Bücherkompaß: WIR SIND ONLINE - WO SEID IHR (Von wegen Dumm gesurft! Die unterschätzte Generation)

Ich bin empört!
Da hatte ich mich so drauf gefreut eines dieser typischen "Das Internet ist das ALLES! Das Einzige! Toll, geil, bunt. Zum Teufel mit dem Urheberrecht, alles gehört allen! Gewürzt mit dem üblichen Wir sind ja gar nicht Doov, nee, nie nich Gejammere" Pamphlet in die Finger zu bekommen, Messer und Krallen frisch gewetzt, um das Machwerk gekonnt zu zerfetzen... Und dann DAS!!
Das Buch ist eine MOGELPACKUNG, nämlich ganz anders und viel besser!

Klaus Raab ist es gelungen eines jener seltenen wirklich wichtigen Bücher, ein "Muss man gelesen haben, wenn man mitreden will", zu schreiben.
Schon seine erste Kernaussage > Internet: Gut oder Böse, Schwarz oder Weiß? Ganz so einfach ist es nicht! Das Internet ist die Summe der Beiträge seiner Teilnehmer und damit genau das, was man daraus macht < jagt einen Großteil meiner Vorverurteilungen in den Orkus. Soweit zum Thema Vorverurteilungen... Denn diese Aussage ist fast Deckungsgleich mit meiner Weltsicht: Lößt euch von Vorurteilen, vom Schubladendenken! DIE Welt, DAS Internet, DIE Jugend läßt sich gar nicht pauschalisieren, ist nicht einfach Schwarz oder Weiß. Dazwischen gibt es nicht nur unzählige Grautöne, sondern auch jede Menge Bunt. Genauso wie sich meine Generation nicht schön sauber in Ökos, Spontis, Punks, Waves, Teds, Popper oder was auch immer unterscheiden ließ, genauso wenig läßt sich die "Generation Internet" in irgendeine beliebige Schublade stopfen. Die große Mehrheit ist nämlich irgendwas dazwischen, nichts davon und von allem etwas oder ganz anders. Von "Aussen" neigen wir meist dazu, nur die Auswüchse, die Spitzen wahrzunehmen und danach das Ganze zu beurteilen. Das ist ein bisschen so, als wolle man einen Mischwald anhand von 5 besonders hohen Bäumen definieren. Für ein objektives, differentziertes Bild brauchts aber den ganzen Wald. Als Folge daraus wird die Generation Internet gerne als unpolitisch, desinteressiert und, ständiger Reizüberflutung unterworfen, völlig ziellos beschrieben. Das ist natürlich völliger Unfug. Die jetzige Generation ist genauso politisch engagiert, interessiert und zielbewußt wie die Generationen davor (oder eben auch nicht). Nur die Umwelt, die Technologie, das Medium hat sich drastisch verändert. Früher hat man sich zu 100.000den auf die Straße begeben, um seine Meinung kundzutun, heute nutzt man z.B. Netzwerke wie Avaaz. Das ist weder besser noch schlechter, sondern einfach völlig anders (Eher schneller und definitiv einfacher, aber dadurch nicht Schlecht). Klar unsere Gesellschaft ist in der Masse, als "Schwarm"(Um auch mal Internetterminologie zu benutzen) stark in konservativen Beharrungskräften verankert und steht allem Neuen erstmal ablehnend, negativ oder sogar feindlich gegenüber[ Schon bei Einführung des Fahrrads wurde vor den schrecklichen Gefahren gewarnt, da z.B. das Gesicht durch den Fahrtwind zur sog. Radfahrergrimasse verziehen würde]... aber über kurz oder lang wird das Neue dann doch zum Gewöhnlichen. Und das ist eine weitere Kernaussage Raabs: Das Internet ist da und fest etabliert und ob jeder das gut findet oder nicht, es wird nicht einfach wieder verschwinden. Also akzeptiert die Tatsache und macht für euch das beste draus. OK,OK, bevor Stanley mir aufs Pfötchen haut, weil ich mal wieder jeglichen Rezensionsrahmen sprenge, hüpfe ich lieber wieder zurück in eine gestrafftere Form... Klaus Raab schreibt in gut lesbarer Form, lebendig und humorvoll über seine Sicht zum Thema Generation Internet und bringt viele nachdenkenswerte Aussagen und Anstöße aufs Papier. Dabei läßt er auch die wesentlichsten Kritikpunkte und Problemstellen nicht ausser acht (z. B. Urheberrecht, Killerspiele). Amüsant, aber immer der Grundlinie folgend, schweift er mal in entferntere Bereiche, bringt andere Ansichten und Blickwinkel ein, um am Schluß wieder bei der Grundaussage zu landen. Auch wenn ich in einigen Punkten keinesfalls mit Raab übereinstimme (Vor allem zum Ende wird er mir zu einseitig positiv, vieleicht hat er sich da ja wieder an den Untertitel erinnert), ist "Wir sind Online" seit langem eins der wenigen Bücher, die ich jedem interessierten Leser nur wärmstens empfehlen kann. In Schulnoten: Sehr Gut Klaus Raab WIR SIND ONLINE - WO SEID IHR? Blanvalet 2012 320 Seiten (Viel zu wenig) ISBN978-3-442-37692-6 P.S.: Für all jene Leser, die sich in IHRER Erwartungshaltung enttäuscht fühlen, weil ich hier durchweg positiv rezensiere: Die nächste Rezension zu "Dorf der Idioten" wird höchstwahrscheinlich vernichtend.

Autor:

Thorsten Ottofrickenstein aus Menden (Sauerland)

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