Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV, Kritik am Bundesverfassungsgericht
Wolfgang Neskovic / Isabel Erdem
„Die Menschenwürde ist absolut. Das menschenwürdige Existenzminimum muss durch den Staat in jedem Einzelfall „stets" gewährt werden. Kürzungen des ALG II-Anspruchs (Sanktionen) durch die Jobcenter sind verfassungswidrig. Jeder Mensch in einer existenziellen Notlage hat einen Anspruch auf ein Minimum staatlicher Leistung. Ihre Gewährung darf nicht von „Gegenleistungen" abhängen. Dies macht den Kern des Sozialstaats aus.“
In einem sieben Seiten langen Artikel begründet Wolfgang Neskovic, Richter a. D. am Bundesgerichtshof und Abgeordneter des Deutschen Bundestages, warum die Sanktionspraxis im SGB II die Grundrechte der Menschenwürde (Art 1 GG) und das Sozialstaatsgebot (Art 20 GG) verletzt.
Dabei leitet er u.a. aus früheren Entscheidungen des BverfG die These ab, „die Fürsorge für Hilfsbedürftige gehöre zu den „selbstverständlichen Pflichten eines Sozialstaates"; die staatliche Gemeinschaft müsse ihnen jedenfalls die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein sichern und sich darüber hinaus bemühen, sie soweit möglich in die Gesellschaft einzugliedern"
Während die Bundesregierung selbstbewusst behaupt mit der Neuberechnung des Hartz IV-Regelsatzes sei das Soziokulturelle Existenzminimums endlich sorgfältig ermittelt worden, (wir erinnern uns: medienwirksam 5 € mehr, aber massive Leistungskürzungen im Halbdunkel) so bedeutet nach Neskovic bereits die niedrigste Sanktion eine Verletzung der Menschenwürde und des Sozialstaatsgebotes durch die Unterdeckung der Mindestversorgung.
Neskovic kommt zu dem Schluss:
„In das Grundrecht darf nicht eingegriffen werden. Das (einmal durch den Gesetzgeber ausgestaltete) Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1GG i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG ist „unverfügbar". Unverfügbar bedeutet, dass weder der Einzelne dieses Recht weggeben, noch der Staat es nehmen kann. Das menschenwürdige Existenzminimum eines Jeden ist unantastbar. Jedwede Kürzung des aufgrund dieses Grundrechts bestimmten Leistungsanspruchs - gleich ob durch Gesetz, Verwaltungs- oder Realakt - ist verfassungswidrig. Denn bei der Menschenwürde ist jeder Eingriff ein ungerechtfertigter, d.h. zugleich ihre Verletzung. Die in der Literatur aufgeworfene Frage, inwieweit es „verhältnismäßig" ist, ob aufgrund mangelnder Mitwirkungen das Existenzminimum (teilweise) versagt werden darf, stellt sich daher gar nicht (mehr).“
Die Demokratie ist ernsthaft in Gefahr durch Gesetzgeber, die das Grundgesetz vor unser aller Augen in den Grundsäulen beschädigen.
Volltext:
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zur Diskussion im Erwerbslosen-Forum:
http://www.elo-forum.org/news-diskussionen-tagespresse/88177-ehem-bgh-richter-neskovic-verfassungswidrigkeit-sanktionen-hartz-iv.htm
Autor:Ulrich Wockelmann aus Iserlohn |
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