Zehn Jahre Hartz IV – eine Bilanz
Am 10.12. 2014 veröffentlichte die Bundesagentur für Arbeit eine Pressemitteilung unter dem Titel „Zehn Jahre Hartz IV – eine Bilanz“
In einer nichtssagenden Situationsbeschreibung fabulieren die Verfasser eine phantastische Geschichte, die der rationale Beobachter nur mit übermäßigem Drogenkonsum und Realitätsverlust in Verbindung bringen kann. Die Herren „UrAlt, nichtWeise“ servieren einen Zahlensalat ohne jede mathematische Bezugsgröße und dazu einen Cocktail von Halbwahrheiten, der seriöse Statistiker erschaudern lässt. So, als hätten die abgehalfterten Gurus der Arbeitslosenverwaltung zu tief in die Buchstaben- und Zahlensuppe geblickt.
Probleme lösen, kann nur, wer Probleme versteht und Ursachen erkennt. Total bekiffte Kapitalismus-Junkies und Nieten in Nadelstreifen werden nichts ausrichten.
Zehn Jahre Hartz IV haben eine Spur der Verwüstung auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen.
Noch nie mussten so viele Beschäftigte wegen Angststörungen, Burnout, Depressionen oder Panikattacken krankgeschrieben werden. Nach den Daten der Krankenkassen sind die Fehltage wegen seelischer Erkrankungen seit Mitte der 2000er Jahre um fast 100 Prozent gestiegen.
Offensichtlich machen die Arbeitsverhältnisse die Menschen krank. Wer eine Stelle hat, der quält sich lieber oder lässt sich quälen, als der Gesundheit zuliebe in den Sack zu hauen. Zehn Jahre nach Einführung der Hartz-IV-Reformen gilt in Deutschland: Jede noch so schlimme Arbeit, jeder noch so widerliche Chef, jedes noch so üble Mobbing – alles ist besser, als keinen Job zu haben. Diese Doktrin haben Millionen von Arbeitnehmern verinnerlicht.
Die Furcht vor dem sozialen Abstieg, die auch die sogenannte Mittelschicht erfasst hat, die Angst, »Hartzer« zu werden, lässt viele zu viel aushalten. Von der Arbeitsagentur haben Erwerbslose außer Repressalien nicht viel zu erwarten, die Parole vom »Fordern und Fördern« ist ein böser Etikettenschwindel. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes hat zur Zunahme prekärer Beschäftigung geführt. Aber Langzeitarbeitslose finden heute nicht schneller eine Stelle als vor der Reform. »Eine kritische Bilanz dieser Reform kommt zu dem Schluss, dass es sich bei Hartz IV um ein zutiefst inhumanes System voll innerer Widersprüche handelt, das Menschen entrechtet, erniedrigt und entmündigt«, urteilt der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge.
Rund 15 Millionen Menschen haben schon einmal Hartz IV bezogen. Sie haben also kein Vermögen und keinen Partner gehabt, der sie ernähren könnte – und beides in entwürdigenden Prozeduren gegenüber der Arbeitsagentur nachgewiesen. Wer einmal in der Hartz-IV-Welt gelandet ist, kommt oft nicht mehr aus ihr hinaus. Nach einer Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung waren von
der Einführung am 1. Januar 2005 bis Ende 2012 etwa 1,35 Millionen Menschen ununterbrochen auf die Fürsorge angewiesen. Bei 48 Prozent dauerte der Bezug zwar weniger als ein Jahr. Doch etliche konnten nur vorübergehend auf den Empfang verzichten.
10 Jahre Hartz IV in der Alltagswirklichkeit bedeuten für die Betroffenen zunehmende soziale Verelendung, Explosion der Kinderarmut, prekäre Arbeit, Tafeln und Armenküchen, Zunahme der Obdachlosigkeit, perspektivlose Hartz IV-Rente und offene Verachtung der Politik in der Missachtung der Lebensleistung einer Vielzahl langjähriger Steuerzahler.
Autor:Ulrich Wockelmann aus Iserlohn |
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