Anselm Weber: „Bochum hat einfach das schönste Theater!“
Abschieds-Gespräch mit Schauspielhaus-Intendant Anselm Weber, künftig Frankfurt:
„Bochum – ich komm aus Dir !“ kann nun auch Anselm Weber sagen. Und er sagt es mit Herzblut. Wir treffen ihn im berühmten Bochumer Intendanz-Büro, da haben schon einige gesessen, von Schalla über Zadek bis Peymann. Weber gehört zu den Erfolgreichsten, die hier wirkten. (Wenn man Kreativität überhaupt in Zahlen und Zuschauern messen kann. Oder will). Und er darf nun in einem Atemzug mit den Vorgängern genannt werden. Das weiche Sonnenlicht zum Spielzeit-Ende taucht den Raum in warmes Gold. Und eigentlich mag jetzt keiner von Abschied reden.
Sieben turbulente Jahre liegen hinter Anselm Weber:
Ihm ist noch lebhaft in Erinnerung, wie er zum Einstand 2010 von Besuchern gefragt wurde: „Wo kommst Du denn her?“ Auf die Antwort „Essen“ (wo sie ihn nach fünf erfolgreichen Jahren ungern ziehen ließen) dann die selbstbewusste Bochumer Feststellung: „Na, dann bisse ja jetzt im Revier angekommen!“.
Weber lächelt, denn er hat den Satz erst allmählich in seiner ganzen Dimension verstanden. Überhaupt hat er hier viel gelernt: Seit der Wattenscheider Einverleibung ist Essen zwar Nachbarstadt, gehört aber immer noch zum Rheinland. „Die Westfalen hier fallen einem nicht gleich um den Hals. Aber wenn sie Dich mal ins Herz geschlossen haben, dann für immer.“ Sagt der bekennende Bayer am Tana-Schanzara-Platz.
Bochums Herzschlag setzte in diesen Jahren auch einmal aus – als Opel die Werks-Tore endgültig schloss. Webers Schauspiel organisierte damals Solidaritäts-Aktionen, setzte den szenischen Liederabend „Bochum“ auf den Spielplan. Und die Bochumer hatten von da an ein neues Kultstück, das inzwischen auch von Nicht-Theatergängern heiß geliebt wird. Wunden lecken und gemeinsam wieder aufstehen. Das hat Weber hier mehrfach eindrucksvoll erlebt. Und auch durchlitten.
„Wir kamen als Team mit großer Energie nach Bochum, die erste Spielzeit war eher eine Art Festival. Internationale Künstler trafen auf eine weltoffene Stadt.“ Samt guter Auslastung und Publikumsgunst. Dann völlig unvorbereitet der Hammer: zwei Millionen Euro Defizit -geerbt! „Und die Stadt war nicht in der Lage, die verpflichtet geltenden Tariferhöhungen am Theater mitzutragen. Das war wirklich ein Schlag ins Kontor. Das können Sie ruhig schreiben.“
"Chef sein" lernen
Weber lernte hier, wie er es ausdrückt, „Chef zu sein“. Entscheidungen zu treffen. Auch schmerzliche. Das Theater ist eben auch ein Betrieb mit rund 300 Mitarbeitern. Die auch einen Chef haben wollen. Es war finanziell haarscharf. Und manchmal konnte er deswegen nachts nicht schlafen. Bilanzen lesen - es stand alles auf dem Prüfstand. Alles: Vom Kopierpapier bis zur Dienstreise. Stellen konnten nicht neu besetzt werden. Sparzwang auf allen Ebenen. Dass es trotzdem gelang, Spielplan und Ensemble auf hohem Niveau zu halten und nun sogar das berühmte Haus an der Königsallee mit sattem 1,4 Millionen Euro Überschuss weiterzugeben - darauf können Anselm Weber und sein Team stolz sein.
Zur aktuellen Diskussion über neue familien-freundlichere Arbeitszeitmodelle und Tarife auch am Theater sagt Weber: „Eigentlich praktizieren wir hier das schon so, wie die Organisation Ensemble-Netzwerk das möchte. Keiner will hier Prekariats-Diskussionen. Natürlich geht es immer auch darum, wieviel ein Theater seiner Stadt wert ist. Aber genauso muss sich auch das Theater immer wieder neu hinterfragen. Und gut aufstellen und gut wirtschaften, neues Publikum erschließen und gute Einnahmen erzielen. Muss sich mit dem Publikum eng verbinden. Und klar, ein Theater steht und fällt mit seinen Schauspielern.“.
Und die Bezahlung, gemessen am Arbeitszeitaufwand?
„Irgendwann ist es auch gut mit: ,Nur die Harten kommen in`n Garten.´ Heute haben schon Praktikanten eine genaue Vorstellung von Work-Balance. Das wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Unsere Chefs waren zwar oft inhaltlich 68er auf der Bühne, aber in der Arbeit selbst gab es nur die Kunst. 16-Stunden-Tage waren keine Ausnahme.“
Und das sogenannte Regietheater? „Ich finde es nicht hilfreich, wenn Regisseure, nur weil ihnen nichts einfällt, 12 Stunden mit ihrem Ensemble dauerproben, bis ihnen Ideen kommen. Mein Chefdramaturg und Nachfolger Olaf Kröck will jetzt sogar die Samstagvormittags-Probe abschaffen. Damit auch Schauspieler mal mit ihren Kindern frühstücken können.“ Bloß kein Missverständnis: „Die Samstagabend-Vorstellung wird aber natürlich gespielt!“.
Nach seiner letzten Bochumer Premiere, Arthur Millers „Alle meine Söhne“, wirkte Anselm Weber auf der Bühne fast erschrocken über den langen und herzlichen Applaus. Der emotional sonst eher zurückhaltende Regisseur und Intendant versteckte aber seine Rührung nicht. Die Bochumer verabschiedeten ihn stehend. Und Weber klatschte irgendwann einfach aus vollem Herzen dankend zurück. Wortlos hieß das: „Ihr wart uns und mir ein tolles Publikum die sieben Jahre hindurch.“.
Zum Abschiedsfoto gehen wir zu seinem Lieblingsplatz im Schauspielhaus – oben im Rang mit Blick in die fast monumentale Eingangshalle. Dort hängen auch die herrlichen Fünfziger- Jahre-Kronleuchter: „Bochum hat einfach das schönste Theater“. Und das sagt der Sohn eines Architekten aus tiefer Überzeugung. Eine seiner ersten Amtshandlungen war übrigens das Theater innen neu zu streichen und den wunderbaren „Fuffi-Charme“ wieder zum Strahlen zu bringen. Nicht nur das ist ihm gelungen.
In Frankfurt wartet schon die nächste Spielzeiteröffnung auf ihn und - eine längerfristige Sanierung des Schauspielhauses. „Tja, nur die Harten kommen in´n Garten!“ Also doch ?! Im Dezember dann am Main Übernahme-Premiere mit dem Bochumer Abschieds-Stück – alle darin mitspielenden Schauspieler wechseln mit dem Chef ins dortige Engagement. Toi, Toi, Toi für die Main-Metropole, Anselm Weber. Und danke. Auch für die Opel-Solidarität. Wie gesagt: „Gut angekommen.“ (cd)
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
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