"Wir sind ein eingespieltes Team"
STADTSPIEGEL Iserlohn begleitet die ambulante ApoCare-Pflegerin Marlene auf ihrer Tour

Bei Gabriele E. steht an diesem Tag die Blutdruck-Kontrolle inklusive anschließender Dokumentation auf dem Programm. Fotos: Goor
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  • Bei Gabriele E. steht an diesem Tag die Blutdruck-Kontrolle inklusive anschließender Dokumentation auf dem Programm. Fotos: Goor
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In den eigenen vier Wänden leben so lange es geht - das ist der Wunsch vieler Menschen fürs Alter. Klappt ja auch, wenn man fit und gesund ist. Und wenn nicht? Gut zwei Drittel der rund 15000 Pflegebedürftigen im Märkischen Kreis (Zahlen aus dem Pflegebericht 2018) werden zuhause betreut, meist von der Familie. Doch die Nachfrage nach professioneller Hilfe von außen steigt.

Von Hilde Goor-Schotten

Rund 30 mobile Pflegedienste bieten ihre Leistungen an

An die 30 mobile Pflegedienste bieten ihre Leistungen in Iserlohn und Hemer an. Ihre Fahrzeuge sind scheinbar ständig unterwegs. In einem von ihnen, mit der blau-roten Aufschrift ApoCare, sitzt Altenpflegerin Marlene.
„Sonntag morgens sieht man eigentlich nur Pflegedienstautos auf der Straße“, sagt sie und lacht. Wer sonst ist dann auch schon so früh unterwegs? Für "Schwester" Marlene ist es normal, ob Wochenende oder nicht.
Um 6 Uhr besucht sie den ersten Patienten in der Nachbarschaft, bevor sie dann ins Auto steigt und zu ihrer Tour startet. 16 Hausbesuche stehen heute bis 11 Uhr auf ihrem Plan. Elfriede H. wartet schon.

"Schauen wir mal, ob Sie gesündigt haben"

„Schauen wir mal, ob Sie gestern gesündigt haben“, scherzt Schwester Marlene mit der 84-Jährigen. Blutzucker messen, Insulin spritzen, dann geht es zum Waschen ins Badezimmer. Elfriede H. hat Diabetes und Probleme mit den Beinen, ist aber ansonsten putzmunter und zum Plaudern aufgelegt. Sie ärgert sich, dass dringende Reparaturen in der Wohnung nur zögerlich erledigt werden und dass sie am nächsten Tag nicht in die Tagespflege fahren kann, weil sie auf einen Handwerker warten muss.

"Wir sind ein  eingespieltes Team"

Die Tagespflege ist der ApoCare-Zentrale in Sümmern angeschlossen. „Ich bin da einmal in der Woche bis nachmittags, das gefällt mir richtig gut“, erzählt die Seniorin. Dort hat sie auch eine andere Patientin aus der Umgebung kennengelernt, die sie manchmal bekocht. Schwester Marlene transportiert die leeren Schüsseln wieder zurück.
Seit zehn Jahren betreut sie Elfriede H. schon: „Wir sind ein eingespieltes Team.“ Und so geht es auch ohne große Erklärungen und gut gelaunt auf beiden Seiten weiter: Augentropfen, Kompressionsstrümpfe anziehen, Tabletten bereitlegen. „Es ist mit der Zeit immer mehr dazu gekommen“, sagt die Pflegerin. Elfriede H. nimmt eine Kombination von Grund- und Behandlungspflege in Anspruch. Jede Handreichung wird in der bereitliegenden Patientenmappe dokumentiert. Nein, nicht jede: Den Müllbeutel nimmt Schwester Marlene so mit (einige Pflegedienste rechnen so etwas an), und: „Für die Brötchen, die ich manchmal mitbringe, strickt sie mir ein paar Socken.“ Diesem Hobby kann sich Elfriede H. nach gut 25 Minuten wieder widmen. Schwester Marlene sorgt noch dafür, dass sie sich den Hausnotruf umhängt, mit dem sie binnen weniger Minuten Hilfe holen kann. Dann heißt es: „Tschüss, bis morgen. Und trinken Sie bei dem warmen Wetter genug.“

"Zur Not muss man ein paar Minuten dranhängen"

Bei den nächsten Patienten sind Medikamentengaben fällig. Das dauert nur wenige Minuten, ist aber nicht immer ganz einfach. Der eine Patient ist noch verschlafen und wortkarg. Zwei Formulare sind zu unterschreiben, die neuen Pläne fürs Essen auf Rädern liegen auf dem Tisch. „Die müssen wir wohl morgen mal zusammen ausfüllen“, sagt Schwester Marlene und legt ihm in der Küche noch zwei Brötchen bereit.
„Auch bei solch kurzen Besuchen schaut man nach rechts und links, ob alles in Ordnung ist. Zur Not muss man dann ein paar Minuten dranhängen“, berichtet sie. Die Zeit ist immer ein großes Thema. Abgerechnet wird in Nordrhein-Westfalen pro Pflegeeinheit. Ein Verbandswechsel kann das schnelle Kleben eines Pflasters bedeuten, aber auch das zeitaufwändige Verbinden eines offenen Beins. Der Mehraufwand wird nicht honoriert. Für Schwester Marlene steht dennoch der Patient an erster Stelle: „Viele kenne ich schon seit Jahren.“ Sie merkt schnell, wenn etwas nicht stimmt.
„Wir legen großen Wert darauf, dass möglichst immer dieselben Pflegekräfte kommen“, erklären Katrin Becker und Sarah Pläsken in der ApoCare-Zentrale. Die beiden Pflegedienstleiterinnen planen für 200 Patienten rund 250 Einsätze am Tag in Früh-, Mittags- und Spätschichten. „Wir sind 1992 mit fünf Mitarbeitern gestartet. Heute sind 36 unterwegs“, sagt Katrin Becker. Und es könnten mehr sein. Fast täglich kommen Anfragen. „Wir können zurzeit aber keine zusätzlichen Patienten annehmen, wenn wir die Qualität der Pflege nicht gefährden wollen.“ ApoCare bildet selbst aus und bietet umfangreiche Weiterbildungsmöglichkeiten, sehr flexible Arbeitszeiten und nimmt auf viele Bedürfnisse Rücksicht - die Fachkräfte fehlen trotzdem.

ApoCare bildet selbst aus - Fachkräfte fehlen trotzdem

Altenpflegerin Marlene ist vor elf Jahren nach einer längeren Kinderpause in ihren Beruf zurückgekehrt. Davor war sie in einem Altenheim beschäftigt, das möchte sie nicht mehr. „Hier kann ich eigenverantwortlich arbeiten und innerhalb des zeitlichen Rahmens selbst bestimmen. Der Kontakt zu meinen Patienten ist eng. Das liebe ich an meinem Beruf.“
Konzentriert und zügig erledigt sie die Pflegevorgaben. Sie nimmt sich aber auch die paar Minuten für den Kaffee, der bei einer Patientin immer schon für sie bereitsteht. Sie fragt beim Baden nach den Enkelkindern und erkundigt sich beim Anziehen der Kompressionsstrümpfe nach dem Treppenlift, der eingebaut werden soll. Sie kümmert sich um einen wichtigen Brief, der zur Post muss, und bringt die alte Dame zum Lachen, die das am Tag zuvor nicht erledigt bekommen hat und deshalb etwas betrübt ist.

"Ein paar Minuten für den Kaffee müssen sein"

„Es ist oft schwer, wenn man sieht, dass die Pflege nicht reicht. Wenn die Menschen depressiv werden oder mit vielen Dingen total überfordert sind, die Kinder sich aber nicht kümmern“, sagt sie. Da helfe es sehr, dass man sich im Team besprechen könne und die Pflegedienstleitung niemanden im Stich lasse. „Wenn wir die Zustände gar nicht mehr verantworten können, kann es auch sein, dass wir die Pflege kündigen“, weist Katrin Becker auf die – seltene - letzte Konsequenz hin, wenn alle Gespräche mit Angehörigen nicht helfen.

Schwierige Situationen gibt es immer wieder

Schwierige Situationen gibt es immer wieder, seien es unhygienische Zustände, aggressive Patienten oder unerwartete Notfälle. Eine gewisse Distanz müsse man bei aller Nähe wahren, sagt Schwester Marlene. Dafür gibt es auf der anderen Seite auch viel Dankbarkeit und immer wieder Erfolgserlebnisse. Gabriele E. gehört dazu, die seit fünf Jahren ihre Patientin ist. Von privaten Rückschlägen, psychischen Problemen und einer Krebserkrankung hat sie sich dank des mobilen Pflegedienstes und weiterer Betreuung gut erholt. Fröhlich begrüßt sie ihre Pflegerin: „Heute ist Fußtag“. Das heißt, neben Blutdruck messen, Waschen, Eincremen, Gewichtskontrolle ist heute auch die Fußpflege dran, donnerstags wird gebadet. Begeistert erzählt sie von den Unternehmungen, die hinter ihr liegen und die sie plant. Bald steht der Umzug in eine Erdgeschosswohnung an, wegen der Beine. Auch darauf freut sie sich. Nur dass sie Schwester Marlene dann verliert, sei traurig: „Sie ist die Beste.“

Bei Gabriele E. steht an diesem Tag die Blutdruck-Kontrolle inklusive anschließender Dokumentation auf dem Programm. Fotos: Goor
Bei der 84-jährigen Elfriede H. kümmert sich Schwester Marlene auch um die Überwachung des Blutzuckerspiegels.
Autor:

Christoph Schulte aus Hemer

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