungen.
Ich hatte verstanden! Mein Herzblatt rümpfte die Nase ob der Knoblauchnote und als sie jetzt noch verstand, dass der Joghurt von Schafmilch stammte, hatte sie plötzlich keinen Appetit mehr.
Wenigstens das Schälchen löffelte sie noch leer. Tat sich aber gütlich am verführerisch duftenden Weißbrot welches wir in ein Fässchen mit würzigem braunen Salz stippten.
Das Brot war noch warm und der Laib erwies sich als gar nicht so riesig wie vorher gedacht.
Jetzt kam wieder eine Erinnerung an meine Oma, die uns Kindern früher beharrlich verbot, warmes Brot zu essen. Man bekäme davon Bauchweh, sagte sie immer. Heute glaube ich, dass es eine reine Sparmaßnahme war. Von warmem Brot kann man viel mehr verzehren als von einem alten, abgelagerten. Wir hatten in den Nachkriegsjahren immer einen achtbaren Wolfshunger. Die Lebensmittel waren knapp und um nicht rationieren zu müssen, konnte man uns auf diese Art vielleicht zügeln.

Nun wurde aufgetischt: Kaltes Hühnchen, Salami, charakteristisch flach geformt, Stückchen von Feta, Schnittkäse, Oliven so groß wie mein erstes Daumenglied und noch eine Platte mit Salat.
Es war ein improvisiertes Mahl, jedoch mit Sorgfalt und viel Liebe hergerichtet. Erfrischend und überhaupt nicht schwer in der Hitze. Wir saßen im Schatten des riesigen Nussbaumes am kleinen Tischchen und fühlten uns wie im Paradies. Erst jetzt fiel mir die Ruhe auf, die hier herrschte. Was sollen wir an diesem Strand, wo den ganzen Tag über Kinder lärmen, Betrunkene grölen, wo man ständig mit Sand von herumrennenden Jugendlichen bestäubt wird und wo schon tagsüber das Laster blüht.

Es wurde eine Riesenschüssel mit köstlichen Pfirsichen aufgetragen, eine Platte mit geschnittenen und entkernten Wassermelonenstückchen kam dazu... Ich wurde so müde vom anstrengenden Gespräch in radebrechendem Deutsch, der Landessprache und Gesten – vielen Gesten... und dem Essen... oder vom Schnaps?

Kolju erklärte mir, dass er jetzt los fahren wolle, um Benzin zu holen. Ich sprang auf, wollte mit ihm gehen. „Setz!“ befahl er nur. Ich gehorchte.
„Pescho aide!“ rief er als er mit einem uralten Moped hinter dem Häuschen hervorkam.
Grün, wohlgeformt von oben bis unten mit Schlamm bedeckt erkannte ich gerade noch einen goldenen Schriftzug am Tank: BALKAN - schickes Design auch das Logo.
Zwei drei Tritte auf den Kickstarter – noch einmal den Tupfer am Vergaser betätigt- mit dem vierten kräftigen Tritt sprang das Feuerstühlchen an und knatterte los wie ein Maschinengewehr, qualmte geraume Zeit wie ein alter, undichter Kanonenofen der mit nassem Holz bestückt wurde.
Der Kanister wurde mit einen Stück Gummiseil auf den Gepäckständer geschnallt. Pescho bekam eine Lederkappe aufgestülpt. Darunter sah er aus wie ein russischer Panzerkommandant seinerzeit beim siegreichen Vormarsch gen Westen.
Gerade konnte ich dem Jungen noch einen Fünfziger zustecken und ab ging die Fahrt mit Rauchfahne wie ein Düsenjet.

Müde

Die beiden Schönheiten hatten sich in der Küche offenbar viel zu erzählen. Ich ließ sie gewähren und streckte mich wohlig auf die Bank unterm Nussbaum.
Hier fühlte ich mich wie zu Hause. Eigenartig - ein fremdes Land und doch befinde ich mich hier besser als im eigenen.
Das alte Fachwerkhäuschen knarrte und knisterte bisweilen anheimelnd. Das Feuer unter dem Topf war schon lange erloschen – ich döste unter dem fernen Gemurmel aus der Küche hinüber ins Land der Träume...

Ein Samtpfötchen berührte mich: „Wo sind die Autoschlüssel?“
Ich hatte sie nicht.
Das konnte heiter werden: Fremdes Auto, fremdes Land, die Schlüssel weg. War das Auto eigentlich noch da?
Ich ging die Dorfstraße hinunter. Naomi stand noch am alten Platz. Einer der Jungen hatte sich wie ein Wächter postiert und behütete offenbar das gute Stück. Der Schlüssel steckte im Zündschloss.
Kolju eilte mit dem Kanister herbei, hantierte am Stöpsel. Wie wollte er den Inhalt in den Tank entleeren?
Hurtig hatte er aus einem mitgebrachten Stück Pappe einen Trichter gedreht, und schob diesen in den Tankstutzen.
Ein guter Teil kleckerte dennoch beim Umfüllen aus der eigenartigen Öffnung auf den Randstreifen der Straße. Dass jetzt bloß kein Umweltschützer kommt...
Es kam keiner. Wohl aber ein Nachbar, der die Sache offenbar schon lange verfolgt hatte und sich jetzt von Kolju über den Stand der Dinge informieren ließ. Verstehend wiegte er bei jedem Satz den Kopf hin und her.
Der Kleine von Kolju überreichte mir eben das Restgeld.
Ich nahm einen kleinen Schein und streckte ihn dem „Wächter“ hin. Der griff sofort zu und flitzte wie ein Wirbelwind davon, bedankte sich aber noch ganz kurz indem er die rechte Hand auf sein Herz legte und sich leicht verneigte.
Den Rest wollte ich dem Kleinen von Kolju geben. Der wehrte ab, hob die Hände, als ob es sich um etwas Verbotenes handele. „Ne, ne, ne!“
Ich war verlegen. Kaugummi oder Konfekt hatte ich keines. Auch sonst fiel mir nichts ein, was ich den Gastgebern oder zumindest dem Kind anbieten konnte. Die Kleinigkeiten für unsere Freunde hier lassen? Das war wieder einmal ein Moment, in welchem ich meine Sorglosigkeit verfluchte.
Ich lenkte Naomi bis zum Gartentor. Pescho fuhr stolz mit mir auf dem Beifahrersitz und strahlte seine Mutter an wie ein bunt geschecktes Honigkuchenpferd, als wir die Einfahrt erreichten.

Wieder auf der Straße

Der Abschied fiel irgendwie nicht leicht.
Wir hatten keine Möglichkeit uns materiell zu bedanken. Geld anzubieten wäre wohl höchstvoll peinlich gewesen. So zückte ich verlegen eine Visitenkarte und überreichte sie der Dame des Hauses, mit Worten wie: „Wenn Ihr mal in Deutschland seid... herzlich willkommen ... mal anrufen, wenn Ihr was braucht...“ wohl wissend, dass das sicher nie passieren würde. Woher sollten sie das Geld nehmen für einen Anruf nach Deutschland – geschweige noch für eine Reise dahin. Und wie sollten wir uns verstehen?

Mein Blondschopf und die schwarzhaarige Raijna lagen sich jetzt in den Armen und ich konnte verstohlen eine Träne wegwischen während wir Männer uns gegenseitig die Schultern klopften und jeder in seiner Sprache Glück und Wohlergehen wünschten.

Es war schon spät am Nachmittag, als uns die Straße wieder hatte.
Irgendwann konnten wir auch die Straßenkarte erwerben. Mit aktueller Karte, voll getankt und erwartungsvoll ging die Reise weiter. Alle Seitenscheiben waren herunter gekurbelt, warmer Fahrtwind streichelte uns und es war, als flögen wir mit den Lerchen über die abgeernteten Felder um die Wette.... welch ein Leben! Mein Schatz hatte offensichtlich alle Pein des Tages vergessen und trällerte ein Liedlein vor sich hin.
Weit in den abgeernteten Feldern sahen wir bisweilen Hütten stehen; aus Maisstroh gebaut. Zigeuner?
Auf dem Rücksitz fand sich eine Plastiktüte voll der herrlichen Pfirsiche aus Raijnas Garten. Wie hatte die es wohl geschafft, die Tüte dort zu deponieren?

Das Gebirge kam näher. Irgendwie bedrohlich türmten sich hohe Berge in der Ferne auf. Die Sonne stand schon ziemlich nah über den Gipfeln.
Dort mussten wir heute noch hin. Irgendwo in dieser Gegend lebten unsere Freunde von damals. Den Namen der Ortschaft hatte ich noch im Kopf. Auch die Namen der Beiden....

Autor:

Edgar Stötzer aus Bochum

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