Auf dem Kirmesplatz soll ein Flüchtlingsdorf entstehen

Auf dem Kirmesplatz soll ein Flüchtlingsdorf für bis zu 600 Menschen entstehen. | Foto: PR-Foto Köhring/AK
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Seit Monaten bereitet sich die Stadt Mülheim darauf vor, eine steigende Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen. Schon im Frühjahr prognostizierte Sozialdezernent Ulrich Ernst, dass man es nicht mehr schaffen werde, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen, sondern Containerdörfer benötigen werde.

Doch all diese Prognosen sind Makkulatur, denn seitdem ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, dramatisch gestiegen. Jetzt greift die Stadt zum letzten Mittel: Auf dem Kirmesplatz in Saarn soll bis Oktober ein Flüchtlingsdorf für bis zu 600 Menschen entstehen. In der kommenden Woche soll der Hauptausschuss dazu den politischen Beschluss fassen.
„Wir werden im zweiten Halbjahr noch einmal 1200 Menschen zusätzlich unterbringen müssen“, betont Sozialdezernent Ernst. Thomas Konietzka, stellvertretender Sozialamtsleiter, ergänzt: „Auf dem Platz ist die komplette Infrastruktur vorhanden, von Strom über Wasser bis hin zu Abwasserkanälen.“ Aufgestellt werden soll, was der Markt hergibt: Container, Mobilheime, vielleicht auch Messezelte.

Pfarrei bietet erneut Hildegardishaus an

Der Wohnungsmarkt ist ausgereizt. Im Oktober stehen rund 100 Plätze in den Wohnungen des SWB am Frohnhauser Weg zur Verfügung, weitere 25 Menschen können noch in anderen Wohnungen der städtischen Tochter untergebracht werden.

Die Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt bot in dieser Woche der Stadt noch einmal das Hildegardishaus in Broich als vorübergehende Unterkunft an. Hier können bis zu 100 Menschen Platz finden. Aber nur bis Ende des Jahres, denn ab Januar will die Contilia das Haus zu einem Pflegeheim umbauen.

Ehemalige Peter-Härtling-Schule wird als Unterkunft genutzt

Neben der ehemaligen Grundschule am Fünter Weg, in der bereits Flüchtlinge leben, wird nun auch das Gebäude der ehemaligen Peter-Härtling-Schule am Wenderfeld als Flüchtlingsunterkunft genutzt. Im Wege eines Dringlichkeitsbeschlusses wurde entschieden, das Gebäude für rund 90 Menschen umzubauen. Nach einigen Vorbereitungen können die ersten Personen voraussichtlich im Oktober einziehen. Vorher wird die Verwaltung Anwohner und Interessierte einladen, um über die aktuelle Situation und über das Konzept für die Unterbringung vor Ort zu informieren.

Zentrale Einheiten nötig

Aber das alles reicht nicht, um die Lücke zu schließen. Deshalb müssen nun auch große zentrale Einheiten her, wie das Flüchtlingsdorf für bis zu 600 Menschen auf dem Saarner Kirmesplatz, wo bereits die nötige Infrastruktur vorhanden ist.
Und das, da macht man sich bei der Stadt keine Illusionen, wird keine kurzfristige Lösung sein. „Wir gehen davon aus, dass das Flüchtlingsdorf auch im nächsten Jahr dort noch stehen wird“, erklärt Thomas Konietzka. Das bedeutet auch, dass die traditionsreiche Saarner Kirmes 2016 wohl nicht stattfinden kann.

Aber noch immer reichen die Plätze nicht für die prognostizierten Flüchtlingszahlen aus. „Wir stehen noch in Verhandlung für weitere große Grundstücke, aber das ist noch nicht spruchreif“, erläutert Ulrich Ernst.
Auch die Planungen für das kommenden Jahr laufen auf Hochtouren. Denn die Verwaltung geht von einem weiter hohen Zustrom von rund 1500 Menschen auch für 2016 aus. „Wir werden dann nicht, wie geplant, mit fünf Containerstandorten auskommen, sondern brauchen eher zehn bis zwölf“, ist sich der Sozialdezernent sicher. Die Beschlüsse dazu sollen im Rat im Oktober gefasst werden.

Zusätzlich fordert das Land Notplätze für Erstaufnahme von Flüchtlingen

Neben den Problemen, die Flüchtlinge aufzunehmen, die der Stadt regulär zugewiesen werden, kommt aber auch das Anliegen des Landes hinzu, für das Land - was auch eigentlich dessen Aufgabe ist und nicht die der Kommunen - Notunterkünfte für die Erstaufnahme von Flüchtlingen einzurichten. Das hat man in der Turnhalle der Lehnerstraße schon getan. Insgesamt 150 Menschen wurden hier seit dem 21. Juli aufgenommen, medizinisch versorgt und registriert.

In dieser Woche nun folgte die Anforderung des Landes, innerhalb weniger Tage weitere 300 Flüchtlinge zur Erstaufnahme unterzubringen. Das aber lehnt die Stadt ab. „Das ist einfach nicht mehr möglich“, betont Kämmerer Uwe Bonan. „Wir richten noch die Turnhalle an der Ernst-Tommes-Straße als Notunterkunft ein, sie ist bis Ende nächster Woche fertig, hier können noch einmal 50 Menschen unterkommen. Mehr geht einfach nicht, wenn das Land nicht riskieren will, dass die Menschen hier auf der Straße landen.“

Städte brauchen mehr finanzielle Unterstützung

Die Versorgung der Menschen, so betont die Stadtspitze unisono, stehe im Vordergrund. Aber man dürfe auch nicht außer acht lassen, welche Kosten den NRW-Städten aufgebürdet werden. Sie müssen zwar Flüchtlinge unterbringen, aber bezahlen müsste das Land. Andere Bundesländer übernehmen die Kosten auch bis zu 100 Prozent. NRW hingegen leitet nicht einmal 50 Prozent der Deckungskosten an die Städte weiter, die trotz hoher Verschuldung damit eine Hauptlast der finanziellen Aufwendungen tragen.

Der Sozialdezernent weiß: Bisher hat die Willkommenskultur in Mülheim ein positives Klima in der Stadt geschaffen. Wenn die Kommune aber nicht mehr in Schulen investieren könnte, weil Millionenbeträge für Flüchtlingsunterkünfte nötig sind, dann kann der soziale Frieden schnell dahin sein. Deshalb, so appelliert auch der Kämmerer, müsse ein Umdenken her. „Hier handelt es sich um eine gesamtstaatliche Aufgabe. Entweder werden den Kommunen die Kosten komplett erstattet, oder wir müssen dafür die Nettoverschuldungslinie überschreiten dürfen.“

Zahlen und Fakten:

>>Ursprünglich hatte der Bund in diesem Jahr mit 300.000 Flüchtlingen gerechnet. Knapp 22 Prozent davon nimmt NRW auf. Nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel erhält Mülheim von diesen rund 1 Prozent zur Regelunterbringung zugewiesen. Das wären für das ganze Jahr 1200 Menschen gewesen.
>> Inzwischen rechnet man bis Ende des Jahres mit 800.000 Flüchtlinge. Das bedeutet auf Mülheim heruntergerechnet insgesamt 2300 Flüchtlinge, die dann in Mülheim leben.
>> Im Januar beherbergte Mülheim 733 Flüchtlinge, am 30. Juni 953. Mit 450 weiteren hat man geplant, es klafft eine Lücke von 1200 Plätze bis Ende des Jahres

Autor:

Regina Tempel aus Mülheim an der Ruhr

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