Bozhentsi - Ein Dorf wie vor 150 Jahren

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Von Veliko Tarnovo kommend fährt man auf der Strecke nach Gabrovo in der Ortschaft Trjanovo links ab in Richtung Bozhentsi.
Die braunen Wegweiser bedeuten uns, dass es sich um eine touristische Sehenswürdigkeit handelt.

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Zwischen Legende, Überlieferung und Wahrheit

Aus meinem Zyklus "Bulgarische Anekdoten"

Viele Legenden und Überlieferungen hat das Volksgedächtnis der Bulgaren über die Jahrhunderte bewahrt. Das ungeschriebene Wort wurde von Mund zu Mund, von Generation zu Generation weitergesagt. Damit lebte die Erinnerung an vergangene Größe, an die Macht und den unbeugsamen Willen des Bulgaren, der seinen Glauben und seine Volkstümlichkeit in den schwierigen Zeiten Jahrhunderte währender fremder Herrschaft vertei-digte, weiter. Der Einmarsch der türkischen Eindringlinge auf der Balkanhalbinsel und ihre Niederlassung auf bulgarischem Boden trieb die Leute dazu, Zuflucht im Gebirge zu suchen.

Nach dem Sturz des Tarnovoer Reiches (1393) siedelte sich ein Teil der Bevölkerung nordöstlich des Balkangebirges an. “Der Gewaltakt über Tarnovo, dieser hartnäckigen Festung der Abwehr“ – schreibt Vera Mutaftschieva, „...war schrecklich.
Die Paläste des Zarevetz, sowie die Bojarenhäuser am Trapesitsa-Hügel wurden völlig zerstört. Dies genügte dem Eroberer aber nicht; er wollte das bulgarische Wort vernichten, jeden Bulgaren, dessen Name an den bulgarischen Staat und das Schrifttum erinnerte, umbringen...”
Der undurchdringliche Wildwald nahm die Flüchtlinge auf und wurde zu ihrem zweiten Zuhause. Der Boden dort war unfruchtbar, aber die Einöde lag weit weg von den Hauptstraßen, entfernt vom Jatagan (Krummsäbel) des Eroberers. Es ließ sich zuerst eine Familie nieder, danach kamen Söhne, Enkel und die Verwandten gesellten sich später auch dazu. Sie haben ihre Häuser nacheinander gebaut – es entstand das erste, dann das zweite, das dritte Haus... Dies waren die sogenannten Hüttensiedlungen im Balkangebirge und jede Siedlung trug den Namen des ersten Ansiedlers.
So entstand eines Tages auch Bozhenci. Zwischen Erinnerung, Legende und der Überlieferung steckt bestimmt ein kleines Stück Wahrheit über die Entstehung des Dorfes...

Die Begründerin

Der Volksmund erzählt, dass nach dem Sturz von Tarnovo die Bojarin Bozhana, welche aus der Assenschen Familie stammte, zusammen mit ihren Familienangehörigen und ihrem Bruder Trapesko (in der Nähe von Bozhenci liegt das Dorf Trapeskovci) im Gebirge einen ruhi-gen Ort zum Niederlassen fand. Dies war zuerst östlich vom heutigen Dorf, in der Gegend Varschinata. Tagsüber, nachdem das Vieh auf Weide getrieben wurde, verschwand es irgendwo und erst abends kam es zurück. Man hatte es verfolgt und eine Karstquelle entdeckt – den Anfang eines Flüsschens, welches auch heute noch den Namen Bozhanka trägt. Hier machte man sich dann ansässig.
Wenig ertragreich war der Boden, aber das Gebirge bot Schutz, die dichten Wälder lieferten Baumaterial für die Häuser, Brennholz für die kalten Wintertage. Mit dem Wasser stillte man seinen Durst, konnte den kleinen Garten bewässern, das hausgewebte Linnen waschen und bleichen. Auch heute wird der Bewohner von Bozhenci charakteristisch als „Bozhankalija“ (von Bozhanka) und nicht „Bozhenkalia“ (wie Bojenci) bezeichnet. Ljubomir Miletitch, der die Hüttensiedlungen an den nördlichen Hängen des Mittelgebirges oberhalb von Gabrovo erforschte, bewies die Abstammung der Bevölkerung von der Hauptstadt des zweiten bulgarischen Reiches – Tarnovo, wobei er die Gründe dafür nannte: Die Leute haben nie Ackerbau und Viehhaltung getrieben. Verschiedene gewerbliche Tätigkeiten wurden ausgeübt, und als der Markt eng wurde und es notwendig war, die Ware ins Flachland zu bringen, entstand das Karawanentum, (Kardzhijstvo). Eine Beschäftigung für Leute - das waren die Bojaren, die dem Zarenhof angehörten - mit expansivem Charakter, selbstbewusst, an ihre eigenen Kräfte glaubend.

Unabhängig von den Türken

In jenen Jahren bedurfte es sehr viel Tapferkeit, da Kardzhalii (entlaufene türkische Soldaten, die sich zu Räuberhorden vereinigten) und Daalii (Diebesbanden) auf den Wegen ihr Unwesen trieben. Man musste sein Zuhause und die Familie verlassen, durchs Land reisen und Waren feilbieten. In den Jahren der osmanischen Herrschaft hatten die Bewohner von Gabrovo sowie ein Teil der Bewohner der nahegelegenen Hütten einen besonderen Status genossen: Sie wurden als Derwendzhii (Hüter des Passes über das Balkangebirge) bezeichnet. Dies gab ihnen das Recht, ein Gewehr zu tragen und war auch ein Grund für ihr großes Selbstbewusstsein und die Sicherheit auf den Wegen innerhalb des Türkischen Reichs. In diesen sogenannten Soldatensiedlungen kam kein Türke zur Welt, keiner machte sich da ansässig, keine Moschee wurde gebaut. Man wusste, „wenn ein Türke Bozhenci durchquerte, stieg er vom Pferd ab, hielt den Lauf seines Gewehrs nach unten und durfte im Dorf nicht übernachten”. Einen Grund zu der Annahme von Miletitch, dass die Ansiedler der Gabrovo-Hütten aus Tarnovo stammen, bot auch der prächtige Kopfschmuck der Frauen, der sogenannte Sokaij und die roten Frauenstiefel, genannt “Brautstiefel”, welche die jungen Bräute in Bozhenci in den fünfziger und sechziger Jahren des ХІХ. Jahrhunderts trugen. Dr. Petar Zontschev führt in seiner Monografieuntersuchung über Gabrovo als Beweis für die Flucht der Bevölkerung aus der alten Hauptstadt Tarnovo nach Bozhenci die höhere Kultur seiner Bewohner auf.
Das verdankte man nicht nur den Beziehungen, die sie als Karawanenreisende und Händler mit der Außenwelt pflegten, sondern auch “einer größeren Unternehmungslust und angeborener Intelligenz”, welche sich in ihrer Lebensweise, den schönen Häusern und der Behaglichkeit ihrer Wohnungen deutlich niedergeschlagen hat.

Autor:

Edgar Stötzer aus Bochum

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