Bühne frei für die Ruhrtriennale
Drei Jahre „Freude Schöner Götterfunken“ oder
Kultur-Trips durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft:
Das dritte und letzte Ruhrtriennale-Jahr unter Johan Simons startet genau um 16.30 Uhr am Freitag, 18. August vor der Jahrhunderthalle. Wie 2015 und 2016 im fantastisch-verrückten Kunstdorf „The Good, the Bad and the Ugly“ vom Atelier Van Lieshout: Mit seinen wilden immer weiterwuchernden, begehbaren Kunstwerken und Zukunfts-Behausungen.
Dort kann sich jeder während der gesamten Triennale-Zeit bis 1. Oktober kostenlos inspirieren lassen, Party machen, Lesungen, Talkshows, Zukunfts-Dispute genießen oder sich der Jugend-Republik „Teentalitarismus“ anschließen. Das Bistro im roten Refektorium ist das pochende Herz der Ruhrtriennale, hier kann sich jeder zentral über das wieder überbordende Programm im ganzen Revier informieren und sich auch mal ausruhen und stärken.
Die RT-Eröffnungsrede hält in der nahen Turbinen-Halle um 17.30 Uhr niemand Geringere als Literatur-Nobel-Preisträgerin Herta Müller (*1953. Bekannteste Werke: „Herztier“, „Atemschaukel“, „Vater telefoniert mit den Fliegen“).
Barbara Hannigan als Mélisande
Auch in diesem Jahr hat sich wieder hochkarätiges und internationales Publikum aus Gesellschaft, Industrie, Politik und Kultur auf dem „Hügel“ angesagt. Das sich meist auch schon Karten für die Eröffnung mit „Pelléas und Mélisande“ darauf um 19.30 Uhr gesichert hat. Die Musikalische Leitung hat Sylvain Cambreling, Regie führt Krzysztof Warlikowski, die „Mélisande“ singt und spielt die kanadische Star-Sopranistin Barbara Hannigan. Claude Debussys „Moderne Oper“ (die erste ihrer Art) gilt als musikgeschichtliches Zwischending - noch keine „moderne“ Musik, aber auch keine „romantische“ Oper mehr. Obwohl ihre Ausstattung gern in einem düsteren, abgelegenen Schloss des Mittelalters angesiedelt wird.
Bochums Jahrhunderthallen-Inszenierung spielt - naheliegenderweise riesig - in einer hochherrschaftlichen, holzgetäfelten Villa mit silberner Art-Deco-Bar. Als Blickfang über die volle Bühnenbreite wirkt die geschwungene schwarz-hölzerne Treppe, deren Aufgänge das Orchester links und rechts „umschlingen“. Ausnahme-Sängerin Barbara Hannigan sagt uns über „Pelléas und Mélisande“: „Eine Kombination aus Stille und Lautstärke, Licht und Schatten auch musikalisch: Meine Rolle der Mélisande ist mysteriös. Keine großen Arien – keiner der Sänger steht so im Vordergrund: Ein isolierter Familiensitz, die Charaktere sind alle irgendwie dort gestrandet. Viele schmerzliche Geheimnisse, die auch mit Tod zu tun haben. Eigentlich sage ich als Mélisande nicht mehr als „Ja“, „Nein“ oder „Ich weiß nicht“. Es ist meine vierte Arbeit mit Krystof Warlikowski. Er sucht immer Fragen – keine Antworten.“.
„Pelléas und Mélisande“, Jahrhunderhalle, 18./ 24./ 26./ 27./ 31. August und 1. und 3. September um 19.30 Uhr. Einführung 45 Min. vor Beginn. Karten: www.ruhr3.com/pel
„Das Publikum hat uns genau verstanden!“
Vor seiner letzten Speilzeit: Ruhrtriennale-Intendant Johan Simons im Gespräch
Drei Jahre „Seid umschlungen!“ war und ist das drei Jahre übergreifende Gesamt-Motto Ihrer Ruhrtriennale-Intendanz, bevor Sie als Intendant das Bochumer Schauspielhaus übernehmen. Und durch die Entdeckung neuer Triennale-Spielstätten, wie zB die Kohlenmischhallen von Dinslaken bis Marl ist das ja auch geografisch gelungen. Sind Ihre Arme im Revier eigentlich länger geworden?
Johan Simons: (lacht) Ja, Umschlingen ist ja ein mehrdeutiges Bild und kann auch was Erdrückendes an sich haben. Aber die vielen positiven und persönlichen Reaktionen auf unser Programm in den letzten beiden Jahren, sagen mir, dass unser Publikum uns genau richtig verstanden hat.
Haben Sie diese große Nähe zum Publikum eigentlich so erwartet?
Johan Simons: Ehrlich gesagt? Ja! Das kenne ich nicht anders. So haben wir angefangen: Schon 1985 mit meiner Truppe Hollandia sind wir aus den Städten zu den Menschen aufs Land gegangen. Ganz nah zum Publikum. Warum? Weil ich von mir selber weiß, wie schwer der Zugang zu Kultur sein kann. Und dass man Menschen einfacher erreichen kann, wenn man zu ihnen hingeht. Das liegt an meiner Herkunft. Ich stamme aus einem kleinem holländischen Bauerndorf und bin da sehr christlich erzogen worden. Ich kannte keine Musik - außer in der Kirche: Bach!
Nicht gerade das Schlechteste!
Johan Simons: Das war gewaltig. Und das gönne ich jedem! Als Kind habe ich das tief emotional erfasst. Je mehr man davon kennenlernt, desto mehr erschließt sich. Wenn man da einsteigt, öffnen sich neue Welten. Und man bekommt eine Ahnung von dem, was der Mensch an „Götterfunken“ in sich trägt.
FREUDE SCHÖNER GÖTTERFUNKEN – aber jetzt mit dickem schwarzen Pinselstrich drüber?
Johan Simons: Ja! Mein Start hier 2015 ist knapp drei Jahre her und es hat sich soviel auf der Welt verändert. Allein der Brexit! Weitere nationale und fremdenfeindliche Bewegungen in zahlreichen Ländern Europas. Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit, das große demokratische Erbe Europas, die drei sind nicht mehr selbstverständlich. Hoffnung soll man trotzdem haben. Wer bin ich, keine Hoffnung zu haben? Ich lebe frei. Die Kunst ist das große Mittel der Menschheit, Fragen anders zu stellen, Vorurteile anzupacken. Kunst ist immer ein Prozess, beim dem aber auch unerwartet etwas völlig Anderes heraus kommen kann.
In diesem dritten, letzten Triennale-Jahr inszenieren Sie COSMOPOLIS hier in der Jahrhunderthalle: Musiktheater-Uraufführung nach Don DeLillo´s Roman von 2003. Der, also lange vor der Finanzkrise erschienen, heute daher als prophetisch gilt. Was erwartet uns Zuschauer?
Johan Simons: Es ist eine Ikarus-Geschichte. Von Einem, der ganz hoch fliegt und abstürzt. Neureicher Typ, verheiratet mit einer Frau aus altem Geldadel, der mit ihrem und seinem Kapital komplett auf den Fall des Yen spekuliert. Der Yen fällt aber nicht, sondern steigt. Auf einen Schlag ist das komplette Kapital verloren. Und zum Schluss wird er auch noch von einem alten frustrierten Mitarbeiter erschossen. Alles an einem Tag. Es geht hier um Geld-Dimensionen, die sich kein normaler Mensch vorstellen kann. Ich auch nicht. Diesen besonderen Größenwahn gibt es ja sonst nur bei Kindern, für die noch alles möglich erscheint. Das ist wie auf dem Spielplatz. Deswegen ist unser Bühnenbild ein solcher Spielplatz. Aber es wird nicht kindisch auf der Szene. Sondern: Das ist mein Zugang als Regisseur, um auf diese Weise Etwas verständlicher zu machen.
Uraufführung: Cosmopolis nach Don DeLillo, Regie: Johan Simons, Music: Eric Sleichim (BL!NDMAN) mit Elsie de Brauw, Pierre Bokma, Mandela Wee Wee, Bert Luppes und BL!NDMAN in der Jahrhunderthalle Bochum am 22. / 23./ 28./ 30. September um 20 Uhr
Karten: www.ruhr3.com/cos
Ruhrtriennale 2017
Das große Festival der Künste bietet in diesem Jahr rund 135 Veranstaltungen bei 40 Produktionen, davon 28 Eigen- und Koproduktionen. 22 Uraufführungen, Neuinszenierungen, Deutschlandpremieren und Installationen. 14 verschiedenen Spielstätten in Bochum, Dinslaken, Dortmund. Duisburg, Essen, Gladbeck und Mülheim an der Ruhr. Mit mehr als 700 Künstlern und Künstlerinnen aus rund 30 Ländern. Die Fans von Elektronischem Pop dürfen sich auf „Ritournelle“ freuen: Die Festivalnacht in und vor der Jahrhunderthalle am 19.8.17 ab 18 Uhr u.a. mit Nicola Jaar, Sohn und Mykki Blanco. Karten und das komplette RT-Programm unter: www. ruhrtriennale.de.
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
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