Über einen Besuchstag nach mehr als zwei Monaten Kontaktverbot in einem Pflegeheim
So nah beisammen aber weit entfernt vom Alltag
76 Tage sind vergangen, seit die Frau ihren Vater das letzte Mal gesehen hat. Er lebt in einem Pflegeheim, ist an Parkinson-Demenz erkrankt. Als sie ihn am 13. März besuchen möchte, winkt die Pflegekraft draußen vor der Tür schon von weitem: „Sie können wieder fahren! Anordnung von oben: wir schließen!“
Gestern nun der erste Besuchstermin für die beiden. Ein Container steht bereit, doch das Wetter ist so schön, dass auch ein Spaziergang draußen möglich ist. „Ja geht das denn? Von wegen anfassen und so – wegen Corona?“ fragt die Frau im vorhergehenden Telefonat zur Anmeldung des Besuches nach. Doch es wurden Vorkehrungen getroffen. Die Frau muss sich über Verhaltensmaßnahmen im Umgang mit ihrem Vater „einweisen“ lassen. „Wir haben hier Desinfektionsmittel für die Hände, Kittel und auch Mund-Nase-Schutz, falls Sie keinen eigenen dabei haben sollten“ erfährt die Frau von der Betreuerin draußen vor dem Eingang. Der Vater der Frau steht derweil mit einer anderen Betreuerin etwas abseits. Kein Blickkontakt – auch keine Reaktion auf das Ansprechen der Frau. „Schauen Sie mal. Ihre Tochter ist da!“. Er schaut nur die Betreuerin an. Währenddessen mutiert die Besucherin zum blauen Schlumpf im grünen Einwegkittel: blaue Einweghandschuhe, der besagte Kittel und die mitgebrachte Maske würden sie selbst vor den eigenen Kindern unkenntlich werden lassen. Dann nimmt sie ihren Vater in Empfang. „Aber nicht das Gelände der Pflegeeinrichtung verlassen“ ist die letzte Mahnung, dann wird der Papa an die Hand genommen. Immer noch kein Blickkontakt. Sie beugt sich herab um unter seine Augen zu kommen, doch sein Blick trifft nicht den ihren.
Nach 10 Minuten ist alles gesagt
Über zwei Monate, eigentlich eine lange Zeit um Gedanken zu speichern, Erlebtes, Neues – sie fängt an zu erzählen doch es kommt keine Reaktion wie sonst schon mal. Nach zehn Minuten ist alles gesagt...und alles Banale und Alltägliche kommt heraus. „Papa, sieh mal wie blau der Himmel ist. Hast du ihn schon gesehen?“ „Ja“ - die erste Reaktion. Vor dem Vogelhaus bleibt er länger stehen als gewohnt. Die Tochter versucht noch einmal Blickkontakt aufzubauen, doch seiner geht ins Leere. Also wird weiter geredet um die Stille zu übertünchen. Sie weiß aber, dass er sie hört. Ein kurzer Waldweg, der mittlerweile wieder geöffnet ist, bietet Abwechslung. Auf den Wegen rund um das Heim sind andere Besucher – man kann sich aus dem Weg gehen. Auf dem Parkplatz wurde ein Zelt aufgestellt. Darunter zwei aneinander gestellte Tische. Eine betagte Dame auf der einen, Ihre Tochter und Enkelkind zwei Meter vor ihr auf der anderen Seite. Die Unterhaltung muss laut erfolgen. Mit der Einweisung, der Anzieherei und Desinfektion, dem Ausfüllen des Adressbogens und Bestätigung dass man wissentlich mit niemandem in Kontakt war, der als infiziert gilt, ging schon Zeit verloren. Nach den zwei langsamen Runden durch den Wald, durch den die Frau ihren Vater vorsichtig geführt hatte, ist fast eine Stunde vergangen. Mittagszeit. Wieder am Eingang angekommen wird Resumé gehalten. „Ich kann reden soviel ich will. Mehr als zwei, dreimal ein „Ja“ habe ich nicht zurück bekommen“ berichtet sie traurig. „Selbst meine Stimme scheint er nicht mehr zu erkennen und ich schnattere doch drauf los wie früher“. "Das kommt wieder wenn Sie nun wieder öfters kommen können." Öfters? Ein Tag pro Woche ist vom Heim her vorgesehen. Wenn noch ein Termin frei ist. Nur an zwei bestimmten Tagen. Eine Betreuerin merkt, wie sehr es die Frau schmerzt, dass nach so langer Zeit die Erinnerung an sie ganz entschwunden sein muss und so gar kein Wieder-Erkennen sichtbar ist. „Sie könnten ja mal die Maske abnehmen. Gehen Sie mal noch etwas weiter zurück und dann kann er sie sehen“. Sie nimmt die Maske ab. Ihr Vater wird von der Betreuerin in ihre Richtung gedreht und sie weist mit dem Finger auf die Frau. „Sehen Sie mal – dort steht ihre Tochter!“ Er hebt tatsächlich den Blick und sieht die Frau an. Die Reaktion kommt so prompt! Die Augen weit aufgerissen vor Überraschung, Freude auf dem Gesicht und ein lautes „Oh!“. Das ist zu viel für die Frau – sie bricht in Tränen aus und lacht gleichzeitig, so groß ist die Freude. Schnell zieht sie die Maske wieder über. Zum einen soll er nicht sehen wie sie weint und zum anderen möchte sie auch ganz schnell wieder näher zu ihm heran. Ihr Vater zieht sich wieder etwas zurück als sie die Maske wieder auf hat. Aber er antwortet nun doch etwas und schaut sie auch direkt an. „Das sollten wir jedes Mal machen, wenn jemand zu Besuch kommt. Denjenigen auf Abstand sehen lassen, wer kommt“ sind sich die Betreuerinnen einig. Man lernt halt noch. Es ist mit der erste Besuchstag in Corona-Zeiten für diese Einrichtung.
Autor:Karolin Rath-Afting aus Menden (Sauerland) |
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