Eine Liebeserklärung an Iserlohn

Der 5. Teil der STADTSPIEGEL-Serie über Briten in Iserlohn und Hemer ist eine kleine Liebeserklärung an die Waldstadt. Der 57-jährige John Bell berichtet, wie er nach Iserlohn kam, und schildert seine ersten Eindrücke von Stadt und Leuten:
Es war nebelig, als mein Vater mich an einem Frühlingsmorgen im Jahr 1972 vom Iserlohner Bahnhof abholte. Ich war mit dem Zug von London aus im Nebel gestartet und im Nebel angekommen. London und Iserlohn, beides nebelig, hier konnte ich mich zuhause fühlen! Mein Vater war in Iserlohn stationiert, ein Teil der B.A.O.R (British Army on the Rhine). Einer von tausenden Soldaten, die in Iserlohn „Queen and Country“ dienten. Damals waren viele Briten hier, wie auch in anderen Städten im Norden Deutschlands.
Ich hatte gerade meine Ausbildung zum Koch beendet und wollte nicht allein in London leben, so bin ich zurückgekehrt zu meiner Familie. Dass sie in einem anderen Land lebten war für mich normal, so als Sohn eines Zeitsoldaten. Iserlohn war ein Ort wie jeder andere auf der Welt, an dem meine Familie gelebt hat. Zwei Jahre an einem Platz stationiert mit der Gewissheit irgendwann weiterziehen zu müssen. Ich war ein „dependent“.
Als „dependent“ war ich ein Teil der britischen Streitkräfte und brauchte keine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen.
Meine ersten Eindrücke von Iserlohn waren der Schillerplatz, Karstadt und der Seilesee. Und dass die Autos auf der falschen Straßenseite fahren.
An meinem ersten Abend in Iserlohn sind wir in die Stammkneipe der Briten
gegangen, ins „Windscheif“ am Callerweg. Da habe ich meine ersten zwei Sätze in deutsch gelernt: „Ein Bier bitte“ und „Noch ein Bier bitte“. Prioritäten müssen sein! Im „Windscheif“ waren nicht nur Briten, auch Deutsche waren hier Gäste. Räumlich getrennt waren wir nicht. Die meisten Briten hatten Begegnungen mit der einheimischen Bevölkerung, aber auch ein anderes Leben im „Camp“, in dem Englisch gesprochen wurde und die britische Lebensweise weiter geführt wird.
Ich war kein Soldat, sodass ich froh war die Möglichkeit zu haben, mich frei bewegen zu können und den deutschen Lebensstil kennenzulernen, aber auch weiterhin mein gewohntes Leben, auf britischer Weise, nachzugehen.
Ein Vorteil waren meine langen Haare. Ein junger Soldat mit kurzen Haaren wurde oftmals in Kneipen nicht reingelassen. Das Schild „Out of Bounds“ war überall zusehen. Ich hatte keine Probleme in manche Discos oder Clubs rein zu kommen, da ich aussah, wie ein gleichaltriger deutscher Jugendlicher. Und mit diesen Jugendlichen habe ich meine ersten Wochen in Iserlohn verbracht und die neue Stadt kennengelernt. Jeder wollte Englisch lernen und ich war ein willkommener Gast, der perfekt Englisch sprechen konnte.
Am Anfang waren meine Deutschkenntnisse minimal. Ich habe in der Schule nie Deutsch gelernt. Mein Deutsch habe ich mir vom Fernsehen und Gesprächen mit Deutschen angelernt. Das Jugendzentrum in der Schauburg war der Ort, wo ich mit vielen Deutschen zusammentraf. Das JUZ war aber auch ein Platz der Begegnung vieler junger Leute, verschiedener Nationen. Dort habe ich mehr Menschen von verschieden Nationen kennengelernt, als in meinen zwei Jahren in London und das war 1972. Jetzt wohnen über 9,000 Menschen mit Migrationshintergrund, aus über 115 Nationen in Iserlohn, darunter über 150 Briten.

In den nächsten 38 Jahren habe ich nicht die ganze Zeit in Iserlohn gelebt. Ich war in Hemer, Menden, Lendringsen, Holland und England wohnhaft. Aber wie das Schicksal im Leben halt so spielt, bin ich irgendwann immer wieder in Iserlohn gelandet. Diese Stadt hat mich immer wieder zurückgeholt und ist mittlerweile zu meiner Heimat geworden. Hier hab ich die meiste Zeit meines Lebens gewohnt. Ich mag Iserlohn. Die Stadt, die Menschen, die Umgebung. Es ist nicht so klein wie ein Dorf und nicht so groß wie eine Großstadt, wie zum Beispiel Dortmund. Die Menschen sind nett und kontaktfreudig, aber auch manchmal stur, genau wie ich.
Wenige können sich vorstellen, wie es ist, nicht sesshaft zu leben. Das war mein Schicksal, als Sohn eines Zeitsoldates. Ich habe keine alten Schulfreunde, die ich mein ganzes Leben kennen werde. Wir waren immer nur ein paar Jahre an einem Ort und mussten dann irgendwann wegziehen. Alles aufgeben und in einem anderen Land bzw. Stadt von vorne anfangen. Dieses Schicksal wollte ich meiner Tochter ersparen. Deswegen bin ich 1992 zurück nach Deutschland gekommen, mit der Absicht hier zu bleiben und zusammen mit meiner Frau und meinem Kind eine Familie zu sein. Dass das für nur eine kurze Zeit so sein sollte, habe da noch nicht gewusst. Denn sechs Monate nach meiner Rückkehr ist meine Frau an Krebs gestorben. Meine Tochter war nicht einmal 3 Jahre alt. Meine Entscheidung hier zu blieben war für meine Tochter nicht leicht aber am Ende die Richtige. In Iserlohn hatte ich Freunde, die uns sehr viel geholfen und unterstützt haben. Meine Tochter ist jetzt 20 Jahre alt und wie ich ein Iserlohner. Iserlohn ist unsere Heimatstadt.
Ich hab ein anderes Leben gelebt als ein Soldat, aber wie die meisten Briten habe ich mich in eine Frau aus der Gegend verliebt und sie dann geheiratet.
Wir Briten und Deutschen haben eine gemeinsame europäische Vergangenheit. Es war nicht immer friedlich. Aber ich bin stolz, dass es heutzutage selbstverständlich ist, dass wir in Frieden miteinander leben können und manche Konflikte, die wir in der Vergangenheit hatten, nun unvorstellbar sind und hoffentlich auch so bleiben.
In all meinen Jahren, die ich in Deutschland gelebt habe, ist viel passiert. Als ich zum ersten Mal nach Iserlohn kam, haben mehrere tausende Briten hier gelebt. Nicht jeder war mit Deutschen befreundet, viele haben es nicht gewagt aus ihrer „Little Britian Enklaven“ auszubrechen. Diejenigen, die Kontakt zu Einheimischen gesucht haben, ob privat, offiziell oder in Vereinen, wurden mit der Gastfreundlichkeit der Deutschen, belohnt. Zusammen haben wir die alten Feindbilder abgebaut und Iserlohn hat dies nur gut getan. Nach der Wiedervereinigung vom Westen und Osten Deutschlands und dem Abzug der britischen Streitkräfte aus Iserlohn und anderen Städte in NRW ist es anders geworden. Die 150 plus Briten, die hier leben, sind integriert in der deutschen Gesellschaft. Die haben ihre Familien hier, ihre Freunde, ihre Arbeit und leben und sprechen Deutsch. Ich lebe hier, aber das Vereinigte Königreich ist weiterhin auch wichtig für mich. Wenn ich in England bin, fühle ich mich auch wohl. Es tut gut, meine Geschwister und Verwandten wieder zu sehen und Urlaub zu machen, aber ich bin auch froh, wenn ich wieder zuhause bin, in Iserlohn. Ich bin stolz zu sagen: ICH BIN EIN ISERLOHNER.“

Autor:

Melanie Giese aus Recklinghausen

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