Welttag
26. Februar 2024 - Heute ist "Erzähle-ein-Märchen-Tag"
🧅Charlotte, das Zwiebelchen🧅
Es war einmal eine kleine Zwiebel namens Charlotte. Mit ihren Eltern, Geschwistern und der Verwandtschaft teilten sie sich die Zwiebelkiste im Keller einer recht betuchten Familie. Als überaus interessiertes Zwiebelkind galt es für Charlotte, regelmäßig die Kellerräume zu durchforschen. Wenn Mama und Papa sich besonders hübsch herausgepellt hatten, um sich beispielsweise bei einer Lagerapfel-Party im Weinkeller zu amüsieren, kullerte „Lotte“, wie Papa sie manchmal auch nannte, zum Vorratskeller. Natürlich erst nachdem die Eltern aus der Sichtweite waren. Papa roch es nämlich nicht so gern, wenn sie überall ihren Duft verströmte und machte sich immer große Sorgen. Es könnte ja mal vorkommen, dass jemand aus der vornehmen Familie des Abends noch Bratkartoffeln mit Zwiebeln essen wollte und versehentlich dabei nach Charlotte griff.
Wie Kinder nun mal sind, wissbegierig und voller Abenteuerlust, rollte die Kleine leise durch sämtliche Kellerräume und machte vor dem Vorratskeller halt. So viele schöne bunte Einmachgläser hatte sie noch nie gesehen, was da wohl drin war? Lotte versuchte am Sauerkrautfass hochzuklettern und wäre um Himmelswillen....... beinahe fast hineingefallen. Also, den säuerlichen Geruch mochte sie nun gar nicht, aber irgendwie kam er ihr bekannt vor. Ja, da fiel es ihr wieder ein. Ihr Onkel, eigentlich eine Salatzwiebel, musste sich gleich nach Weihnachten für einen Sauerkrauteintopf nackig machen. Neugierig ließ Lotte ihren mit Tränen leicht verklärten Blick übers voll gepackte Regal schweifen und traute ihren Augen kaum. Viele kleine Artgenossen hockten dicht aneinandergepresst in einem Glas fest unter Verschluss. Eine Kakerlake, welche sich vorwitzig aus einem Reissack traute, klärte sie darüber auf, dass sie noch nicht so lange in Gefangenschaft wären und unreif für ein Festmahl sind. Nun aber mal langsam, was heißt hier überhaupt Gefangenschaft und Festmahl, wollte Charlotte wissen. Die vollgefressene Kakerlake zeigte nur wenig Verständnis für derart komische Fragen und unterstellte der Kleinen Schalenfreude, außerdem nur Stunk verbreiten zu wollen. Beleidigt zog sie ab, quer über die Kartoffelkäferstraße in Richtung Kartoffelkeller. Hoffentlich fällt ihr eine dicke Pellkartoffel auf die Rübe, dachte das Zwiebelkind bei sich und schickte noch eine Extra- Dunstwolke hinterher.
Asseln sind ja da ganz anders. Freundlich bot „Selma“, die fetteste aber auch netteste ihrer Gattung, Hilfe an. Anschauungsunterricht war schon immer ihre Stärke und der hübschesten aller kleinen Zwiebeln die sie je gesehen hatte, eine Unterrichtsstunde wert. Liebenswürdig führte Sie Charlotte durch das Labyrinth von Einweckgläsern, wobei sie sich mit gefälligen Erklärungen nicht zurückhielt. Von Rote Beete über Erbsen mit Möhren, Stangenbohnen und Saure Gurken wusste sie zu berichten und natürlich wie sie dort hineingekommen waren. Selma kannte sogar jeden einzelnen Lebenslauf, vom Keimling bis zur Vollendung. So einer schlauen Assel war Lotte noch nie über die Füße gekullert. Als Selma begann übereifrig von Silberzwiebeln in süß-saurer Lake zu babbeln, hielt sich Charlottes Begeisterung für ihr Wissen in Grenzen. Speiübel wurde es ihr sogar bei dem Gedanken. eingequetscht unter ihren Leidensgenossen zu versauern. In Windeseile machte sie sich aus dem Kellerstaub, rollte in einem Zug an sämtliche Kellertüren vorbei, um direkt vor ihrer gewohnten Umgebung unter Vollbremsung zu stoppen. Mit einem Schwung hüpfte sie in die wohnliche Nobel-Zwiebel-Kiste, kuschelte sich fest an die zarte Schale Ihrer bereits schlummernden Cousine und träumte davon, als Blumenzwiebel im Gartenbeet heranwachsen zu dürfen.
(c) Hildegard Grygierek
Autor:Hildegard Grygierek aus Bochum |
7 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.