Musikszene Bochum
Als „BALLA BALLA“ die No. 1 in Bochum war – Einige Gedanken zur Beat- und Schlagermusik von 1965
Für alle diejenigen, die Ende der 1940er oder in den 1950er Jahre geboren wurden, ist die Musik der 1960er Jahre prägend und bleibend in Erinnerung. Wir hatten den Rock’n’Roll aus Amerika verpasst, aber ab 1963 wurde in England ein neuer Sound geboren. Zuerst nannte er sich Merseybeat und dann nur noch Beat.
In den Schulen wurde gestritten, wer ist besser, die Beatles oder die Stones? Unsere Eltern fanden alles schrecklich. Daneben entstanden noch viele weitere Musikrichtungen, oft angelehnt an den Jazz oder Blues. In den USA dominierte anfangs eine eher Pop-orientierte Englische Band, die Herman’s Hermit.
Ich habe in der Schülerzeitung TANGENTE der HvK in Gerthe von 1965 einige Schülerartikel gefunden, die mich zu diesem Beitrag inspiriert haben.
Talkin‘ about my Generation:
Einige, zuweilen satirische, Gedanken über den Beat
von Norbert Otte
Das manchmal undefinierbare Gebrüll, das gleichbleibende Gitarrengedröhn und die monotonen Schlagzeug-Rhythmen lassen nun schon viele zur Watte und zum Ohrenschützer greifen.
Aber die Beatmusik ist nun einmal da, ist nicht mehr mit einer Handbewegung abzutun oder zu ignorieren.
Wir müssen sie hinnehmen und uns mit ihr auseinandersetzen.
Die Beatmusik ist bisher unbestreitbar einmalig in ihrer Art und Wirkung.
Es ist schwer, sie mit anderer Musik zu vergleichen, es sei denn, mit sich selbst, mit den unterschiedlichen Strömungen oder Interpreten.
Sie ist aber weder Schlagermusik im herkömmlichen Sinne noch Jazz oder jazzverwandt, obwohl letzteres gerade heute oft behauptet wird.
Leider hat heute auch schon der Blues für einige ideenlose Bands herhalten müssen.
Dennoch ist es ein weiter Weg und erfordert eine Menge Können (was das Gros der Beatmusiker nicht besitzt) um aus einem aufgezeichneten Blues Jazz zu machen.
Aber was macht nun das Wesen dieser Musik aus?
Wie ist es möglich, dass sie viele junge Leute aus dem berühmten Häuschen geraten lässt?
Der "Gesang" und die virtuose "Gitarrenkunst" ist es sicher nicht, folglich ist es der Rhythmus, der,
das muss jeder zugeben, objektiv und musikwissenschaftlich gesehen, primitiv ist.
Ein Freund, der diese Musik durchaus schön findet, formulierte diesen Hang zum Primitiven, dieses Phänomen des Aus-dem-Häuschen-Geratens, etwa so:
„Je primitiver und einprägsamer die Rhythmik und je langatmiger das Stück ist,
umso besser ist die Musik, und umso begeisterter sind die Zuhörer.“
Gut getroffen, glaube ich. Abgesehen von der Show, die wohl bei manchen Bands dazugehören muss, liegt darin der Grund für die große Wirkung beim Publikum.
Aber, und nun freut Euch, Ihr Beatgegner, mit eben dieser Rhythmik und der daraus resultierenden Wirkung gräbt sich der Beat sein eigenes Grab.
Lasst Euch die langen Haare deshalb nicht grau werden, edle Lautenschläger und Kalbfellrührer, Ihr tragt noch die geringste Schuld daran.
Es ist vielmehr das Heer Eurer begeistert undisziplinierten Fans, die sich anscheinend durch Eure Musik immer animiert fühlen, mit Stühlen und anderen Sitzmöbeln den Takt mitzuschlagen, manchmal sogar auf den Hinterköpfen der Vordermänner.
So trommeln sie dann fröhlich mit zertrümmertem Mobiliar dem Beat das große "Requiem".
Fleißig trommeln auch die vielen Möchte-gern-Beatles mit,
die nur nach "Gehör" spielen, noch nie Noten gesehen haben,
sich z.B. ein Schlagzeug kaufen, ein paar Tage, wenn es hoch kommt, ein paar Wochen,
selbiges traktieren und sich dann als großartige Schlagzeuger fühlen,
wobei sie zunächst vergessen, dass Können nicht gleich Lautstärke ist.
Zum Trost sei diesen gesagt, dass viele ihrer Vorbilder es auch nicht besser wissen und können.
Es ist leider so, dass sowohl Eure Vorbilder, als auch Ihr glaubt, die Güte der Beatmusik sei an der Phonzahl, an zertrümmerten Trommelfellen und -stöcken, gesprungenen Saiten und
an eventuellen demolierten Einrichtungsgegenständen abzulesen.
Es scheint für manchen Beatrecken ein stolzer Erfolg zu sein,
wenn durch seine "Fans" eine Halle unbrauchbar geschlagen wird.
Wahrlich, ich sage Euch, wir haben noch genug Holz im deutschen Wald, um unsere Öfen mit Kleinholz zu versorgen.
Nun ist die Beatwelle, wie alle anderen Wellen vor ihr auch, nur von kurzer Dauer.
Die Tage der Beatmusikwelle sind gezählt, denn schon rollt die Folkmusik auf uns zu.
Was man von ihr erhoffen könnte, wären kürzere Haare, Notenkenntnisse und ein diszipliniertes Publikum.
Schlager - notiert - kommentiert – kritisiert
von STIFELIUS
Den Schlagerexperten werde ich an dieser Stelle wohl kaum etwas Neues berichten; ihnen wird vielleicht schon bekannt sein, dass den englischen Beat-Bands „Stones, Beatles, Clarks, Hermits usw.“, vom „Großen Teich“ her die Gefahr droht, ihre Alleinherrschaft in den Hitparaden zu verlieren.
Es hat sich nämlich "drüben" eine neue Art von Beat entwickelt, der Folk-Beat:
vertreten von Sonny&Cher, die zurzeit mit 3 Erfolgsnummern ihre Kollegen geradezu "überbeaten": "I got you Babe", "Baby don‘t go" und "Laugh at me".
Die Beach Boys – mit California Girls"
- und die Byrds mit ihrem "Mr. Tamburine Man" und "All I really want to you" gehen den gleichen Weg.
Die Supremes entwickelten dagegen den Detroit - Sound; damit landen sie Hit auf Hit,
wie mit "I hear a symphony".
Schließlich sei noch auf Sam the Sham & the Pharaohs verwiesen. Sein Schreien ist schon fast legendär. Mit "Ju Ju Hand" und "Ring Dang Doo" wird er jedoch wenigstens seinem Ruf gerecht.
Um auf diese Weise ebenfalls die Gunst der Schlagerfreunde zu erringen, wählten die Governors mit "Jack the Ripper" und "Yookomo" eine ähnliche Richtung.
Ich kann jedoch zwei Gruppen nicht unerwähnt lassen: Die Beatles und Stones.
Erstere wagten wohl ein Experiment, als Paul McCartney als Solist mit einem Streichquartett ein Lied ohne harten Rhythmus. aufnahm: "Yesterday“.
Die Aufnahme war sofort Nr. 1 in den USA.
Mir persönlich ist das jedoch nicht ganz klar ?! Jedoch - was soll's ?
Die Stones gehen indessen mit "Get off of my cloud" unbeirrt ihren bisherigen Weg weiter.
Die markanteste Erscheinung auf dem Plattenmarkt ist für mich " Still I'm sad " von den Yardbirds.
Sie könnten auf dieser Platte zweifellos mit einem Kirchenchor verwechselt werden.
Last -but not least- bricht Drafi Deutscher nicht nur Mädchenherzen, sondern auch noch "Marmor, Stein, und Eisen".
Zum Abschluss meiner Betrachtung möchte ich folgendes berichten:
Anfang November wurde während der Sendung "Die großen Acht" von Radio Luxemburg auch bei einer Bochumer Plattenfirma nach den bestverkauften acht Platten gefragt.
Das Fräulein am Telefon zu Camillo:
Nr.1 bei uns in Bochum ist "Balla Balla" von den Rainbows.
Ob in Bochum die jungen Leute etwa "B.. ." sind?
Aber ein Schelm, der Arges dabei denkt
Mir war gar nicht bewusst, dass es auch Jugendliche in meinem Alter gab, denen unsere Musik nicht gefiel. Vielleicht sind die Gymnasiasten damals anders unterrichtet worden. Ich war auf einer Realschule, dort waren wir anscheinend näher am wahren Leben und sind auch so ausgebildet worden und Disharmonien gehörten auch dazu.
Von meinen monatlichen 10 DM Taschengeld kaufte ich mir eine Single für 4,95 DM, zweimal VFL für jeweils 1,50 DM, der Rest war zum Verprassen. Zum Glück konnte ich bei Nachbarn aushelfen und die Omas gaben mir auch etwas.
Bei Köster-Cassing oder Radio Schäfers in Gerthe gab es auch schon mal etwas Reduziertes zu kaufen. Die Preise für Schallplatten waren festgeschrieben und eine Langspielplatte kostete erst 19 dann 21 DM.
Meine erste LP bekam ich zu Weihnachten 1965 „The Rolling Stones“.
Als ich am 1. April 1966 mit der Straßenbahn zu meinem ersten Tag als Lehrling bei den Krupp Hüttenwerken unterwegs war, hatte ich ein Lied im Kopf:
„Wild Thing“ von den Troggs, „I think I love you“.
Und so bunt ging es mit meinen musikalischen Abenteuern noch einige Jahre weiter.
Und dann, am Ende meines Berufslebens, viele Jahre später, schickte ich noch einen Abschiedsgruß an meine zahlreiche, mittlerweile auch internationale, Kolleginnen und Kollegen:
„The Last Time“. Diese Stones Single hatte ich einst auf der Kirmes an der Castroper Straße gewonnen.
Somit hat mein Berufsleben anscheinend nur zwischen zwei Songs stattgefunden. Ganz schön kurz?
Jetzt, viele Jahrzehnte später, benutze ich noch immer Schallplatten, aber auch die modernen Medien. Die Musikbranche ist explodiert, viele neue Musikrichtungen sind entstanden. Aber am liebsten höre ich die Musik, die mir aus den 60er und 70er Jahren geläufig sind, alle Arten von Rock, Folk, Jazz und Blues.
Ulli Engelbrecht, ein bekannter Bochumer Musikautor, der seine musikalischen Erlebnisse wunderbar in kleine Geschichten gepackt und in mehreren Büchern veröffentlich hat, beschreibt im folgenden Artikel, wie es damals war, als ein Musikstück noch ein Wertgegenstand war.
Die neue Platte wurde täglich gehört, bis vielleicht in einem Monat eine neuere sie ablöste.
Sind nur kleine Planeten - Ein musikalischer Gedankengang
Von Ulli Engelbrecht
Aus den Rockstorys "Klingende Wunder"
...und plötzlich merkst du, dass du älter geworden bist...
...weil du dir dein Lebenselixier versagst.
Hast zwar immer gedacht, Rockmusik ist das, was dir täglich Kraft gibt.
Doch du lernst keine Texte mehr auswendig, du schaltest das Radio nicht mehr ein,
bist nicht mehr auf der stundenlangen Suche nach Sendern, die Live-Mitschnitte, Porträts oder Hintergrundberichte präsentieren.
Und deine Rock-Scheiben, über die Jahrzehnte liebevoll gesammelt und zigmal gehört,
jede einzelne verbindest du mit einer persönlichen Geschichte, jedes Stück mit einer Begebenheit,
all diese Schallplatten bleiben unberührt, werden nur noch im Vorbeigehen angeschaut und abgestaubt wie Antiquitäten.
...und plötzlich merkst du, dass du älter geworden bist..
...weil die Kinder deiner Freunde, deiner Familie jetzt in dem Alter sind, indem du einst die Musik für dich entdecktest.
Und die Kids wippen mit coolen Gesten gelangweilt durch die Wohnung, finden deine Musik sowas von steinzeitig und nicht mal mehr oldschoolmäßig interessant. Im Schnelldurchgang hören sie hastig die angesagten Tracks, nuckeln dabei an ihrem Energy-Drink herum, fläzen sich aufs Sofa, nehmen den Laptop, drehen den Player leiser und zappen sich durch die Musikportale. Verharren nie länger als zwei, drei Minuten, machen dann aus und kramen den iPod heraus, lassen die CD im Player einfach weiterlaufen, gehen aus dem Raum.
...und plötzlich merkst du, dass du älter geworden bist...
...weil du dich daran erinnerst, als du damals, so mit 15 oder 16, dir eine Schallplatte gekauft hattest.
Und wie sorgsam du damit umgegangen bist, und dass eine neue Schallplatte hören jedes Mal damit zu tun hatte, dass du für die nächste Stunde nicht gestört und nur für dich sein wolltest.
Wie du sie dir erstmal beguckt und gedreht und daran geschnuppert und
du dir die Besetzungsliste eingeprägt und die Titel und Texte durchgelesen hattest.
Die Musik erklang zunächst nur in deinem Kopf. Erst dann legtest du die Schallplatte auf:
Mit ruhiger Hand und viel Liebe Und du hast dich dann lange, lange durch die Titel gehört.
...und plötzlich merkst du, dass du jung geblieben bist...
...weil du nun Musik hörst, die früher nie bei dir auf den Plattenteller gelandet wäre.
Frank Sinatra beispielsweise, Billie Holliday, Maria Callas, Symphonien von Sergej Prokofieff oder Dimitri Schostakowitsch oder Modest Mussorgski. Du wiegst dich in elegischen Spannungsbögen, lässt dich von zurückhaltenden Swing-Rhythmen in Stimmung bringen und amüsierst dich über leichtfertige Melodieabstürze. Und du freust dich, weil du gelernt hast, zu hören. Konzentrierter. Exakter. Intensiver.
Und du hörst Dinge, die unter und hinter den Noten lauern, zwischen den Takten versteckt sind. Und du stellst fest, dass Musik mehr ist als nur ein rebellischer Text, ein gänsehautmachendes Riff, ein spannungsgeladener Akkord.
Weil The Chemical Brothers, David Coverdale, Carl Orff, Rihanna, Carlos Santana, Queen,
Friedrich Smetana, Radiohead, Ralph Towner, Johann Sebastian Bach oder Amy Winehouse oder Bon Jovi oder Brian Adams oder John McLaughlin oder Metallica nur kleine Planeten in einem unendlichen Musik-Universum sind, das sich dir erst jetzt langsam erschließt und das du erst jetzt langsam begreifst.
Im Gegensatz zu Ulli habe ich trotz einiger Versuche es nie geschafft, auch Klassische Musik mit Genuss zu hören. Für mich benötigten die vielen Arten der Jazzmusik schon die volle Aufmerksamkeit.
Mehr von Ulli zu hören und zu sehen gibt es bald in Kooperation mit dem Seniorenbüro Bochum-Nord im Kulturrat in Gerthe: Am 11. August 2023, 20:00
Kommt einfach vorbei, ohne Anmeldung und KOSTENFREI!
Einlass ist 30 Min. vor Veranstaltungsbeginn.
Autor:Klaus Gesk aus Bochum |
3 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.