Die Nerven liegen blank
Karos Kolumne - Gong frei zur nächsten Runde

Foto: K. Rath-Afting

Wieder einmal in einem Schaltervorraum einer Bank. Seit mehr als einem halben Jahr gilt die begrenzte Personenanzahl und natürlich Maskenpflicht. Zwei Personen dürfen rein. Drei sind bereits drin. Der vierte (zumindest mit MNS) kommt hinein und posiert sich, weil "sein" Automat besetzt ist, breitbeinig und armeverschränkend in die Mitte des kleinen Raumes. Der Hinweis eines Bankkunden, er könne ja auch draußen warten denn schließlich müsse er ja warten (es ist schönes Wetter!), löst bei dem Angesprochen offensichtlich das Deckelchen von seinem Pulverfass. "Ich gebe dir gleich eins aufs Maul" kam in der folgenden Schimpftirade auch deutlich hinüber. Alle anderen Kunden bleiben sprachlos, wohl peinlich berührt. Die Kundin an seinem Zielautomaten aber ist derart verschreckt, dass sie eine Falscheingabe macht und das Gerät daraufhin seinen Betrieb erst einmal einstellt. Die Betriebstemperatur von dem renitenten Mitmenschen steigt daraufhin nochmal lautstark an. Am selben Tag in einem Discounter. Plötzlich bellt an der Nachbarkasse eine Frau einen Mann an, der soeben seine Waren, frisch vom Kassierer über den Scanner gezogen, wieder in den Einkaufswagen verstaut. Das Kassenbandende ist kurz, die Distanz zum sitzenden Kassierer dementsprechend ebenfalls klein da der Kunde nicht über telepathische Kräfte verfügt und der Discountermitarbeiter ihm nicht selber den Wagen einräumt. "Zwei Meter Abstand mindestens. Kennen Sie nicht die Regeln??!" Die blaffende Kundin kannte die Regeln der Umgangsformen jedenfalls nicht. Der Mitarbeiter hielt sich heraus und der Angeschnauzte erwiderte ruhig, sie solle mal den Ball flach halten. Danach wurde sie persönlich. Am liebsten hätte man sich dazwischen gestellt und ganz laut und lange "Ohmmmmm" gesagt. Selbst nachdem der Kunde den Laden verlassen hatte, ging die Schimpftirade weiter. Der Kassierer versuchte mittlerweile zu beschwichtigen - vergebens. Kaum auf dem Parkplatz suchte sie nach ihrem vermeintlichen Kontrahenten und schimpfte ihm noch rohrspatzgleich hinterher. Fazit dieses Tages: viele Menschen tragen ihre Ängste in die Baum- und Pflanzschulen und bedecken sie schubkarrenweise mit Erde und bunten Blumen. Andere Menschen verstauen sie in ihrem Inneren und immer öfters kommen sie dann beim kleinsten Anlass heraus geplatzt. Wie bei den Marktbeschickern am Dienstagmorgen auf dem Mendener Wochenmarkt, die sich erst verbal, dann handgreiflich beim Standaufbau zofften. Offensichtlich ist eine Nebenwirkung des Virus die zunehmende Dünnhäutigkeit. Vielleicht hilft da nur ein dauerhafter Blick in die Zukunft: Dort soll es mehr Entschleunigung, Ruhezonen und Entspannungsangebote geben - einige Dinge, die wir in der herrschenden Krise auch schon als positiv wahr genommen haben. Oder man nimmt sich einfach einen Gong mit - zum Beenden der nächsten Kampfrunde.

Autor:

Karolin Rath-Afting aus Menden (Sauerland)

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