Ideen für den Stadtteil gesucht
Vor dem demografischen Wandel wird oft gewarnt, soziale Brennpunkte werden gefürchtet: Doch was steckt wirklich hinter den abstrakten Begriffen, und wie können Staat und Gesellschaft dem entgegentreten? Auf der Zeche Zollverein tauschte man sich nun bei „Heimat im Quartier“ über praktische Lösungsansätze aus.
Wenn Bilal Cakmak auf dem Balkon seiner Wohnung in Köln-Mülheim steht, wird ihm klar, warum Teile seines Bezirks noch immer als sozialer Brennpunkt gelten. „Ich kann sehen, wie Jugendliche direkt vor meiner Haustür Drogen kaufen“, berichtet der 16-jährige Gymnasiast. Als begeisterter Fußballspieler schlage er deshalb vor, mehr Freizeitmöglichkeiten wie beispielsweise Sportangebote zu schaffen. „Denn der Sport ist besser als jede Droge.“ Bilal Cakmak nahm wie viele Bürger NRWs an der Internet-Diskussionsplattform „Heimat im Quartier“ teil. Diese wurde Ende vergangenen Jahres von der Landesregierung gestartet. In einer Bürgerkonferenz wurden nun die Ergebnisse der Aktion im UNESCO-Welterbe Zollverein präsentiert. Außerdem gab es für die knapp 700 Besucher, neun verschiedenen Themeninseln zu erkunden - von „Gesund leben in der Stadt“ bis zu „Sicher leben im Quartier“.
Ein Stadtteil der Bürger
Auch Bundesbauministerin Barbara Hendricks hörte sich die verschiedenen Vorschläge an. „Wir wollen, dass Bürger an der Gestaltung ihrer Lebensumfelds teilnehmen.“, betonte die Bundespolitikerin und forderte ein „partnerschaftliches Verhältnis zwischen Bürger und Staat“. Neben Barbara Hendricks kamen auch NRW-Stadtentwicklungsminister Michael Groschek sowie Barbara Steffens, Gesundheitsministerin in NRW, nach Zollverein. „Bürgerinitiativen müssen als Element einer lebendigen Stadtentwicklung begriffen werden“, plädierte Michael Groschek. Auch Barbara Steffens rief die Kommunen dazu auf, einen Dialog mit den Bürgern zu schaffen. Für sie sei bürgerliches Engagement für eine funktionierende Gesellschaft unverzichtbar: „Der Staat kann eine Menge finanzieren, aber nicht alles.“
Neuer Treffpunkt in Bochum-Querenburg
„Wir brauchen Orte der Gemeinschaft“, resümierte schließlich nicht nur Michael Groschek. Denn bereits 2011 setzten die Studenten Philipp Unger und Jirka Otte mit ihrem gemeinnützigen Verein „University meets Querenburg“ einen Pavillon in den gleichnamigen Bochumer Stadtteil. Seitdem wird der Gemeinschaftspavillons, der einem gigantischen Tisches ähnelt, nicht nur für Veranstaltungen genutzt. „Der Tisch ist der Schlüssel aller Begegnungen“, meint Philipp Unger und erzählt, dass sich auch Schüler zum Erledigen der Hausaufgaben dort träfen. „Das Holz des Tisches wurde recycelt und in einer Werkstatt der Diakonie zusammengebaut“, berichtet Jirka Otte. Auch in Zukunft wolle man weiterhin, den Zusammenhalt im Stadtteil fördern. „Der Stadtteil soll erfahrbar und gestaltbar gemacht werden“, sind sich die beiden einig.
An der Themeninsel „Sicherheit im Quartier“ wurde ein Präventionsprojekt der Kreispolizeibehörde Kleve vorgestellt. Bei „Haste nen Plan“ werden Jugendlichen die Konsequenzen einer Straftat konkret vor Augen geführt. „Die Schüler besichtigen dabei eine Justizvollzugsanstalt und spielen im Rollenspiel einen Strafprozess nach“, erläutert Christoph Benning, Hauptkommissar in Kleve. „Zum Schluss präsentieren die 13 bis 16-jährigen dann ihre Ergebnisse und Erfahrungen vor Mitschülern, Eltern und Lehrern.“ Erste kleine Erfolge gebe es bereits: So haben Schüler des Projekts einen Mitschüler, der vor dem Schulgebäude ein Fahrrad stehlen wollte, über die Folgen eines Diebstahls aufgeklärt. „Der Schüler hat es daraufhin bleiben lassen“, so Christoph Benning. Im Januar gab es bereits den Landespreis „Innere Sicherheit“ für das Projekt.
Tanzen als Medizin
Laut wurde es auch bei „Wir tanzen wieder“, einem Kölner Projekt, das von der Landesinitiative Demenz-Service unterstützt wird. „Wir tanzen wieder bringt das Tanzen dorthin zurück, wo es für viele auch ältere Menschen hingehört: in die Tanzschule“, eröffnet Stefan Kleinstück, Koordinator der Initiative. Dabei lege man jedoch nicht nur zum Foxtrott eine flotte Sohle auf das Parkett – auch Hip-Hop gehört seit 2007 zum beliebten Programm dazu. „Beim Tanzen erleben Demenzkranke glückliche Momente mit ihren Angehörigen“, ist sich Stefan Kleinstück sicher. Doch während der demografische Wandel in den Pflegeheimen bisher nur ansatzweise zu sehen ist, hat er im Nahverkehr des ländlichen Raums schon erhebliche Auswirkungen: „Wenn aus ökonomischen Gründen Strecken des öffentlichen Nahverkehrs eingestellt werden, versuchen unsere ehrenamtlichen Fahrer, das Netz weiterhin am Leben zu halten“, erklärt Volker Aust, stellvertretender Vorsitzender von Pro Bürgerbus NRW. So gebe es mittlerweile über 100 Bürgerbusse, die als Kleinbusse je acht Sitzplätze bieten. „Viele unserer Bürgerbusse fahren auch nach festen Fahrpläne“, so Volker Aust.
Doch auch die Zeche Zollverein selbst ist mittlerweile ein Motor der Stadtteilentwicklung im Bezirk VI – Zollverein. Deswegen hat das Bundesministerium für Stadtentwicklung schon 2009 13,8 Millionen Euro zur Förderung der Welterbestätte bis 2014 bereitgestellt – auch zur Freude von Claudia Wagner, Projektleiterin von „Welterbe Zollverein – Mittendrin“: „Bei der Stadtteilentwicklung sollte es nicht nur um technische Fragen gehen. Auch die Kultur spielt für das Heimatgefühl eine wichtige Rolle“, glaubt sie und wies auf das aktuelle Projekt „Mein Zollverein“ (der Nord Anzeiger berichtete) hin. Deswegen gaben auch die Musiker der Ruhrpott-Revue noch eine besondere Präsentation ihres Stadtteils zum Besten: In Anlehnung an Scott McKenzies „San Francisco“ hieß es dann: „Kommste an in Altenessen.“ Einige der besonders heiß diskutierten Ideen sollen nun in eine Kabinettsvorlage an die Landesregierung umgesetzt werden. Weitere Informationen unter:
www.heimat-im-quartier.de
Autor:Johannes Gläser aus Essen-Nord |
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