Das Bundesverfassungsgericht rügt die pauschale Ablehnung von Beratungshilfe
Mit der Entscheidung 1 BvR 1962/11 vom 07.10.2015 hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts sogar die nachträgliche Gewährung von Beratungshilfe für die Einlegung und Begründung eines Widerspruchs ausdrücklich bestätigt.
„Die nachträgliche Gewährung von Beratungshilfe für die Einlegung und Begründung eines Widerspruchs darf nicht mit dem pauschalen Hinweis darauf abgelehnt werden, dass die antragstellende Person den Widerspruch selbst hätte einlegen können. Dies hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss bekräftigt. Da die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs auch von dessen sorgfältiger Begründung abhängen, bedarf die Ablehnung der Beratungshilfe in solchen Fällen einer einzelfallbezogenen Begründung. Einer Verfassungsbeschwerde hat die Kammer stattgegeben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen.“
Rechtswahrnehmungsgleichheit
Zur Begründung führte die Kammer aus, dass das Grundgesetz durch Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG die Rechtswahrnehmungsgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten bei der Durchsetzung ihrer Rechte garantiere.
Mit einer pauschalen Ablehnung der Gewährung von Beratungshilfe werden die verfassungsrechtlichen Ansprüche der antragstellenden Person verletzt.
Nur in solchen Fällen - wenn Bemittelte wegen ausreichender
Selbsthilfemöglichkeiten die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würden - sei die Versagung von Beratungshilfe vertretbar, dies ist aber immer nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls abzuwägen.
Entscheidend sei es bei der Bewilligung von Beratungshilfe zu prüfen, ob der dem Beratungsanliegen zugrunde liegende Sachverhalt schwierige Tatsachen oder Rechtsfragen behandelt und ob der Rechtsuchende selbst über ausreichende Rechtskenntnisse verfügt.
Amtsgericht Iserlohn verweigert Beratungshilfe
Auch das Iserlohner Amtsgericht verweigert nach Aussagen Betroffener immer häufiger die Bewilligung von Beratungshilfe und verletzt damit regelmäßig höchste deutsche Rechtsgüter.
Beratungshilfe und Hartz IV
Unstrittig ist wohl, dass geradezu der gesamte Rechtsbereich des SGB II gerade wegen seiner Komplexität und der sich stetig wandelnden Rechtslage und Rechtsfortschreibung durch die Sozialgerichte, von keiner nicht fachjuristisch gebildeten Person eigenständig bearbeitet werden kann.
Auch der Verweis auf die Informationspflicht der Jobcenter geht immer fehl.
Informationspflicht der Jobcenter . . .
Bereits in einer anderen Entscheidung (1 BvR 1849/11)
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/04/rk20150429_1bvr184911.html
vom 29.04.2015 – hatten die Richter des Bundesverfassungsgerichts klargestellt:
„Der Begriff der Zumutbarkeit wird von den Fachgerichten überdehnt, wenn ein Rechtsuchender wie vorliegend die Beschwerdeführerin für das Widerspruchsverfahren zur Beratung an dieselbe Behörde verwiesen wird, gegen die er sich mit dem Widerspruch richtet.“
Auch bei Bewilligung von Beratungshilfe fällt immer noch eine Eigenbeteiligung in Höhe von inzwischen 15,00 € an, die im Regelsatz nicht berücksichtigt ist.
Grundsatz der prozessrechtlichen Waffengleichheit
Bereits in einer Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung von Beratungshilfe vom 11.05.2009, Az.: 1 BvR 1517/08
hatte die erste Kammer festgestellt:
„Entgegen dem Beschluss des Amtsgerichts kann es der Beschwerdeführerin nicht zugemutet werden, den Rat derselben Behörde in Anspruch zu nehmen, deren Entscheidung sie im Widerspruchsverfahren angreifen will. Auch bei einer organisatorisch getrennten und mit anderem Personal ausgestatteten Widerspruchsstelle entscheidet dann dieselbe Ausgangsund Widerspruchsbehörde über die Leistungen der Beschwerdeführerin. Es besteht die abstrakte Gefahr von Interessenkonflikten, die die beratungsbedürftige Beschwerdeführerin selbst nicht durchschauen kann. Aus Sicht der Rechtsuchenden ist der behördliche Rat nicht mehr dazu geeignet, ihn zur Grundlage einer selbständigen und unabhängigen Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte im Widerspruchsverfahren zu machen. Im Hinblick auf die prozessrechtlichen Grundsätze der Waffengleichheit und der gleichmäßigen Verteilung des Risikos am Verfahrensausgang im sich möglicherweise anschließenden Gerichtsverfahren darf der Beschwerdeführerin eine unabhängige Beratung nicht vorenthalten werden.“
Weiter heißt es:
„Dies ist insbesondere wegen des existenzsichernden Charakters des Arbeitslosengelds II von Bedeutung. Wegen der grundsätzlich zeitverzögernden Wirkung des Vorverfahrens und seiner Verbindung zum Klageverfahren ist auf eine möglichst effektive Gestaltung des Vorverfahrens zu achten.
Der fiskalische Gesichtspunkt, Kosten zu sparen, kann nach den dargestellten Gründen nicht als sachgerechter Rechtfertigungsgrund zur Versagung der Beratungshilfe angesehen werden.“
Autor:Ulrich Wockelmann aus Iserlohn |
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